Interview
Erscheinungsdatum: 08. Juli 2024

Katja Wolf: „Wir haben keinen Wunderstab, um AfD-Wähler zu gewinnen“

Der Wechsel der ehemaligen Linken Eisenacher Bürgermeisterin Katja Wolf zum BSW war eine Überraschung. Im Interview erzählt sie, welche Abwägungen sie zu der Entscheidung gebracht haben, warum das BSW nicht der „Heilsbringer“ gegen die AfD ist und sie es nicht als linke Partei sieht.

Frau Wolf, werden Sie Ende des Jahres einen Ministerposten in Thüringen haben?

[lacht] Das ist eine gute Frage, die eine Glaskugel Ihnen vielleicht beantworten kann, ich nicht.

Wenn ich richtig gerechnet habe, waren Sie den größten Teil ihrer Lebens Mitglied derLinken.

Das stimmt, ja.

Ihr Wechsel Mitte Januar kam überraschend – warum haben Sie sich dafür entschieden?

Weil man manchmal im Leben Entscheidungen treffen muss, die einem schwer fallen. Über die man auch lange nachdenkt, aber wo man nach einer durchaus zermürbenden Abwägung weiß, was richtig und was falsch ist. Und für mich war am Ende die Entscheidung richtig, zum BSW zu wechseln.

Als einen Grund für den Wechsel haben Sie Ihre Sorge vor dem Erstarken der AfD genannt…

Das war ein Grund. Es gab am Ende der Abwägung drei Gründe, die auf der Wechsel-Seite standen. Einer davon war die Sorge vor einem Erstarken der AfD. Der zweite war die verfahrene politische Situation in Thüringen. Nämlich, dass es schier unmöglich schien, eine vernünftige Regierungsbildung hinzukriegen. Und der dritte Punkt war, dass ich eine Entfremdung von der Linken gespürt habe.

Wer hat sich da von wem entfremdet?

Das war ein beidseitiger Prozess. Ich habe mich von der Linken entfernt, aber die Linke hat sich auch von mir entfernt.

Lassen Sie uns noch bei der AfD bleiben – bei den Kommunalwahlen und der Europawahl hat sich abgezeichnet, dass das BSW vor allem Stimmen bei Linken und SPD holt und der AfD nicht wirklich schadet – lässt Sie das an ihrer Entscheidung zweifeln?

Ich komme zu einem komplett anderen Ergebnis, wenn ich die Wahlergebnisse anschaue. Auch da, wo wir kommunal nicht angetreten sind, hat die Linke massiv an Stimmen verloren. In Eisenach zum Beispiel ist das BSW nicht angetreten und die Linke hat ihre Zahl der Sitze im Stadtrat trotzdem auf ein Drittel reduziert. Man kann dem BSW also nicht vorwerfen, dass die Menschen enttäuscht sind von der Linken, das ist nicht unsere Schuld.

Trotzdem haben Sie auch die AfD nicht nennenswert geschwächt. Wie wollen Sie strategisch damit umgehen?

Als ich mich entschieden habe, verantwortlich in die Landespolitik zu gehen, hatte die AfD in jeder Umfrage ein Plus. Sie stand bei 36 Prozent, mit steigender Tendenz. Und jetzt ist die AfD bei klar unter 30 Prozent in den Umfragen. Das ist enorm viel und für das Land ein wichtiger Schritt, der zumindest fürs Erste gelungen ist.

Sie halten ihre Strategie also für ausreichend, um die AfD bei der Landtagswahl zu schwächen?

Die Erwartung, die Sie dem BSW gegenüber formulieren, ist eine Zuschreibung, die wir so nicht leisten können. Wir sind nicht der Heilsbringer und haben keinen Wunderstab, mit dem wir AfD-Wähler zu uns ziehen können. Es ist nicht nur unsere Aufgabe, die AfD in den Griff zu kriegen. Es ist die Aufgabe von allen Demokraten ein Angebot zu machen, das als Alternative wahrgenommen wird.

Die Schwächung der AfD ist ein Ziel, das sie sich selbst auf die Fahnen geschrieben haben und woran Sie nach der Wahl auch gemessen werden.

