Aktuell plant die Bundesregierung nach den von ihr selbst verlautbarten Aussagen fünf Gigawatt (GW) perspektivisch wasserstofffähige Kraftwerke und fünf GW Gaskraftwerke, für die keine zeitlichen Vorgaben zur Umstellung auf Wasserstoff fixiert sind, auszuschreiben. Weitere zwei Gigawatt Kraftwerksleistung sollen durch Modernisierung bzw. Umrüstung im bestehenden Kraftwerkspark hinzukommen und 500 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung stehen für ein Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerk bereit, das per Definition sofort und vollständig mit Wasserstoff betrieben werden kann. Ergänzend will die Bundesregierung auch 500 MW Leistung Strom-Langzeitspeicher ausloben.
So weit die Rahmenbedingungen. Zu begrüßen ist die klare Festlegung des Bundeswirtschaftsministeriums, die entsprechenden Ausschreibungen aller Säulen jetzt schnell auf den Weg zu bringen. Nur wenn dies tatsächlich geschieht, lässt sich der ursprüngliche Zeitplan, die neuen Kraftwerke bis Anfang des kommenden Jahrzehnts in Betrieb zu nehmen, noch einhalten.
Doch neben der Geschwindigkeit kommt es für die Unternehmen, die über eine Teilnahme an den Ausschreibungen nachdenken, auch auf deren konkrete inhaltliche Ausgestaltung an. Dabei geben die bisher bekanntgewordenen Informationen zu den zu erwartenden Rahmenbedingungen durchaus Grund für Optimismus: So soll neben dem Hauptanliegen, Fortschritte bei der Dekarbonisierung zu erzielen, auch der Aspekt der Versorgungssicherheit und damit konkret verbunden auch das Kriterium der Netzdienlichkeit in Form von Redispatch-Kosteneinsparungen und Netzstabilität berücksichtigt werden.
Die Festlegung, dass sämtliche der Kraftwerke – egal, im Rahmen welcher der oben beschriebenen Säulen sie gebaut werden, – „überwiegend im netztechnischen Süden“ (der übrigens ziemlich weit in den Norden Deutschlands reicht), entstehen sollen, macht deutlich: Berlin hat verstanden, dass Dekarbonisierung und nachhaltige Versorgungssicherheit nur Hand in Hand gelingen und nicht unabhängig betrachtet werden können.
Warum das so ist, lässt sich anhand eines Beispiels aus dem eigenen Haus gut illustrieren: Die Steag-Gruppe plant an drei ihrer Standorte im Saarland und in NRW den Bau genau solcher neuer Kraftwerke, die erst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden können. An diesen Standorten gibt es heute Anlagen, die mit Steinkohle befeuert werden und durchweg durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) als systemrelevant eingestuft sind. Dass diese Bestandsanlagen, wenn sie nicht durch Neubauten ersetzt oder umgerüstet werden, die Funktion der „Stromnetz-Feuerwehr“ bis über das Jahr 2030 hinaus noch mit Steinkohle werden erfüllen müssen, war bisher nur ein Expertenthema.
Als Unternehmen sind wir schon seit Jahren gewillt, diese Anlagen endgültig stillzulegen, doch die Erfordernisse von Versorgungssicherheit und Netzstabilität machen uns hier einen Strich durch die Rechnung: Ohne neue Kraftwerksleistung an gleicher Stelle besteht weder regulatorisch noch physikalisch eine realistische Chance, aus der Systemrelevanz entlassen werden zu können – die Anlagen müssten folglich bis auf Weiteres in Betriebsbereitschaft gehalten werden. Das wiederum stellt uns angesichts des Alters der Anlagen vor immer größere technische und die Netzbetreiber sowie letztlich die Privatkundinnen und -kunden vor immer größere finanzielle Herausforderungen.
Wenn aber stetig alternde Steinkohleanlagen mangels Alternative auf unabsehbare Zeit für einige Hundert Betriebsstunden pro Jahr einspringen müssen, dann mag man mit Blick auf das damit verbundene Verbot einer Marktteilnahme von einem teilweisen Kohleausstieg sprechen. Mit Blick auf die Klimabilanz kann man das aber gewiss nicht. Die Aufgaben der Altanlagen auf die Kraftwerke der nächsten Generation zu übertragen – inklusive des qualifizierten Bedienpersonals – macht also in jeder Hinsicht Sinn.
Ähnliches ließe sich mit Blick auf die auszuschreibenden zwei Gigawatt umzurüstender Kraftwerksleistung sagen: Hier wäre es sehr sinnvoll, jene „jungen“ Steinkohlekraftwerke im Sinne des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG) mit in den Blick zu nehmen, für die das besagte Gesetz ohnehin eine Einzelfalllösung für eine Stilllegung gegen Entschädigung in Aussicht gestellt hat. Und mit Blick auf die CO2-Bilanz würde die Umrüstung dieser Anlagen auf Erdgas und perspektivisch Wasserstoff einen echten Quantensprung bedeuten.