Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Mai 2024

Zwischen Schulden und Förderanträgen: Wie Kommunen um ihre Finanzen kämpfen

Viele Kommunen sind überschuldet, rund 70 haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Ihr Ziel: eine angemessene Finanzierung durch Bund und Länder – und weniger Förderbürokratie.

Im August 2023 sorgte Freisbach in Rheinland-Pfalz bundesweit für Aufsehen: Bürgermeister und Gemeinderat traten geschlossen zurück. Weil der kleine Ort fast alle Einnahmen an Land und Kreis abgeben musste, gab es kaum finanziellen Gestaltungsspielraum. Deswegen wollte er mehr ausgeben, als er einnimmt. Die Kommunalaufsicht lehnte ab und forderte eine Erhöhung der Grundsteuer. Das wollte die Gemeinde nicht und hat ein Dreivierteljahr später jetzt Erfolg : Der Haushalt inklusive der Schuldenaufnahme wurde im Mai genehmigt.

Aber das Grundproblem bleibt: Viele Kommunen sind überschuldet. 2023 waren die deutschen Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt – ohne die Stadtstaaten – erstmals seit 2011 wieder im Defizit. Das Minus betrug fast sieben Milliarden Euro. Ein Hauptgrund: stark gestiegene Sozialausgaben. 2022 hatten sie noch einen Überschuss von mehr als zweieinhalb Milliarden Euro. Und in Zukunft werden die finanziellen Herausforderungen eher größer als kleiner, weil etwa die Klimatransformation vielfältige Investitionen erfordert.

Um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen, haben sich rund 70 Kommunen aus acht Bundesländern in dem Bündnis Für die Würde unserer Städte zusammengeschlossen. In ihnen leben fast neun Millionen Menschen. Das Bündnis gibt es seit 2008, ursprünglich war es nur ein Arbeitskreis von Kämmerern. Inzwischen ist es ein wichtiger Akteur in der Diskussion um eine sogenannte Altschuldenlösung.

Sowohl Olaf Scholz als auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, der Ostbeauftragte Carsten Schneider und die Bund-Länder-Koordinatorin Sarah Ryglewski hätten in persönlichen Gesprächen ihre Unterstützung zugesichert, teilt die Gruppe auf Anfrage mit. Die Ampel-Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass es „einer gemeinsamen, einmaligen Kraftanstrengung des Bundes und der Länder“ bedarf.

Doch es gibt zwei große Hürden: Zum einen ist eine Grundgesetz-Änderung nötig. Betroffen wäre etwa Artikel 109, wonach Bund und Länder „in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig“ sind. Zum anderen fordert die Bundesregierung, dass jedes Land zunächst für sich eine Lösung mit betroffenen Kommunen findet. Alle Landeshauptstädte sollen die „übermäßigen Liquiditätskredite“ vollständig übernehmen, anschließend will der Bund die Hälfte tragen. Als übermäßig gelten sie laut Eckpunkten des Bundesfinanzministeriums, wenn ihre Höhe 100 Euro pro Einwohner übersteigt.

Eine Lösung ist in Sichtweite – nur NRW fehlt noch. Zwar hatte Düsseldorf bereits 2023 einen Vorschlag vorgelegt, der allerdings kaum finanzielle Eigenanteile erhielt. Nach Kritik auch von Christian Lindner wurde er zurückgezogen, in Kürze soll es einen neuen geben. Das Bündnis Für die Würde unserer Städte ruft Berlin dazu auf, die Bundeshilfen notfalls auch ohne das bevölkerungsreichste Bundesland anzugehen.

Mit öffentlichen Aktionen im Sommer will es seinen Forderungen Nachdruck verleihen. Details sind noch keine zu erfahren, da ein wesentlicher Teil der Wirkung „auf Überraschung“ basiere. Wegen der nötigen Grundgesetz-Änderung kommt der Union jedenfalls eine Schlüsselrolle zu. Gesprächsanfragen an Friedrich Merz seien bisher aber abgelehnt worden, auch Hendrik Wüst wolle derzeit nicht sprechen.

