Nach zwei Wochen im Amt – was hat sich in der Gruppe verändert?
Wir sind gerade dabei, die Gruppe komplett neu aufzubauen. Ich übernehme ja nicht einfach eine Fraktion mit Infrastruktur und Mitarbeitenden, sondern starte mit den Kolleginnen bei null. Das heißt, ich mache gerade sehr viel organisatorische Arbeit. Wir müssen einen Haushaltsplan aufstellen und einen Stellenplan. Wir haben keine PCs mehr, keine Server, keine Lizenzen, bis hin zu den Kugelschreibern. Das müssen wir alles diskutieren und beschließen und dann neu anschaffen.
Was bedeutet das für die parlamentarische Arbeit?
Wir sind dabei, uns mit den neuen begrenzten Ressourcen zu organisieren. Früher konnten wir zwei Anträge pro Sitzungswoche einbringen, jetzt ist es nur noch einer alle zwei bis drei Wochen und meistens zu schlechten Zeiten. Aber das zwingt uns auch zu einer gewissen Fokussierung auf bestimmte Themen, die wir besser absprechen wollen. Dafür müssen wir gucken, welche Synergien wir nutzen und wie wir uns besser vernetzen können.
Was bedeutet das konkret?
Mir ist eine bessere Zusammenarbeit mit der Partei sehr wichtig. Sowohl mit der Bundespartei als auch mit unseren Landesverbänden und Gremien wie dem Ältestenrat oder der Linksjugend. Das ist ausbaufähig. Sören Pellmann und ich haben als Erstes eine Mail an den Parteivorstand geschrieben und angekündigt, dass wir an den Sitzungen teilnehmen und ins Gespräch kommen wollen. Wir sind offen für die Wünsche, die es von dort an uns gibt. Aber wir wollen auch die Position der Gruppe transparent machen und was für uns möglich ist und was nicht. Wir müssen uns strukturierter absprechen, auch bei den Themen, die wir setzen. Wie kriegen wir es hin, dass die Partei, die Gruppe und die Landesverbände sie gleichzeitig nach außen tragen und es auf allen Social-Media-Seiten zu sehen ist?
Sollte das alles nicht selbstverständlich sein – diese Zusammenarbeit gab es vorher nicht?
Es gab schon Gespräche, aber nicht in diesen Strukturen. Es gab keine klaren Absprachen, wer mit wem kommuniziert – das lief eher auf Zuruf. Am Anfang wird es etwas anstrengender, weil wir erst einmal mit allen über alles sprechen müssen, aber es wird sich lohnen. Nur wenn die Absprachen besser werden, können alle an einem Strang ziehen. Mir hat schon als Landesvorsitzende in Niedersachsen der Draht zur Bundespartei gefehlt. Da haben Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow damals erst angefangen mit Videokonferenzen. Um alle mitzunehmen, müssen alle voneinander wissen und das Gefühl haben, dass sie ihre Impulse einbringen können.
Wie ist die Reaktion von Parteiseite auf diese Initiativen?
Sehr positiv. Wir sind bei der Sitzung des Vorstands am 16. März dabei. Auf der ersten Videokonferenz mit den Landesvorsitzenden, war das Feedback so euphorisch, dass es mich fast ein bisschen betroffen gemacht hat. Denn eigentlich braucht es dafür ja nicht viel.
Warum waren Sören Pellmann und Sie nicht als Fraktionsvorsitzende möglich? Sie sind beide nicht aus dem Lager um Janine Wissler. Es hätte also vielleicht sogar Wogen glätten können.
Das galt auch für Dietmar Bartsch und Amira Mohammed Ali. Sie haben als Fraktionsvorsitzende kandidiert und wurden mit Mehrheiten gewählt. Aber das hat die Spaltung am Ende auch nicht aufgehalten, der Bruch war ja da. Dietmar hat das dann kommissarisch weitergeführt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Aber er hat auch immer klargemacht, dass danach Sense ist. Und da haben Sören und ich gedacht, gut, dann ist das jetzt wohl unser Ding und haben unsere Ideen für eine neue Organisation der Gruppe vorgelegt.
Sie haben die Abstimmung nur knapp gewonnen – wie wollen Sie in die Gruppe hinein Brücken bauen?
