Interview
Erscheinungsdatum: 10. Dezember 2023

Martin Dulig über die SPD: „Wir sind kurz über der Nulllinie“

Der SPD steht in Sachsen ein denkbar schwieriges Wahljahr bevor. In Umfragen steht sie bei sieben Prozent. SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig über die Wirkung des Berliner Parteitags für die Wahl, die schwierige Kenia-Koalition und den Umgang mit der AfD.

Ist der Parteitag eine Hilfe für die SPD in Sachsen?

Auf jeden Fall. Würde sich der Vertrauensverlust in die Ampel fortsetzen, käme das in Sachsen ganz besonders schlecht an, denn bei uns im Freistaat gibt es keine typische Parteienbindung bei den Wählern. Jede Form der Stabilisierung ist für uns wichtig.

Geht es so leicht – ein Parteitag, und die SPD steht bundesweit jetzt wieder stabil da?

In der Gesellschaft ist die Lage besser als die Stimmung. In der SPD ist die Stimmung besser als die Lage. Insofern ist uns ein Durchbruch gelungen. Viele haben auf die Rede von Olaf Scholz gewartet. Die Erwartung war hoch, aber nicht so überbordend, dass sich jemand die Lösung der Haushaltsprobleme erhofft hätte. Mit seiner Rede hat uns Olaf Scholz wieder Orientierung gegeben. Seine Rede war authentisch und für seine Verhältnisse mit Emotionen vorgetragen. Man hat Haltung gespürt.

Auffällig war der Gedanke, dass die SPD in ihrer Geschichte Menschen oft in Armut vertreten habe, ohne zu hetzen oder spaltend aufzutreten – in bewusster Abgrenzung zur AfD.

Genau. Auch zu früheren Zeiten haben die Leute nicht alles verstanden. Aber sie haben sich darauf verlassen, dass die SPD ihre Interessen vertritt. Dieses Grundvertrauen müssen wir uns wieder erarbeiten. Veränderung macht Angst – das ist keine neue Weisheit. Es stellt sich gerade nur die Frage neu, wer den Menschen Sicherheit gibt.

Und? Wer gibt Sicherheit?

Der Kanzler und wir als Partei. Olaf Scholz hat zum Empfang minutenlang Applaus bekommen. Diese Rede und der Beifall hinterher waren wichtig für ihn, das hat er verstanden und uns das Signal zurückgegeben. Das war auch wichtig, für uns alle – es ist gerade alles schon sehr herausfordernd.

Und in Sachsen ganz besonders.

Ich habe langsam den Eindruck, dass die SPD als einzige Partei noch den richtigen Blick auf Sachsen hat. Wir haben einen Ministerpräsidenten, der als Politik-Unternehmer den Markt mit Thesen bedient und jeden Tag eine neue Position bringt. Er arbeitet sich an der Ampel in Berlin ab, aber gibt Sachsen keine Orientierung. Wir weisen als einzige darauf hin, was wir in den vergangenen Jahren gut gemacht haben und, dass Sachsen eigentlich sehr gut dasteht – viele Ängste und Sorgen unbegründet sind.

Die Grünen weisen auch auf die Erfolge der Kenia-Koalition hin. Nur die CDU tut sich schwer. Warum eigentlich?

Es geht weniger um die Frage, ob die Koalition funktioniert, es geht eher um die Stimmung im Land. In Sachsen werden in den kommenden Jahren 30 Milliarden Euro in Industrieansiedlungen investiert. 30 Milliarden! Das ist eine gigantische Zahl. Warum dann diese schlechte Stimmung? Das ist nur schwer zu verstehen.

Versuchen Sie eine Antwort.

Wir können uns hinstellen und den Leuten zusichern, dass ihre Arbeit sicher ist, auch wenn sie vielleicht eine andere sein wird. Aber in Sachsen verhetzen sinnlose Diskussionen übers Gendern oder Winnetou die knallharten sozioökonomischen Fragen. Das ist das große Dilemma. Die CDU und Kretschmer bedienen den massiven Vertrauensverlust in die Politik mit. Ich finde es schlimm, wenn man glaubt, man bekommt Wahlerfolge nur, wenn es schlecht läuft. Als Ministerpräsident eines Landes muss ich doch auch stolz darauf sein, wenn sich etwas entwickelt.

