wir begrüßen Sie zum Berlin.Table, dem Late-Night-Memo für die Hauptstadt.
Es gibt Tage, da ist auch das politische Leben ein langer, ruhiger Fluss. Und es gibt Tage wie diesen, an dem ein großes Thema für Spektakel und Debatte sorgt – und anderes im Strom einfach untergeht. Nach der langen Nacht im Kanzleramt gilt fast alle Aufmerksamkeit der Flüchtlingspolitik, obwohl schnelle Lösungen auch nach diesen Verhandlungen kaum zu erreichen sein werden. Zugleich gab es schon vorher Beschlüsse, die sehr viel früher und wahrscheinlicher das Leben der Menschen in Deutschland verändern werden. Aus diesem Grund haben wir einen ausführlichen Blick auf diese Entscheidungen geworfen.
Außerdem schauen wir auf die komplizierte Situation von Friedrich Merz. Und wir erklären, warum der Zerfall der Linksfraktion nicht nur politische, sondern für manche auch sehr persönliche Folgen hat.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!
Heute haben Okan Bellikli, Stefan Braun, Anne Brüning, Annette Bruhns, Damir Fras, Stephan Israel, Franziska Klemenz, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt und Vera Weidenbach mitgewirkt.
Wir freuen uns über Ihr Interesse.
Migration und Union: Komplexe Lage für Friedrich Merz. Nach den nächtlichen Verhandlungen zwischen dem Kanzler und den Ministerpräsidenten zur Migration haben sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst und CDU-Parteichef Friedrich Merz demonstrativ einig präsentiert, um neue Spekulationen über den wahren Anführer der Partei zu unterbinden. Beide nannten die Beschlüsse einen ersten Schritt und betonten, dass man von einem großen Neuanfang oder gar einer “Zeitenwende” (Olaf Scholz) noch lange nicht sprechen könne. Zugleich konnten sie den Eindruck nicht verwischen, dass am Ende eben doch nur die Länderchefs mit Olaf Scholz verhandelten und der CDU-Vorsitzende dabei keine Rolle spielte. Merz betonte zwar, dass alle Beschlüsse überhaupt nur einen Wert hätten, wenn sie bis Jahresende im Gesetzblatt stehen. Allerdings wird er dafür nicht gebraucht; die nötigen Gesetzesänderungen kann die Koalition ohne Opposition beschließen.
Für Merz zeigt das sein ganzes Dilemma im Ringen mit der Regierung. Nachdem er seine Gesprächsbereitschaft öffentlich demonstriert hatte, lud ihn Scholz zwar mehrfach zum Gespräch. Aber der Kanzler hat ihn bewusst in keinen Entscheidungsprozess eingebunden. Auch den Vorschlag von Merz, in einer Arbeitsgruppe von Unionsfraktion und Regierung nach gemeinsamen Wegen zu suchen, lehnte Scholz ab. Merz betonte am Dienstag, dass sein Gesprächsangebot weiter gelte. Aber er erklärte auch, dass für ihn die Idee eines Deutschland-Pakts zur Migration fürs Erste beerdigt sei.
Der Unionsfraktionschef wollte damit selbstbewusst klingen. In der Konsequenz aber bedeutet es, dass er auf seine Rolle als vorläufig nicht benötigter Oppositionsführer zurückgeworfen ist. Nicht ganz ohne Süffisanz hieß es am Dienstag zudem aus den Reihen der CDU-MPs, die Liste der 26 Forderungen, die Merz zuletzt bei einem Treffen mit Scholz präsentiert hatte, habe in der Nacht “keinerlei Rolle” gespielt. Außerdem zeigte sich in der Nacht im Kanzleramt, dass wichtige B-Länder wie NRW, Schleswig-Holstein und Hessen vor drohenden Konfliktsituationen nicht eine scharfe Zuspitzung à la Merz wählten, sondern den Brückenbau zu Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann suchten. Bei aller Distanzierung sind Berichte über Intrigen gegen Merz, vermeintlich provoziert durch den Kanzler, offenbar doch falsch. Sie wurden von B-Länder-Seite hart dementiert.
