
„Opposition ist Mist!“ Mit diesem geflügelten Wort von Franz Müntefering dürfte Friedrich Merz in diesen Tagen aufstehen, den Tag verbringen und abends wieder ins Bett gehen. Dass das Nichtregieren keinen Spaß werden würde, ahnte er. Dass es ein so komplizierter, ja kaum lösbarer Mist werden könnte, das wird er im bösesten Albtraum nicht erwartet haben.
Während die AfD in den Umfragen immer stärker wird und die Ampel eher streitend durch die Legislaturperiode humpelt, steht in der Mitte ein CDU-Vorsitzender, der aktuell so ziemlich alles machen könnte und doch vor allem Kritik ernten würde. Gleich von zwei Seiten wird der Platz ganz vorne in der Unionsfraktion unangenehm. Zum einen muss er seit Beginn der Wahlperiode erleben, dass er in großen Plenardebatten für Entscheidungen aus der Vergangenheit gegeißelt wird, die er gar nicht zu verantworten hat. Zum anderen kann er es im Augenblick niemandem recht machen. Geht er auf die Regierung zu, heißt es, er sei profillos geworden. Kritisiert er die Regierung deutlich, dann kann er quasi darauf wetten, dass er mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er spreche ja schon wie die AfD.
Da hilft es ihm auch wenig, dass er wie zuletzt am vergangenen Sonntag zur AfD eine Art politische Brandmauer hochzieht und im ZDF erklärt: „Diese Partei ist ausländerfeindlich. Diese Partei ist antisemitisch. Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun, und hier wird es keine Zusammenarbeit geben – unter der Hand, über der Hand, auf dem Tisch, unter dem Tisch, mit mir und uns nicht.“ Deutlicher geht es kaum noch. Und doch kann er sich derzeit nicht aus der Zange befreien, für die einen zu weich zu sein und für die anderen viel zu nah dran an der Rhetorik der Rechten.
Ein bisschen müsste Merz sein, wie er eigentlich gar nicht sein kann.
Für Merz bedeutet diese Situation, noch mehr von Fall zu Fall jedes Wort abzuwägen und im Zweifel nicht dem ersten Impuls nachzugeben. Er bräuchte quasi eine perfekt ziselierte Art, aufzutreten und seine Partei zu führen. Ausgerechnet das aber zählt nicht zu den größten Stärken des Mannes, der Angela Merkel auch deshalb ablösen wollte, weil er sich für die aus seiner Sicht schläfrig gewordene CDU ganz anderes wünschte: Schwung, Klarheit, deutliche Aussprache. Ein bisschen müsste Merz so sein, wie er eigentlich gar nicht sein kann.
Der AfD gefällt das. Ihr kann derzeit nichts Besseres passieren. Sie wird vor allem bei den Unzufriedenen als vermeintlich wahre Opposition wahrgenommen. Keiner spricht über ihre internen Konflikte; keiner fragt nach, wie sie die Probleme lösen würde. Bequemer geht es kaum. Aus der Ampel wiederum gibt es viele, die nach den letzten Wahlen und den jüngsten Umfragen sorgenvoll auf die Entwicklungen schauen. Aber in dem Moment, in dem es um die Verantwortung geht für den mindestens virtuellen Zulauf zur AfD, zeigen sie auf die Union, auf Markus Söder und Merz, auf deren Attacken und behauptete Fundamental-Opposition.
Also werden sie in der Ampel nicht müde, auf Äußerungen aus Bayern oder aus Thüringen zu verweisen. Auf den Tweet der CSU, die Habeck als Stasi-Mann hinter dem Fenster zeigt; oder auf die Aussagen des Thüringer Parteichefs Mario Voigt, der ebenfalls gegen einen „Stasi-Habeck“ wettert. Und seitdem die CDU auch noch eine Kampagne gegen den „Heizungshammer“ gestartet hat, ist für viele in den Ampelparteien endgültig klar, wer die Schuld trägt am AfD-Boom.
