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Erscheinungsdatum: 30. September 2025

Kabinettsklausur I: Wenn ein Gast dem ganzen Land den Spiegel vorhält

Markus Brunnermeier Kabinettsklausur
Markus Brunnermeier (picture alliance / dts-Agentur)

Kabinettsklausur I: Wenn ein Gast dem ganzen Land den Spiegel vorhält. Wahrscheinlich hat nicht mal Lars Klingbeil selbst geahnt, dass er zum Start in die Kabinettsklausur den denkwürdigsten Satz zur Lage aussprechen würde. Nach dem Vortrag des Princeton-Ökonomen Markus Brunnermeier über die Notwendigkeit einer ganz neuen Resilienz in Wirtschaft und Gesellschaft erklärte der Finanzminister, man kämpfe ja an vielen Stellen schon für diese neue Resilienz. Aber: „Im Prinzip ist unser Hauptgegner die Laune.“ Gerade mal eine gute Stunde war ins Land gegangen, so berichten es Teilnehmer, und schon debattierte die komplette Runde nicht mehr über dieses oder jenes Detail künftiger Beschlüsse, sondern sprach über das, was allen Mitgliedern die meisten Sorgen bereitet: die politische Stimmung im Land.  

Gemeint sind nicht die schlechten Umfragewerte; gemeint ist die Atmosphäre, in der Deutschland feststeckt. Boris Pistorius beklagte eine große Veränderungsmüdigkeit. Er wird zitiert mit der Klage, zu viele Menschen fänden „alles schlecht, alles negativ“. Dabei sei angesichts der Herausforderungen genau das Gegenteil nötig. Karin Prien benannte die überragende Aufgabe, ein neues Mindset mit Aufbruchstimmung und Neugier auszulösen. Eine zentrale Frage laute, „wie wieder Lust an Entdeckung“ und Neuanfang ausgelöst werden könnte. Fasst man die Zustimmung zusammen, dann wird deutlich, dass die schlechte Laune im Land wie eine Betonplatte über allen Versuchen liegt, den versprochenen Neuanfang wirklich anzustoßen.  

Vorausgegangen war ein Auftritt, der infrage stellte, was als selbstverständlich galt. So lobte Brunnermeier zunächst das deutsche Erfolgsmodell der letzten Jahre, pries die besondere Stabilität – und die Fähigkeit zur Verfeinerung von Produkten und Prozessen. Das habe Deutschland erfolgreich gemacht. Jetzt aber würden sich genau diese Qualitäten gegen das Land wenden, weil es damit nicht flexibel genug sei, um auf die radikalen Umbrüche weltweit adäquat und kreativ zu antworten. Um genau diese Form von neuer Resilienz gehe es jetzt, so Brunnermeier. Eine Resilienz, die sich an der Frage festmacht, wie beweglich, wie mutig und wie resolut das Land auf diese neue Welt reagiert.  

Die Probleme kommen nicht mehr langsam über die Welt, sondern über Nacht, hart und disruptiv. Der Wissenschaftler erinnerte an die Pandemie, an den Krieg in Europa und an die Bedrohungen durch Systemgegner weltweit, allen voran China. Seine Empfehlung: Courage haben, auch zu größten Veränderungen, wenn es sein müsse. Einzige, aber zentrale Voraussetzung dafür: Mut und Optimismus. Oder wie es ein Kabinettsmitglied ausdrückte: Man brauche einen Stimmungswandel mit Aufbruchstimmung. Womit man bei Klingbeils Satz vom Anfang wäre. Wie der Kanzler die Stimmung drehen möchte, bleibt erstmal offen. Am späteren Nachmittag aber heißt es in Kanzlerkreisen plötzlich, man könne ja auch über eine neue Ruckrede nachdenken. Am 3. Oktober zum Beispiel. Stefan Braun 

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Letzte Aktualisierung: 30. September 2025

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