Unterdessen will das BMF, das sich schon unter Lindners Vorgänger Scholz an einer Lösung des Problems versucht hatte, vorankommen: Anfang Juli veranstaltet es eine Fachkonferenz mit Vertretern aus der Wissenschaft sowie aus Kommunen, Ländern und dem Bundestag. Erörtert werden sollen „konkrete Lösungsmöglichkeiten zur strukturellen Verbesserung der Kommunalfinanzierung“, wie ein Sprecher auf Anfrage schreibt. Zudem führe man weiter Gespräche, um die Chancen der Grundgesetz-Änderung zu erörtern. Derzeit sei jedoch „nicht erkennbar, ob die erforderlichen Mehrheiten erreicht werden können“.

Neben den Schulden beschäftigt die Kommunen noch ein zweites großes Finanzthema: Fördermittel. Der Bund gibt den Ländern Geld, das diese verteilen sollen. Das geht oft zu langsam, was Folgen hat. Auf der Bürgermeister-Konferenz machte das ein Amtsträger aus Hessen anschaulich: Bis 18 Wohnungen in seinem Ort fertiggestellt werden konnten, habe es sechs Jahre gedauert – davon gingen drei für das Warten auf Fördermittel drauf. Ähnliche Geschichten erzählten vor Ort auch andere. Manche überlegen deshalb sogar, ob sie bei der nächsten Kommunalwahl überhaupt noch mal antreten.

Weil vielen Kommunen die nötigen Mittel fehlen, können sie nicht in Vorleistung gehen. Wenn die Baubehörde ein Vorhaben schon genehmigt hat, aber noch keine Fördermittel fließen, heißt es deshalb: warten. Auch wenn beispielsweise die geplanten Kitaplätze dringend benötigt werden. Verkompliziert wird das Ganze durch die Antragstellung an sich: Wenn eine Kommune kein Personal abstellen kann, das sich häufig erst aufwendig in die Fördermaterie einarbeiten muss, hat sie Pech – oder muss externe Dienstleister beauftragen. Das heißt: Viele Kommunen müssen erst einmal Geld ausgeben, um an Geld zu kommen.

Eine große Zahl an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wünscht sich deshalb, dass ihnen der Bund die Förderung direkt zukommen lässt. Sie empfinden es als Misstrauen, dass sie penibel dokumentieren müssen, was sie wofür ausgeben. Deshalb erarbeitet das Bündnis Für die Würde unserer Städte gemeinsam mit dem Netzwerk Junge Bürgermeister*innen einen Reformvorschlag. Er soll im zweiten Halbjahr in Berlin präsentiert werden und sieht vor, die große Zahl an Förderprogrammen bei gleicher Gesamtsumme zu halbieren. Das Geld soll dann vorrangig pauschal verteilt werden, statt umständliche Einzelnachweise zu erfordern.

Auch das BMF will Vereinfachungen: Es erarbeitet derzeit eine Verordnung, die vereinfachte Verfahren für entsprechende Nachweise ermöglichen sollen. Gleichzeitig weist das Ministerium darauf hin, dass die Länder für den Umgang mit Bundesfinanzhilfen, die einen großen Teil der Förderung ausmachen, zuständig sind. Daher seien die Möglichkeiten, von Berlin aus die Abwicklung zu beschleunigen, begrenzt.

Eine Bundesfinanzhilfe ist etwa der sogenannte Kommunalinvestitions­förderungsfonds, der zwischen 2015 und 2025 sieben Milliarden Euro für die kommunale Infrastruktur und Schulsanierungen bereitstellt. 2024 will der Bund zudem auf ihm zustehende Anteile am Umsatzsteueraufkommen in Höhe von 1,75 Milliarden Euro verzichten. Damit sollen Mehrkosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen kompensiert werden. Ein entsprechendes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes befindet sich derzeit noch im parlamentarischen Verfahren. Eine Übersicht über die Entlastungsmaßnahmen des Bundes findet sich hier.

In einer Videobotschaft an die Bürgermeister-Konferenz sagte Lindner außerdem zu, sich für weniger Bürokratie einzusetzen. Sein Ressort verweist auf das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das vor der Sommerpause im Bundestag beschlossen werden soll. Es war Teil von mehreren Beschlüssen, die das Kabinett 2023 in Meseberg traf und zu denen auch das Wachstumschancengesetz zählt.

Die Meseberger Beschlüsse seien „das größte Bürokratieabbauprogramm, das es in Deutschland je gab“, so das BMF. Das könne dennoch nur ein erster Schritt sein, heißt es vom Ministerium – die Bundesregierung berate derzeit schon wieder über neue Vorschläge zum Thema.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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