Trotzdem steht der CDU-Chef vor der Frage, ob er gegen die Beschlüsse wettert oder sie doch unterstützt. Merz kündigte an, dass seine Fraktion alle neuen Gesetze genau prüfen werde, um sich danach zu entscheiden, ob man sie ablehnt oder ihnen zustimmt. Das lässt ihm faktisch beide Optionen offen. Am Ende aber wird ihm das nicht die Frage abnehmen, ob er weiter von “zu wenig, zu langsam, zu spät” spricht oder am Ende doch dem zustimmt, was auch die CDU-Ministerpräsidenten mittragen. Tut er es nicht, verschärft er das Bild vom Scharfmacher, das die Öffentlichkeit sowieso von ihm hat. Trägt er es mit (worauf Olaf Scholz hofft), kann er möglicherweise dem gesellschaftlichen Frieden dienen, aber läuft Gefahr, in Mithaftung zu kommen, wenn alle Maßnahmen nichts bringen.
Digitale Verwaltung: MPK verspricht Beschleunigung. Jenseits von Planungsbeschleunigung, Migration und Deutschlandticket haben die Regierungschefs der Länder am Montag eine Reihe weiterer Themen abgehandelt, wie aus dem vorläufigen Sitzungsprotokoll hervorgeht. So sollen bis Ende 2024 in allen deutschen Kommunen 15 “Fokusleistungen” von den Bürgern digital beantragt werden können. Darunter unter anderem die Bereiche An- und Ummeldung von Kfz, Einbürgerung, Eheschließung, Bürgergeld, Unterhaltsvorschuss, Wohnsitzwechsel oder auch das Wohngeld. Dabei soll die Verwaltung auf die Daten zugreifen können, die an anderer Stelle ohnehin längst vorliegen.
Der noch gültige Digitalpakt Schule endet im Mai 2024. Damit unterstützt der Bund in Milliardenhöhe die Digitalisierung der Schulen. Die Länder erwarten eine dauerhafte Verlängerung der Unterstützung, “jährlich mindestens 1,3 Milliarden Euro” und mindestens bis zum Jahr 2030. Bei Großraum- und Schwertransporten ist von “sich zuspitzenden Transportproblemen” die Rede. Sie beträfen insbesondere die Energie- und Bauwirtschaft. Die Sondergenehmigungen seien zu komplex, aufwändig und zeitintensiv. Dringenden Handlungsbedarf gebe es vor allem beim Transport für Kabelrollen und Großtransformatoren für das Stromnetz. Insbesondere die Energiewirtschaft leide unter den Verzögerungen. Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern soll schnell Lösungen erarbeiten.
Die Ministerpräsidenten fürchten einen Engpass bei der Versorgung mit Medikamenten. Es gebe “dringenden Handlungsbedarf” und es müssten “dringend weitere Maßnahmen ergriffen werden”, um eine bessere Versorgung zu gewährleisten. Die Bundesregierung solle schnellstmöglich die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen, um die Produktionsbedingungen in Deutschland und Europa zu stärken und die Abhängigkeit von Drittstaaten zu reduzieren. Das bestehende Vergütungssystem bei der Arzneimittelversorgung müsse auf den Prüfstand, auch die inhabergeführte Apotheke vor Ort müsse in der Fläche erhalten bleiben.
