Analyse
Erscheinungsdatum: 26. Februar 2024

Zum Tod von Alois Glück: Immer weit über den Tellerrand hinaus

Er war nie ohne Ehrgeiz und blieb doch immer bescheiden: der CSU-Politiker Alois Glück. Einen wie ihn hat die CSU heute nicht mehr. Am Montag ist Glück im Alter von 84 Jahren gestorben.

Es sind nicht immer die Lauten, die Alpha-Typen und Machtmaschinen, die in der Politik entscheidende Dinge voranbringen und damit Spuren hinterlassen, die weit über ihre aktive Zeit hinausweisen. Manchmal sind es die Leisen, die Nachdenklichen, die die Zeichen der Zeit früher erkennen und bei alledem meist weit über den nächsten Wahltag hinaus denken. Wenn sie dann zu ihren klugen Gedanken auch noch genügend Machtinstinkt mitbringen, um daraus praktische Politik zu machen, ergibt das eine sehr seltene Kombination. Vor allem in Deutschland, wo Intellektuelle in der Politik eher die Ausnahme sind.

Einer von dieser raren Spezies war Alois Glück. In der CSU, in der es nochmal ein ganzes Stück hemdsärmeliger zugeht als in anderen Parteien, war er eine Ausnahmeerscheinung. Klug und zugleich von beträchtlichem taktischem Geschick. Leise, und zugleich dominant genug, um 15 Jahre lang eines der mächtigsten Gremien der CSU zu führen: Die Landtagsfraktion, die sich mit ihren vielen Kreisvorsitzenden gern als Herzkammer der Partei verstanden hat. Eine Funktion, die sie in der Zeit nach Glück mehr und mehr verloren hat.

Glück war viele Jahre lang eine der prägendsten und wichtigsten politischen Figuren der CSU, auch wenn er es nie ganz an die Spitze geschafft hat. Ministerpräsident oder CSU-Chef ist er nie geworden. Glück hat stets über den Tellerrand der aktuellen Fragen hinausgeblickt und war deshalb in der Lage, einerseits Zukunftsperspektiven zu skizzieren, anderseits aber vor zu schnellen, simplen Lösungen zu warnen. Wenn andere in der CSU „Hurra“ gerufen haben, hat er gern „Obacht“ gesagt.

Glücks Lebenslauf macht der CSU schmerzhaft deutlich, was ihr heute fehlt, da ein Hubert Aiwanger die Landbevölkerung mit billigen, populistischen Botschaften aufwiegelt: Authentische Personen, die eine glaubwürdige Erzählung dagegensetzen können. Glück war ein Bauernbub, der schon mit 17 Jahren den elterlichen Hof übernehmen musste. In der katholischen Landjugend hat er sich dann Stufe um Stufe nach oben gearbeitet, zugleich als Autodidakt sein Wissen erweitert. Ein früher Schicksalsschlag hat ihn auch politisch geprägt: Sein Sohn ist schwerstbehindert. Glück hat das nie an die große Glocke gehängt, aber auch nie verschwiegen. Das „S“ im Parteinamen der CSU war für ihn immer wichtiger als für viele andere seiner Parteifreunde.

Und Glück hat sich schon für Umweltpolitik interessiert, als das in der Union noch irgendein Randthema war. „Als einer der ersten warnte er vor der Klimakatastrophe“, schrieb die Süddeutsche Zeitung schon im Jahr 1988 über ihn. Tatsächlich ebnete eine Katastrophe Glücks politischen Weg nach oben. Im robusten Kosmos von Franz Josef Strauß war der nachdenkliche Glück lange übersehen worden. Bis er nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl mit einer Rede im Landtag die in ihrer Kernkrafteuphorie tief erschütterte CSU stabilisierte.

Seine doppelte Botschaft damals: Die Kernkraft so lange nutzen, wie sie unentbehrlich ist, aber zugleich alles tun, um bessere Lösungen zu entwickeln. Strauß, dem Lob für Parteifreunde sonst nicht leicht über die Lippen ging, dankte Glück damals ausdrücklich für seine Rede. Und der damalige Fraktionschef Gerold Tandler stand von seinem Platz auf, um Glück demonstrativ die Hand zu schütteln. Glücks Ritterschlag.

Glück wurde danach als Umwelt-Staatssekretär endlich ins Kabinett Strauß berufen. Knapp zwei Jahre später war er dann Fraktionschef. Strauß, der zu diesem Zeitpunkt mit seinem Eintreten für die Steuerbefreiung für Flugbenzin einen Flächenbrand in der CSU ausgelöst hatte, hätte sich einen leichter beherrschbaren Kandidaten gewünscht. Doch die Mehrheit der Fraktion wollte Glück als neuen Vorsitzenden, Strauß musste klein beigeben.

Wenige Monate später starb Strauß. Und im komplizierten Machtgeflecht der Nach-Strauß-Ära spielte Glück dann eine zentrale Rolle. Immer wieder musste er zwischen den sich misstrauisch beäugenden Rivalen vermitteln, erst zwischen dem überforderten Ministerpräsidenten Max Streibl und Parteichef Theo Waigel. Danach zwischen dem schwerblütigen Waigel und dem hitzköpfigen Edmund Stoiber. Beide Herren hatten und haben eine der kompliziertesten persönlichen Beziehungen innerhalb der CSU und haben sich bis heute darüber nie ausgesprochen.

In der CSU wurde Glück gern der „wandelnde Vermittlungsausschuss“ genannt. Was einerseits seine Rolle treffend beschrieb, andererseits aber verdeckte, dass Glück durchaus auch selbst nach mehr strebte. Im Jahr 1989 wäre er gern einer der stellvertretenden CSU-Vorsitzenden geworden und alles schien bereits klar zu sein. Bis unmittelbar vor dem Parteitag Stoiber, damals Innenminister, ebenfalls seine Kandidatur erklärte, die er im Stillen eingefädelt hatte. Stoiber gewann die Wahl.

Bis heute nicht ganz klar ist, welche Rolle Glück im erbitterten Machtkampf zwischen Waigel und Stoiber um die Nachfolge des zurückgetretenen Regierungschefs Streibl 1993 spielte. Eine Zeitlang hoffte er wohl darauf, als lachender Dritter selbst Ministerpräsident zu werden. Zugegeben hat er das nie. Wahrscheinlich hat ihm am Ende immer das entscheidende Stück Brutalität gefehlt.

Nach der Landtagswahl 2003, in der Stoiber einer Zweidrittelmehrheit für die CSU gewann, wurde Glück Landtagspräsident, fünf Jahre später beendete er seine politische Laufbahn. Eine öffentliche Figur blieb er trotzdem. Von 2009 bis 2015 war Glück Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, auch außerhalb dieser Funktion war weiter ein geschätzter Ratgeber. So berief ihn Angela Merkel etwa nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 in eine neue Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung.

Glück ist immer wieder als „Vordenker“ der CSU bezeichnet worden, die FAZ nannte ihn gar einmal den „Hausphilosophen“ der Partei. Glück hat solche Attribute nicht sonderlich geschätzt, weil er nie nur ein Denker, sondern auch ein Gestalter sein wollte. Glück selber nannte das, was ihn antrieb, gerne „Realutopie“. Darüber nachdenken, was morgen sein könnte oder auch sein müsste. Immer wieder haben ihn die Umbrüche der Gesellschaft beschäftigt. In der CSU von Markus Söder ist weit und breit niemand zu sehen, der über solche Fragen nachdenken würde. Alois Glück ist am Montag im Alter von 84 Jahren gestorben.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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