Das ist eine zentrale Aufgabe, denn es war ein knappes Ergebnis – es war ein ehrliches Ergebnis, und das ist auch vollkommen in Ordnung. Aber ich will jetzt eine Vorsitzende für alle sein und deshalb haben wir versucht, Ates Gürpinar und Clara Bünger auch gleich wieder mit an einen Tisch zu holen. Mit Ates habe ich schon ein Video zu Cannabis gedreht und mit Janine Wissler zum Equal Pay Day. Clara, die den meisten Grund gehabt hätte sauer zu sein, war bei der nächsten Sitzung wieder anwesend und hat professionell reagiert – das rechne ich ihr hoch an.
Wenn das jetzt alles so gut läuft – was war dann vorher das Problem? Welcher Knoten musste sich da lösen?
Die Spaltung war schon noch einmal ein Paukenschlag für uns alle. Wer jetzt bei der Linken ist, hat sich auch ganz klar für diese Partei entschieden. Wir haben gesehen, was passieren kann, wenn Gesprächskanäle komplett abreißen und es nicht mehr um das gemeinsame Ziel geht, sondern dass diese oder jene Person nicht nett zu mir war. Dabei ist man sich mit den meisten, wenn wir über unsere Kernthemen diskutieren, sehr schnell einig. Ich habe als Landesvorsitzende viel Erfahrung gesammelt, so viele Leute wie möglich für ein gemeinsames Ziel mitzunehmen und das will ich jetzt wieder in den Vordergrund stellen.
Was wird die Rolle der Gruppe bei den Europa- und die Landtagswahlen sein?
Auch dabei ist die neue Verzahnung das Wichtigste, und dass wir den Wählern zeigen, dass die Linke an einem Strang zieht. Denn die Gruppe kann die Partei aus rechtlichen Gründen ja nur begrenzt unterstützen. Aber wir wollen die Anträge, die wir im Bundestag stellen, mit den Landesverbänden abstimmen und Themen nach vorne bringen, die auch vor Ort relevant sind. Wir haben einiges in der Pipeline, das wir gerade besprechen: Gesundheit, aber auch Bildung oder kostenfreies Kita-Essen.
Themen, die auch das BSW betont – wie wollen Sie sich absetzen?
Programmatisch wissen wir immer noch nicht, was das BSW überhaupt fordert. Aber wir haben klar den Anspruch, die Partei zu sein, die sich vor Ort kümmert. Dieses Image der Kümmerer-Partei ist bei uns ein bisschen in Verruf geraten, weil manche sagen, wir dürfen die Menschen nicht entmündigen, sondern sollten sie eher ermutigen für ihre Rechte zu kämpfen. Aber das kann eben nicht jeder, wegen Job, Kind oder Krankheit. Ich bin um jeden froh, der sich engagiert, aber die Partei muss auch da sein, wenn es nicht geht. Deshalb wollen wir das Konzept „Die Linke hilft“ wieder stark machen und Strukturen vor Ort schaffen, die den Menschen konkret nützen, etwa mit Sozialberatung.
Wird das schnell genug gehen?
Wir haben die Strukturen teilweise schon und viele Kreisverbände, die aktiv sind. Es gibt viele Beispiele für Projekte, wie „Die Küche für alle“, die ein Genosse in Weißenfels organisiert. Mein Kreisverband in Schaumburg macht jetzt eine Initiative gegen Mieterhöhungen und wie sich Mieter dagegen wehren können. Das wird wahrgenommen von den Menschen. Und man kann sich natürlich hinstellen und viel versprechen, aber wir haben an vielen Stellen schon Lösungen, die wir anbieten können, die durchgerechnet und durchdacht sind.
Warum gehen Sie nicht offensiver mit dem BSW um?
Das BSW ist ein klassischer politischer Konkurrent, wie alle anderen auch. Ich merke es im Gespräch mit Leuten, dass es nicht gut ankommt, wenn ich immer nur kritisiere. Da kommt dann meistens die Frage: Aber was sind denn eure Lösungen? Deshalb ist es der richtige Weg, die nach vorne zu stellen. Aber natürlich kann man auch diese neue Partei, wie alle anderen, kritisch beleuchten. Im Bundestag ist unser Job als Opposition vor allem, uns an der Regierung abzuarbeiten. Manchmal aber auch an den anderen Parteien – ich denke, das wird bald automatisch beim BSW der Fall sein.
Hat Dietmar Bartsch Ihnen Ratschläge mit auf den Weg gegeben?
Er ist immer bereit, Ratschläge zu geben. Ich glaube aber, er ist auch ganz froh, dass er sich jetzt ein bisschen herausziehen kann. Wobei, ich habe ihn zum Verteidigungsausschuss verdonnert. Da hat er gesagt: Alles klar Chefin, mach’ ich. Also das funktioniert.