Analyse
Erscheinungsdatum: 04. April 2023

Wenn Grüne mit Weltkonzernen flirten

Bild: Mike Schmidt / Imago
Die Grünen und die Wirtschaft – das war lange Zeit eine komplizierte Beziehung. Trotzdem entstanden über die Jahre mehrere Organisationen, die eine Brücke schlagen wollten. Jetzt kommt mit der Wirtschaftvereinigung ein neuer Verband dazu. Für eine Partei, die regiert, klingt das logisch; für eine Partei, die den Lobbyismus kritisch beäugt, bleibt es etwas Besonderes.

Die SPD hat ihr Wirtschaftsforum, die CDU ihre Mittelstandsunion – und die Grünen hatten lange Jahre ihren Wirtschaftsdialog. Das klang ähnlich im Umgang mit der Wirtschaft und dem Versuch, Brücken ins unternehmerische Milieu zu schlagen. Aber vielen reicht das jetzt nicht mehr, weder in den Unternehmen noch in der grünen Partei. Deshalb wollen die Grünen ihr Verhältnis zur deutschen Wirtschaft jetzt auf ein neues, belastbares und größeres Fundament stellen – und werden am 25. April offiziell den Lobbyverband „Wirtschaftsvereinigung der Grünen“ ins Leben rufen.

Ohne Zweifel wird das bei manchen Frust auslösen. Insbesondere der grüne Wirtschaftsdialog, der sich seit Jahren vor allem dort, wo Grüne mitregieren, als Mittler und Beratungsinstanz verstanden hat, wird das ganze als neue und übermächtige Konkurrenz erleben. Aber, so ist es in den Reihen der Partei zu hören: Viele wichtige Akteure wollten einen effektiveren und mutigeren Brückenschlag, seit die Grünen den Bundeswirtschaftsminister stellen.

Der neue Verband genießt die volle Unterstützung der Partei. Sie gewährt nicht nur eine „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 120.000 Euro; auch die beiden Vorsitzenden haben eine Rolle: Ricarda Lang und Omid Nouripour sollen in den Beirat der Vereinigung einrücken. Noch nicht entschieden ist, ob auch Wirtschaftsminister Robert Habeck dem Gremium angehören wird.

Es waren zunächst vor allem Mittelständler, die im Rahmen einer neuen Plattform den Dialog suchen und das wirtschaftspolitische Profil der Grünen schärfen wollten. Dabei haben die Aufgeschlosseneren und Engagierten längst das Bild von der vermeintlich konservativ-altmodischen Wirtschaft als Gegenspielerin zu grünen Ideen aufgegeben. Im Gegenteil – so schildern es jedenfalls prominente Grüne – gibt es zunehmend mehr Unternehmen, vor allem familiengeführte, die selbst einen Beitrag zur Klimaneutralität 2045 beisteuern möchten.

Nach und nach sind inzwischen auch Konzernvertreter dazu gekommen. Einen Hinweis auf die Philosophie des Vereins hat der Vorsitzende Thomas Fischer, Chef der Düsseldorfer Managementberatung Allfoye, schon im Januar dem Handelsblatt gegeben: „Wir wollen ein starkes Deutschland, das nachhaltig wirtschaftet, klimaneutral erfolgreich. Nur so bleiben wir wettbewerbsfähig.“ Auch bei den Dax-Konzernen gebe es an dem neuen Dialog großes Interesse.

Der Vorstand ist in den vergangenen Wochen viel unterwegs, um für den neuen Verband zu werben. Mehrere Dutzend Mitglieder sind beigetreten, Konzerne wie die Telekom, Siemens, DHL oder auch die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland und andere) sind Fördermitglieder.

Dabei spielt natürlich auch eine Rolle, dass die Grünen mit Robert Habeck zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik den Wirtschaftsminister stellen. Versteht sich, dass Wirtschaftsverbände, Konzerne und Unternehmen an einem engeren Kontakt zu Habeck und seinen Mitstreitern interessiert sind.

Die neue Welt gilt freilich auch für die Grünen. Viele Jahre war ihr Beziehungsstatus zur Wirtschaft nicht unkompliziert. Für ihre Führungsleute waren Konzerne und Verbände wie BDI, DIHT oder Handwerkskammer eher schwierige Gesprächspartner. Umgekehrt hatte auch die Wirtschaft erhebliche Berührungsängste. Erst in den vergangenen Jahren begann sich das zu ändern. Als der frühere Parteichef Cem Özdemir 2016 den damaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Parteitag nach Münster einlud, wurden beide noch kritisch beäugt. Als im vergangenen Herbst in Bonn BDI-Präsident Siegfried Russwurm vorbeischaute, hatte sich das schon sehr verändert.

Wie anders fühlten sich da noch die ersten Gehversuche an, als die damalige Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae 2018 den Wirtschaftsbeirat der Fraktion ins Leben rief. „Nur zusammen mit Unternehmern und Managern wird es gelingen, den Klimawandel zu stoppen, den dafür dringend benötigten sozial-ökologischen Wandel zu vollziehen“, hieß es damals in einem Papier, das in mehreren Realo-Büros entstanden war. Es war der erste Versuch, Gesprächskanäle zwischen Fraktion und Wirtschaft zu eröffnen, um Ökonomie und Ökologie gemeinsam zu denken.

Von Seiten der Partei entstand ungefähr zur gleichen Zeit der Grüne Wirtschaftsdialog, angeführt von dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Thomas Gambke und der früheren Kölner Finanzdezernentin Gabriele Klug. Auch ihnen gelang es bereits, eine Reihe durchaus hochkarätiger Unternehmen – darunter Böhringer Ingelheim, MTU, Roche oder SAP – zu einer Mitgliedschaft zu bewegen. Doch die richtige Durchschlagskraft entstand dabei nicht. Das wird aber wenig daran ändern, dass Wirtschaftsdialog und Wirtschaftsvereinigung bis auf Weiteres in einem gewissen Spannungsverhältnis miteinander leben werden. Zumal der Wirtschaftsdialog die eigenen Defizite erkannt und seit 1. April einen zusätzlichen Mann als Geschäftsführer hat: den grünen Unternehmer und Bäckermeister Roland Schüren, der 2021 für den Bundestag kandidierte und sich selbst einen „Effizienz-Junkie“ nennt.

Auch der vor allem in die Fraktion hinein wirkende Wirtschaftsbeirat wurde nach dem Ausscheiden von Kerstin Andreae aus der Politik neu aufgestellt. Nun koordiniert und leitet ihn die Bundestagsabgeordnete und ehemalige baden-württembergische Landesvorsitzende Sandra Detzer. Er befasst sich derzeit mit der Frage der wirtschaftlichen Souveränität, also mit dem Ziel, Deutschlands Ökonomie unabhängiger zu machen und Wege zu einer neuen globalen Zusammenarbeit zu beschreiben.

Eine Partei, drei Beratergremien? Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mindestens zwei der drei mittelfristig fusionieren werden. Wie das aussehen kann, ist unklar. Aber Parallelveranstaltungen haben selten Gutes. Deshalb ist schon jetzt in der Partei zu hören, alle Beteiligten sollten irgendwann doch über einen gemeinsamen Auftritt nachdenken. Dabei werden die Grünen um eine Frage kaum umhinkommen: Wie hält es die Partei mit dem Lobbyismus? Die Wirtschaftsvereinigung will Durchschlagskraft erzielen. Manch älteres Parteimitglied wird das eher misstrauisch begleiten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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