Sie kennen Michael Kretschmer schon lange. Wie erklären Sie sich sein Verhalten?

Michael Kretschmer hat die große Gabe, Stimmungen aufzunehmen. Es geht in einen Raum und spürt ihn. Das bringt ihm viel Zuspruch, die Leute sehen in ihm jemanden, der sie versteht. Aber er erzeugt auch viele Widersprüche, die ihm auf die Füße fallen können. Er kann auf der einen Seite erzählen, er sei bereit, eine Schuldenbremse zu reformieren, um ein paar Tage später im Bundesrat das Gegenteil zu behaupten. Und kaum jemand stört sich daran.

Alles Taktik?

Es ist nicht so leicht auseinanderzuhalten, was bei ihm Taktik ist und was nicht. Sein Politikstil ist erratisch. In guten Zeiten kann das helfen. In Krisenzeiten wird es irgendwann gefährlich für dieses Land – die knallharten haushaltspolitischen Fragen, die die Ampel jetzt zu lösen hat, haben auch für Sachsen massive Konsequenzen. Allein wenn die Unterstützung für die Mikroelektronik in Frage steht, geht es um 15 Milliarden Euro. Der Kanzler hat uns das Wort gegeben, aber TSMC will irgendwann auch eine Unterschrift.

Haben Sie Hoffnung, dass die Ampel in Berlin der Sachsen-SPD noch Rückenwind für die Landtagswahl geben kann?

Ich erwarte, dass sich die Ampel bis zur Wahl noch stabilisiert. Wir liegen in Umfragen zwischen sieben und acht Prozent, die AfD bei 32.

Wer sind diese 32 Prozent – Rechtsextreme, Frustrierte?

Es gibt die Überforderten, Frustrierten, die aus Hilflosigkeit der AfD hinterherlaufen. Und es gibt diejenigen, die ihr Kreuz ganz bewusst bei einer rechtsextremen Partei machen. Aber unser Fokus und Handeln darf nicht auf der AfD liegen. Wir machen sie nur stark dadurch, wenn wir sie zum eigenen Maßstab machen. Und trotzdem müssen wir die Motivation ihrer Wähler besser verstehen. Als die Energiepreisbremse voriges Jahr beschlossen wurde, ging die AfD in den Umfragen im Bund auf 14 Prozent runter. Die AfD verliert also, wenn wir den Leuten mehr Sicherheit geben.

Mit welchen Botschaften will die Sachsen-SPD mit Blick bei der Wahl 2024 antreten?

Unser Credo ist, dass Wirtschaft und Arbeit zwei Seiten derselben Medaille sind. Die meisten Bundesländer haben Soziales und Arbeit in einem Ministerium gebündelt, wir haben Wirtschaft und Arbeit zusammengefasst. Bei Löhnen sind wir immer noch Schlusslicht im Bund. Um das zu beenden, brauchen wir soziale und öffentliche Investitionen. Außerdem haben wir in Sachsen die härteste Schuldenbremse deutschlandweit. Ich habe sie damals mit beschlossen, aber ich halte sie in der Form heute für einen Fehler. Wir bremsen so notwendige Investitionen aus – das fällt uns und den folgenden Generationen auf die Füße.

Während Michael Kretschmer die Grünen regelmäßig abwatscht, will er mit seinem anderen Koalitionspartner, der SPD, wieder koalieren. Will die SPD umgekehrt auch wieder mit Michael Kretschmer zusammenarbeiten?

Die CDU Sachsen muss aufpassen, dass sie nicht einen hohen Preis für das mangelnde Vertrauen in die Zusammenarbeit bezahlt. Es ist denkbar, dass die gleichen Partner wie jetzt auch den nächsten Koalitionsvertrag aus- und den Demütigungsfaktor hinein verhandeln. Das Vertrauen hat sich über die Jahre in der Koalition aufgebraucht. Wenn das Grundvertrauen am Ende weg ist, ist eine Koalition nicht mehr arbeitsfähig. Wir sind jetzt gerade so kurz über der Nulllinie. Die CDU tut neun Monate vor der Landtagswahl so, als ob alle Gemeinsamkeiten aufgebraucht wären. Das ist kein gutes Signal.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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