Dabei wird vor allem bei Liberalen und Sozialdemokraten gerne unterschlagen, dass aus der Ampel selbst heraus sehr ähnliche Töne kamen. So sprach der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler früher als andere vom Heizungshammer und den Stasi-Methoden. Und er war nicht der einzige, der es genoss, auf die tägliche Bild-Zeitungs-Attacke gegen den Bundeswirtschaftsminister aufzuspringen. Selbst aus der SPD-Fraktion kamen Stimmen, die quasi ultimativ Änderungen am Gesetz forderten, obwohl alle SPD-Minister das Gesetz im Kabinett durchgewunken hatten. Doch jetzt, da sich die Konflikte in den Umfragen niederschlagen, zeigen alle auf Merz. Es habe doch da dieses Versprechen gegeben …
Wie Kritik formulieren? Wie sagen, was die eigenen Leute richtig ärgert?
Doch so verständlich das aus Sicht der Ampel-Leute sein mag – wer mit einer gewissen Distanz auf alles schaut, kann derzeit nur eines erkennen: dass die Ampel schwächer wird, die Union nicht profitiert und die AfD frohlockt. Gut ist deshalb, dass die Parteichefs von SPD, Grünen und Liberalen den Versuch unternehmen wollen, zusammen mit Merz zu überlegen, wie man der Entwicklung mit mehr Gemeinsamkeit begegnen könnte. Es wäre ein Anfang.
Bis dahin indes ändert das für Merz und seine CDU wenig. Für ihn ist die Gemengelage zu einem großen Dilemma geworden. Wie kann es gelingen, die Ampel zu kritisieren, ohne sofort in die Ecke der AfD gestellt zu werden? Wie überhaupt Kritik formulieren, ohne dass die AfD den Finger hebt mit dem Satz: Das sehen wir genauso, wir sagen es nur noch ein bisschen lauter? Wie sagen, was die eigenen Leute richtig ärgert, ohne als Kritiker in die rechte Ecke gestellt zu werden?
Ein Beispiel besonderer Art ist der Umgang mit dem Gendern. Dieses Thema berührt einerseits wichtige Identitätsfragen, insbesondere für jene, die jahrzehntelang unter Nichtanerkennung und Schmähung gelitten haben. Zugleich empfinden es aktuell weit mehr als nur eine kleine Minderheit in der CDU als zu viel, als Einmischung, als Eingriff ins Reden und Schreiben, manchmal als politische Korrektheit, die zu Unrecht weit wichtigere Themen zu verdrängen scheint. Das empfinden nicht nur die Konservativen in der CDU so; man kann es auch in Teilen der SPD und sowieso in der FDP hören. Doch als Merz es ansprach am Ende der vergangenen Woche, wurde es nicht zum nachdenklichen Hinweis, gar zu einem kleinen Brückenschlag in andere Parteien. Nein, Merz machte es mal wieder, wie Merz es meistens macht: Er nutzte das Thema für eine harsche Attacke, in der er von der „Meinungsmacht“ der anderen sprach, der man sich nicht beugen werde. Der CDU-Chef Merz gab keinen Anstoß zum Nachdenken; er sprang mit beiden Beinen in den Fettnapf.
So gesehen ist es nicht auszuschließen, dass er mit seinem Naturell an der verzwickt komplizierten Lage scheitert. Eines freilich will er sich nicht sagen lassen: dass er eine reine Dagegen-Opposition sei. Deshalb hat er seinen Leitungsstab Ende der vergangenen Woche nicht zum ersten Mal zusammentragen lassen, wie viele Initiativen die Ampel im Parlament bis heute eingebracht hat – und wie viele die Union mitmachte. Das Ergebnis hat selbst ihn und seine Truppe verblüfft: Von 188 Gesetzentwürfen und Initiativen hat die Union 108 zugestimmt. Gut möglich, dass Merz das in den nächsten Tagen noch häufiger erwähnen wird. Als Beleg dafür, dass er und seine Union doch gar nicht so schlimm sei, wie alle es behaupten würden.