Tagesspiegel/FAZ/SZ: Stimmen zum Migrationskompromiss. “Ein erster, kleiner Schritt” ist der Kompromiss aus Sicht von Daniel Sturm vom Tagesspiegel. Ein “teils irrationaler, hoher Druck” habe auf den Entscheidenden im Kanzleramt gelastet. Insofern sei die Einigung “eine gute Sache”. Es gebe einen engen Zusammenhang zwischen unkontrollierter Migration und Antisemitismus, findet Jasper von Altenbockum in der FAZ. Immerhin, die Richtung stimme, auch wenn “ein Jahr der versäumten Gelegenheiten” hinter uns liege. Ansonsten gibt es für ihn im Rahmen der bestehenden Gesetze nur ein Rezept: Asylverfahren in Drittstaaten auslagern. Auf Knopfdruck werden die Zahlen kaum nach unten gehen, erwartet Henrike Roßbach in der SZ. Vielleicht sei das “Wir haben verstanden” ja aber tatsächlich ernst gemeint. Denn dass die Zahl der Migranten, die nach Deutschland drängen, “zu hoch ist und sinken muss, ist ein Fakt”. (“Auf dem Weg zur Koalition der Vernunft”, Seite 3/”Große Worte, kleine Taten”, Seite 1/”Jetzt muss es nur noch klappen”, Seite 4)
Warum manche PKV-Tarife teurer werden. In der Privaten Krankenversicherung werden die Beiträge 2024 etwas stärker steigen als im langjährigen Mittel, knapp die Hälfte der Versicherten ist betroffen. Gründe für die Anpassungen sind gestiegene Leistungsausgaben und der medizinische Fortschritt. Weitere Infos sowie Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie hier auf unserer Sonderseite. (Mehr auf pkv.de)
Taz: Polizeibeauftragter kommt. Die Ampel-Koalition hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am Freitag im Bundestag diskutiert werden soll: Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch, der sich bereits im Interview mit Table.Media über sein zukünftiges Amt äußerte, wird “Unabhängiger Polizeibeauftragter beim Deutschen Bundestag”. Sowohl Privatpersonen als auch Beschäftigte von Bundespolizei, BKA und Bundestagspolizei können ihm Fehlverhalten melden. (“Beauftragter für Polizei kommt”, Seite 6)
Welt: Sorge um US-Stützpunkt Incirlik. Dort lagern US-Atomwaffen, und von dort steuern die USA auch ihre Antiterrormaßnahmen im Nahen Osten. Seit Tausende Palästinenser versucht haben, den Stützpunkt zu stürmen, stellt sich die Frage, wie sicher und verlässlich der Nato-Partner Türkei noch ist. Carolina Drüten und Stefanie Bolzen schildern die Probleme und erklären, warum die Suche nach Alternativen schwer ist. (“Die heikle Frage der amerikanischen Atomwaffen in der Türkei”, Seite 4)
Handelsblatt I: Wasserstoff aus Norwegen. Der Konzern Höegh will Deutschland ab 2028 über schwimmende Terminals versorgen. Ausgangspunkt ist die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung. Ab 2032 soll das Netz Einspeisepunkte an der Küste mit Abnehmern aus der Industrie im Landesinnern verbinden. (“So soll der Wasserstoffimport nach Deutschland laufen”, Seite 10)
Handelsblatt II: Lücken in Supermärkten. Wegen eines Streiks in Lagerhäusern bleiben in manchen Regionen Deutschlands seit Monaten Lieferungen aus. Hintergrund sind stockende Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Konzernen. Zum Teil müssen Lebensmittel weggeworfen werden, weil sich nicht frisch im Handel ankommen. (“Supermärkten drohen neue Lücken in den Regalen”, Seite 18)
Verfassungsschutz: AfD Sachsen-Anhalt gesichert rechtsextrem. Neben Thüringen ist Sachsen-Anhalt nun das zweite Land, in dem der Verfassungsschutz den AfD-Verband als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Nach der Einstufung als Verdachtsfall 2021 habe die Partei sich weiter radikalisiert, die Behörde attestiert ihm Menschen- und Demokratiefeindlichkeit. Der Parteivorsitzende Martin Reichardt wird dem früheren “Flügel” zugeordnet. Ebenso der wesentlich prominentere Hans-Thomas Tillschneider, der in der Neuen Rechten eng vernetzt ist. Er kooperiert mit dem ebenfalls in Sachsen-Anhalt ansässigen “Institut für Staatspolitik” unter dem rechtsextremen Vordenker Götz Kubitschek und anderen relevanten Akteuren wie dem Compact-Magazin. Außerdem unterhielt er einst ein Büro im Haus der Identitäten Bewegung in Halle. Dem früheren Landesvorsitzenden André Poggenburg hatte die Partei wegen einer Hetzrede gegen Türken das Vertrauen entzogen. Die Einstufung erlaubt dem Verfassungsschutz, mehr nachrichtendienstliche Mittel systematisch einzusetzen.