Dieses Ziel ist wahnsinnig wichtig. Zurzeit ist das BSW die einzige Partei, der es überhaupt gelingt, als eine Alternative zur AfD wahrgenommen zu werden. Das ist ein wichtiger demokratischer Beitrag, den wir leisten. Für einen Neustart in Thüringen braucht es aber noch viel mehr als nur die Auseinandersetzung mit der AfD. Davon bin ich zutiefst überzeugt, weil ich die Enttäuschung der Thüringerinnen und Thüringer mit den etablierten demokratischen Parteien kenne.

Kommen wir zu Ihrem dritten Beweggrund, den Sie genannt haben – Bodo Ramelow als Ministerpräsident ist das letzte Bollwerk der Linken. Die Mehrheit der Thüringer ist laut Umfragen mit seiner Arbeit zufrieden und trotzdem werden ihn vermutlich sehr viel weniger Leute wählen.

Die Zustimmung ist immer noch sehr beachtlich, aber sie ist auch wahrnehmbar zurückgegangen.

Woran liegt das?

Da gibt es nicht die eine Antwort, die diese Frage umfassend beantworten kann. Es gibt eine Ermüdung durch die Minderheitenregierung. Ramelow hat über den ständigen Kampf in Erfurt ein Stück weit die Verbindung zur Realität im Land verloren. Er hat die Nähe zu den Menschen verloren in Bezug darauf, wo der Schuh drückt. Und dann hat er nicht richtig analysiert, wie sich die Stimmung im Land verändert hat und welche Fragen die wirklich drängenden sind.

Welche Fragen sind das?

Das ist die Frage nach der Bildungspolitik; der Handlungsdruck ist groß, weil so viele Stunden ausfallen, manche Fächer schon überhaupt nicht mehr angeboten werden und die Unterrichtsqualität nicht gut ist. Lehrer sind ausgelaugt. Ihre Herausforderungen sind nicht mehr zu leisten. Auch wie in Schulen mit der Coronakrise umgangen wurde, hat für viel Unzufriedenheit gesorgt. Dann gibt es den schwelenden Konflikt durch ein Stadt-Land-Gefälle. Die Menschen auf dem Land haben das Gefühl, abgehängt und nicht wahrgenommen zu werden von der Landespolitik. Und dann die Frage nach dem Umgang mit Einwanderung; die Landesregierung hat vor Ort zu wenig konkret geholfen, dass Integration auch gelingen kann. Man kann nicht nur „Herzlich Willkommen!“ rufen.

Sie haben die komplizierten Mehrheitsverhältnisse angesprochen – laut jetziger Umfragen kann es sein, dass die anderen Parteien nach der Wahl nicht an Ihnen als Koalitionspartner vorbeikommen – was wäre ihre Lieblingskoalition?

Ich meine das aus tiefstem Herzen: Ich habe keine Lieblingskoalition. Alle demokratischen Parteien müssen prinzipiell miteinander koalitionsfähig sein. Ich persönlich finde auch die Brandmauer, die die CDU gegen die Linke aufrecht erhält, falsch, weil sich die Linke im Osten als demokratische Partei etabliert hat. Demokraten müssen miteinander reden und Kompromisse finden können. In welcher Konstellation man am Ende die meisten Schnittmengen finden kann, werden die Gespräche nach der Wahl zeigen.

Grundsätzlich wären Sie offen für eine Koalition mit der CDU?

Grundsätzlich bin ich bereit, mit der CDU in Sondierungs- und Koalitionsgespräche zu gehen. Ebenso würde ich auch mit SPD, Grünen und Linken reden.

Laufen schon Gespräche?

Man trifft sich natürlich auf Veranstaltungen, so wie andere Kollegen auch und dann macht man Smalltalk. Ich habe ein enges Verhältnis zu ein paar Kollegen von der CDU, die dem nächsten Landtag aller Voraussicht nach angehören werden. Mit denen trinkt man auch manchmal einen Kaffee und teilt sozusagen die Sorge um das Land. Aber es gibt keine formalen Gespräche, nein.

