Nachmittags hatten sie noch gezittert in der SPD-Parteizentrale. Aber als sich die Werte stabilisierten, schien klar: Dietmar Woidke bleibt Ministerpräsident in Brandenburg. Und der mutmaßlich alte neue Ministerpräsident räumte in der Telefonschalte der Parteiführung entspannt ein: „Die Brandenburger SPD hat es euch in diesem Wahlkampf nicht immer leicht gemacht.“ Vielleicht sei der Erfolg ja trotzdem auch im Sinne der Bundes-SPD. Für Olaf Scholz, weit weg bei den UN in New York, aber zugeschaltet und insofern trotzdem nah dran, hätte es weitaus schlimmer kommen können. Er dankte knapp, verbunden mit dem Hinweis, dass auch er beim Wahlkampf zuletzt in Potsdam den Stimmungswandel wahrgenommen habe.
Einen satten Zuwachs von rund fünf Prozent hat die SPD schon lange nicht mehr verbuchen können. Und doch blieb die Euphorie des Kanzlers zwangsläufig limitiert. Denn sein Erfolg war es nicht. Es war das Ergebnis des Ein-Mann-Wahlkampfes eines Ministerpräsidenten, der nichts von Berlin und nichts von seinem Kanzler wissen wollte. Scholz, die Parteivorsitzenden, der Generalsekretär: Alle waren sie im Wahlkampf in Brandenburg unterwegs – aber Wahlsieger Woidke hatte sie konsequent gemieden.
Und so wird die Atempause für den Kanzler nur eine kurze sein. Partei- und Fraktionsspitzen werden den Druck auf ihren Führungsmann noch einmal erhöhen. „Kleiner sind die Probleme nicht geworden“, analysierte in der Stunde des Erfolges Generalsekretär Kevin Kühnert. Sozialdemokratische Politik ist immer noch mehrheitsfähig, werden sie sagen. Dafür braucht es aber Voraussetzungen, und Genosse Woidke, obwohl auch nicht unbedingt ein Menschenfänger, hat es vorgemacht: mit einem pragmatischen Politikansatz, mit Sichtbarkeit, Haltung und Mut. „Dietmar Woidke hat uns ein gutes Beispiel gegeben“, sagte Kühnert am Abend. „Wir haben Dinge zu klären in den nächsten Wochen“, assistierte Parteichef Lars Klingbeil bei phoenix. Beide Anmerkungen durfte man auch als Grußadresse an Scholz verstehen.
Normalerweise bringt es Wahlkämpfern in den Ländern wenig, sich gegen die Bundespartei zu positionieren. Woidke hat das Gegenteil bewiesen, womit er auch an den früheren Ministerpräsidenten Gerhard Schröder erinnert, der sich einst erst gegen Rudolf Scharping auflehnte, das Amt des wirtschaftspolitischen Sprechers abgab und sich später dann im Duell gegen Oskar Lafontaine für die Kanzlerkandidatur die Latte selbst hochlegte. Auch Schröder war 1998 damit erfolgreich, weil er, wie nun Woidke, gradlinig, risikobereit und wenig taktisch erschien.