Die Linke: Klaus Ernst verliert Ausschuss-Vorsitz. Mit der Auflösung der Fraktion wird der Vorsitzende des Ausschusses für Energie und Klimaschutz, Klaus Ernst, wohl automatisch seinen Posten verlieren – das erfuhr Table.Media von Mitgliedern der Fraktion. In der Geschäftsordnung des Bundestags war ein solcher Fall bisher nicht geregelt. Für die Fraktion ist nicht mehr die Frage, ob sie sich auflöst. Es geht nur noch ums Wann. Und das wollen die Abgeordneten am Dienstag in der kommenden Woche entscheiden. Das ist das Ergebnis der Sitzung an diesem Dienstag und wurde einstimmig beschlossen. Für Verärgerung unter den Abgeordneten sorgte, dass trotz der Aufforderung, nicht zu erscheinen, vier Wagenknecht-Anhänger zur Sitzung kamen. Sie blieben aber nicht lange und wollten offenbar bei der Abwicklung der Fraktion mitreden.
CDU-MdB Heilmann: Klimaschutzgesetz-Änderung verfassungswidrig. Im Vorfeld der Sachverständigenanhörung zur Änderung des Klimaschutzgesetzes am Mittwoch hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann scharfe Kritik an den Plänen der Ampel-Koalition geübt. Die neuen Zeitvorgaben führten dazu, dass in dieser Legislaturperiode trotz des Verfehlens der Klimaziele keine zusätzlichen Maßnahmen mehr beschlossen werden müssen, sagte Heilman zu Table.Media. “Damit stellt die selbst ernannte Klimakoalition den Klimaschutz für zwei Jahre komplett aufs Abstellgleis.” Zudem würden die verbindlichen Sektorziele abgeschafft und das Gesetz faktisch bis 2031 befristet, kritisiert der Abgeordnete, der zugleich Vorsitzender der KlimaUnion ist. “Das als Stärkung des Klimaschutzes zu bezeichnen, ist eine Frechheit.”
Klagen gegen das Gesetz hält Heilmann für wahrscheinlich. Selbst wenn alle angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden, werde das Klimaziel für 2030 deutlich verfehlt, und die Änderungen des Klimaschutzgesetzes führten dazu, dass dies keine Konsequenzen habe, erklärt der Jurist. “Die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, dass wir die Dinge nicht in die Zukunft verschieben dürfen, werden damit eindeutig nicht erfüllt.” Als Abgeordneter juristisch gegen das Gesetz vorgehen könne er – anders als beim von ihm aufgehaltenen Gebäudeenergiegesetz – nicht, so Heilmann. Er gehe aber davon aus, dass andere Akteure klagen. Problematisch sei das Gesetz auch in finanzieller Hinsicht, warnt Heilmann: “Weil Deutschland damit gegen EU-Recht verstoßen wird, werden bis zum Ende des Jahrzehnts hohe zweistellige Milliardenzahlungen fällig.”