Sie haben in wenigen Monaten einen Landesverband auf die Beine gestellt, der jetzt rund 70 Mitglieder hat. Wie sind Sie organisiert und wie haben ihr Co-Vorsitzender Steffen Schütz und Sie sich die Arbeit aufgeteilt?

Für mich ist die Situation jetzt noch einmal neu, weil ich erst seit Montag nicht mehr Oberbürgermeisterin bin. Das Amt hatte für mich bis zum Schluss Priorität und ich wollte es bis zum letzten Tag ordentlich machen. Wie wir die Arbeit aufteilen, haben nicht Steffen Schütz und ich entschieden, sondern der ganze Vorstand. Wir haben klare Zuständigkeiten – von einem kulturpolitischen Sprecher bis zu Regionalbeauftragten. Das funktioniert aber nur mit einem großen ehrenamtlichen Aufwand. Wir haben keine Geschäftsstelle, die - wie sonst üblich - von zehn Mitarbeitern am Laufen gehalten wird. Es ist noch sehr viel Improvisation gefragt.

Wie sind die Absprachen mit den Vorsitzenden in Berlin?

Immer, wenn wir eine Frage haben, die wir klären müssen, geben wir ein Signal und dann treffen wir uns zu einer nächtlichen Telefonkonferenz. Das sind vertrauensvolle Gespräche. Aber es ist ausdrücklich nicht so, dass wir regelmäßig Rapport nach Berlin erstatten müssen.

Wie würden Sie die Stimmung im Landesverband zurzeit beschreiben?

Ich fühle mich häufig an die Nachwendezeit erinnert. Die war davon geprägt, dass vieleMenschen ganz neu in die Politik kamen. So ist es heute auch bei uns. Unsere Kandidat*innen arbeiten als Tischlermeister oder Sozialarbeiter. Jetzt sitzen sie zusammen an einem Tisch und wollen etwas verändern. Alte Parteischranken spielen weniger eine Rolle als die Suche nach einer Lösung und die Macht des Arguments. Spannungen gibt es vor allem, weil einige Unterstützer, die schon viel ehrenamtliche Arbeit geleistet haben, Mitglieder werden wollen, aber das eben immer noch sehr langsam geht.

Hintergrund der Frage sind Austritte aus einem Kreistag in Gotha und auch aus demLandesvorstand. Da ist Mario Forchhammer ausgetreten und hat Ihren Führungsstilkritisiert – unter anderem als intransparent – was sagen Sie dazu?

Ich möchte da nicht nachtreten. Wir haben uns auch im Vorstand darauf geeinigt, dass wir das nicht tun. Für uns war es einfach schade und bedauerlich, dass Herr Forchhammer den Weg so gegangen ist und die Aussprache mit uns nicht gesucht hat. Er war in den Vorstandssitzungen dabei und hat sich leider nie zu Wort gemeldet. Er hätte viele Chancen gehabt, in den Sitzungen entsprechend auf eine andere Arbeitsweise zu drängen. Das hat er ausdrücklich nicht getan.

Mario Forchhammer ist also ein Einzelfall?

Als eines der ersten Parteimitglieder rechnet man sich bei der Listenaufstellung einen festen Platz und einen Einzug in den Landtag aus. Und wenn das nicht funktioniert, entsteht Enttäuschung und damit gehen Menschen unterschiedlich um. Diese Enttäuschungen gibt es in jeder Partei. Das habe ich in meinen inzwischen 35 Jahren Parteimitgliedschaft unendlich oft erlebt, egal ob auf kommunaler oder auf Landesebene.

Ist das BSW eine linke Partei?

Das Schöne am BSW ist, dass sie eine durch und durch unideologische Partei ist. So empfinde ich sie zumindest. Und dass sie sich in keine Schublade stecken lässt. Aber Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine linke Partei ist. Ganz sicher ist es eine Partei der sozialen Gerechtigkeit, aber sonst eben von Vernunft geprägt und nicht von diesem Links-Rechts-Mitte-Denken.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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