Auch die meisten Sachverständigen sehen das Gesetz kritisch – darunter auch einige, die von den Koalitionsfraktionen selbst benannt wurden. “Die Abschwächung der Sektorverantwortung gefährdet die Zielerreichung und erhöht die Gefahr einer Verletzung des Klimaschutzgebots und des Gebots intertemporaler Freiheitssicherung”, schreibt etwa die von der SPD benannte Umweltanwältin Roda Verheyen in ihrer Stellungnahme. Auch das von der FDP eingeladene Potsdam-Institut übt Kritik an einigen Aspekten: “Bezüglich der Gewährleistung der Einhaltung europäischer Zielvorgaben stellt der Entwurf einen Rückschritt dar und weist Widersprüche auf”, heißt es in der PIK-Stellungnahme. “Eine so breite Ablehnung ist schon ungewöhnlich”, kommentiert Heilmann diese Aussagen. “Ich hoffe, dass die Abgeordneten der Koalition noch zur Vernunft kommen.”
Pro gibt Contra: ProQuote wirft “Bild” politische Spaltung vor. +++ Süd-Infos: Die “Süddeutsche Zeitung” steigt ins Geschäft der Professional Briefings ein. +++ Der Affe ist los: Alleinherrscher Wolfgang Grupp gibt Chefposten bei Trigema ab.
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SZ: Scholz nennt Einigung “historisch”
FAZ: Merz erklärt Gespräche über “Deutschlandpakt” für gescheitert
Tagesspiegel: “Kein großer Wurf”: Union gehen Beschlüsse des Migrationsgipfels nicht weit genug
Handelsblatt: Warten auf den Bau-Turbo
Sächsische Zeitung: Kretschmer fordert grundlegende Wende in der Migrationspolitik
Zeit Online: Ministerpräsidentenkonferenz: Was taugt ihre Lösung?
Spiegel: Lasche Abgasnorm Euro 7: Dieser Erfolg der Autolobby könnte Europa 100 Milliarden Euro kosten
RND: Einigung in der Migrationspolitik: Möge die Umsetzung besser funktionieren als die Kommunikation
T-Online: Nach BVB-Debakel gegen den FC Bayern: Gegen alle Zweifler
Business Insider: Signa-Kredite auf “Default”: Benko-Beben erschüttert Schweizer Privatbank Julius Bär, die dem “Wunderwuzzi” rund 600 Millionen Euro geliehen haben soll
Zeit Online: Donald Trump räumt im Betrugsprozess ungenaue Vermögensschätzungen ein
Welt: Frankreich: 10.000 Soldaten schützen die Juden – aber der Antisemitismus eskaliert
Spiegel Online: Schwer kranke Kläger dürfen Medikament für Suizid nicht kaufen
Handelsblatt: ING Deutschland verliert mehr als fünf Milliarden Euro an Einlagen
EU-Beitritt: Kommission will mit Kiew ab März verhandeln. Sie wird am Mittwoch den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine empfehlen. Kiew habe zwar nicht alle sieben Bedingungen vollumfänglich abgearbeitet, heißt es in Brüssel. Insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung, der Justizreform und den Minderheitenrechten gebe es noch Defizite. Die Ukraine soll aber nachliefern können, bevor es im März losgehen kann. Die Empfehlung entspreche einem “Ja, aber”, so Diplomaten. Das galt als Zugeständnis an die Mitgliedstaaten, die beim Dezembergipfel der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen müssen. Auch Moldau bekommt eine positive Empfehlung und kann auf einen Start der Beitrittsverhandlungen im Frühjahr hoffen. Georgien soll den Status eines Beitrittskandidaten bekommen.
Unklar bleibt, ob Bosnien-Herzegowina grünes Licht für den Start von Beitrittsverhandlungen bekommt. Die Kabinettchefs der 27 EU-Kommissarinnen und -Kommissare konnten sich am Dienstag nicht einigen. Die Entscheidung soll am Mittwoch im Kollegium getroffen werden. Wäre der Beitrittsprozess rein “merit based”, wie immer betont wird, wäre der Fall klar. Doch die Erweiterungspolitik ist heute auch Geopolitik. Kroatien, Slowenien, Österreich und Italien sollen dem Vernehmen nach über ihre Kommissare darauf drängen, das fragmentierte Bosnien-Herzegowina nicht in einem gefährlichen Vakuum zurückzulassen.
Stark-Watzinger: 50 Millionen Euro für Grüne Gentechnik. Noch hat die EU-Kommission nicht über die Novellierung des Gentechnikrechts entschieden. Doch in Erwartung einer Lockerung schafft das BMBF von Bettina Stark-Watzinger bereits Fakten und hat eine neue Förderrichtlinie veröffentlicht. Für “Moderne Züchtungsforschung für klima- und standortangepasste Nutzpflanzen von morgen” stehen in den nächsten vier Jahren 50 Millionen Euro zur Verfügung. Neue Züchtungstechniken wie die Genomeditierung sind explizit mit eingeschlossen. Ihr Haus setze darauf, dass die EU-Kommission den völlig veralteten und wissenschaftlich überholten Rechtsrahmen novellieren wird, so Stark-Watzinger. Der Pflanzenforscher Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben wertet die Ausschreibung als “nicht zu unterschätzenden Beitrag”. Biotech-Insider sehen die Ausschreibung als Signal der Ministerin sowohl an die Ampelkoalition als auch an Forschende, um weitere Abwanderung zu vermeiden. Mehr dazu lesen Sie im Research.Table.
Jobcenter-Haushalt: Heil setzt auf Ausgabereste. In den Verhandlungen um geplante Kürzungen bei Jobcentern setzt Hubertus Heil auf nicht verwendete Haushaltsmittel von anderen Ministerien. “Das ist sicherlich eine Stellschraube, über die auch zu diskutieren sein wird”, sagte der Bundesarbeitsminister am Dienstag anlässlich des “Tags der Jobcenter” in Berlin. Im Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 sind wie bereits im vergangenen Jahr 600 Millionen Euro dafür eingeplant, die zulasten anderer Ressorts gehen würden – sogenannte Ausgabereste. Laut Heil steht aber auch zur Debatte, “ob man da noch mehr herüberretten kann”. Der zuständige Ausschuss entscheidet Mitte November.
Heil setzt darauf, dass die breite Kritik an den Kürzungen Eindruck bei den Haushältern hinterlässt. Zuletzt hatten sich etwa der Landkreistag und Andreas Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), gegen die Kürzungen ausgesprochen. Am Mittwoch wollen zudem die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege vor dem Reichstag gegen Sparpläne im Sozialbereich protestieren. Bei den Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie für Verwaltungskosten sind derzeit Kürzungen in Höhe von 700 Millionen Euro veranschlagt. Die Summe könnte durch die Nutzung der Ausgabereste auf 100 Millionen Euro oder weniger gedrückt werden. Nicht eingerechnet sind allerdings 300 Millionen an Mehrkosten für Personal bei der BA, die aufgrund von Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst fällig werden.
China.Table: Antisemitismus in der Volksrepublik. Seit dem 7. Oktober breitet sich in Chinas Internetwelt Judenfeindlichkeit aus. Warum Verschwörungserzählungen und unreflektierte USA-Kritik einen fruchtbaren Nährboden finden, lesen Sie hier.
China.Table: Probleme mit Dual Use. Der Maschinenbauer DMG Mori erholt sich noch von dem Schock, als Lieferant für Russlands Waffenindustrie verdächtigt zu werden. Jetzt kommt eine zweite Enthüllung dazu: Präzisionsmaschinen von DMG Mori sollen in China bei der Entwicklung von Kernwaffen zum Einsatz kommen. Wie kompliziert die Einhaltung von Dual-Use-Regeln ist, lesen Sie hier.
Europe.Table: Trilog-Einigung zu politischer Werbung. Mehr Transparenz, weniger Targeting: Mit neuen Online-Regeln will die EU die Bürger vor äußerer Einmischung und Manipulation schützen. Doch ein zentrales Ziel der schon 2021 von der EU-Kommission auf den Weg gebrachten Verordnung wird verfehlt. Worum es geht, lesen Sie hier.
Europe.Table: Kompromiss bei EU-Schuldenregeln. Am Donnerstag treffen sich die EU-Finanzminister. Ein Entwurf sieht vor, dass für alle Staaten mehrjährige länderspezifische Haushalte erstellt werden. Diese sollen eine solide Budgetpolitik und einen glaubwürdigen Schuldenabbau gewährleisten, wie es vor allem Christian Lindner fordert. Wie genau die Vorgaben aussehen sollen, lesen Sie hier.
ESG-Table: Der Rohstoff-Spagat. Eine neue Mine in Angola soll Europas Abhängigkeit von Seltenen Erden aus China verringern. Zugleich will der Betreiber die Lieferkette ökologisch und sozial sauber aufstellen. Wie das gelingen könnte, lesen Sie hier.
Bildung.Table: Übergang von der Schule in die Ausbildung. Jugendliche sind von der Vielzahl an Bildungsangeboten irritiert, glaubt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Er schlägt vor, den Übergang von Schule zu Beruf durch persönliche Lotsen zu erleichtern. Welche Ideen er dazu sonst noch hat, lesen Sie hier.
Bildung.Table: Geringere Kürzungen bei politischer Bildung. Nancy Faeser hat verkündet, dass die Bundeszentrale für politische Bildung doch nicht mit einer Mittelkürzung von 20 Millionen Euro rechnen muss. Unklar ist allerdings weiterhin, wie es mit anderen Projekten zur politischen Bildung aussieht. Was den Trägern in die Karten spielen könnte, lesen Sie hier.
Deutschlandfunk
ca. 6:50 Uhr: Michael Gahler (EVP) Ukraine-Berichterstatter Europaparlament: EU-Beitritt der Ukraine
ca. 7:14 Uhr: Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident Schleswig-Holstein: MPK-Ergebnisse
ca. 8:10 Uhr: Peter Neumann, Sicherheits-Experte: Droht dschihadistische Terrorwelle?
rbb24-Inforadio
ca. 7:05 Uhr: Mehmet Can, Lehrer Rütli-Campus: Folgen des Nahost-Konflikts an Berliner Schulen
ca. 7:25 Uhr: Eva-Maria Welskop-Deffaa, Caritas-Präsidentin Deutschland: Protest gegen Sozialkürzungen
Das Erste
7:15 Uhr: Gerald Knaus, Migrationsforscher: Asylverfahren in Drittstaaten
8:15 Uhr: Verena Hubertz (SPD), Fraktionsvize: Gutachten der Wirtschaftsweisen
Mittwoch, 8. November
Thomas Popp (parteilos), Staatssekretär in der sächsischen Staatskanzlei, 62 / Stephan Protschka (AfD), MdB, 46 / David Wulff (FDP), Generalsekretär Mecklenburg-Vorpommern, 38 / Sigrid Göhler, Schauspielerin, 81 / Heike Maurer, Moderatorin, 70
Unser Tipp führt Sie heute auf Berge, in Wüsten und an Meeresufer. Der britische Autor Tim Marshall hat sich die Geographie von Staaten und Kontinenten vorgenommen und beschreibt eindrücklich die Zwänge sowie die Vor- und Nachteile, die sich daraus für die jeweilige außenpolitische Strategie eines Landes ableiten. Folgt man Marshall, dann fußt Russlands Außenpolitik auch darauf, dass der Westteil des Landes eine große Ebene und damit ungeschützt ist. Was zum Teil erklären würde, warum der Kreml aggressiv gegenüber der Ukraine und dem Westen auftritt. Zwar wirken nicht alle Thesen Marshalls gleichermaßen schlüssig. Doch nach Lektüre seines globalen Überblicks ist man allemal klüger.
Tim Marshall: Die Macht der Geographie | dtv
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