Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Dezember 2022

Weniger Fleisch, mehr Aufklärung übers Essen

Anteil des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche

Debatten über den Lebensstil der Deutschen sind heikel. Cem Özdemir traut sich trotzdem. Sein Ziel: Eine gesündere und ökologischer ausgerichtete Ernährung.

Der grüne Bundesernährungsminister will die Deutschen zu einem gesünderen und nachhaltigeren Essen animieren. Dazu hat er nun Eckpunkte vorgelegt („Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung“), die schon innerhalb des Kabinetts Diskussionen ausgelöst haben. Und dabei wird es mutmaßlich nicht bleiben.

Denn letztlich will der Minister auf eine fleischärmere, eher pflanzenbetonte Ernährung der Deutschen hinarbeiten. Er nimmt dabei das defizitäre Wissen über Lebensmittel genau so in den Blick wie die überwiegend wenig nachhaltigen Produktionsketten oder die noch immer in großen Mengen verdorbenen Lebensmittel.

Dass die traditionelle, vielfach industrielle Landwirtschaft, die immer noch den ganz überwiegenden Teil der Lebensmittel produziert, Özdemirs Kurs widerstandslos folgen wird, ist dabei kaum zu erwarten. Bioanbau ist aufwendiger, braucht mehr Fläche und Zeit, etwa beim Umbau von Stallungen. Vor allem aber braucht sie Konsumenten, die bereit sind, höhere Preise zu bezahlen. Prompt hat die FDP über das Verkehrsministerium von Volker Wissing Einspruch eingelegt. Der Konflikt ist - auch auf Forderung des Kanzlers hin - inzwischen beigelegt.

Der Landwirtschaftsminister hat gute Gründe für seinen Entwurf: Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel verpflichtet, den Anteil des Öko-Anbaus von derzeit gut zehn Prozent bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. In Deutschland sorgen Tierhaltung und Nahrungsmittelproduzenten für rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen. Weltweit ist das Agrar- und Ernährungssystem verantwortlich für bis zu 80 Prozent des Rückgangs an biologischer Vielfalt.

In Deutschland sind die Nitratwerte in den Böden zu hoch, es werden zu viele Pflanzenschutzmittel eingesetzt, es gibt ein enormes Maß an Lebensmittelverschwendung, von Tierwohl in den Stallungen gar nicht zu reden - nachhaltig ist unser Ernährungssystem kaum zu nennen.

Zugleich ist die Nahrungsmittelindustrie ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor und die Agrarlobby ein einflussreicher Akteur, wenn es um Bodennutzung, Lebensmittel und ihre Produktionsbedingungen geht. Trotzdem sieht der Landwirtschaftsminister die Zeit für eine grundlegende Debatte gekommen.

Ein zentraler Ansatzpunkt für Özdemir sind die Orte mit Gemeinschaftsverpflegung, also Schulen, Kantinen, Mensen oder Krankenhäuser. Allen voran in den Kantinen der Bundesverwaltung soll sich der Anteil der biologisch erzeugten Lebensmittel signifikant erhöhen. Das Strategiepapier kündigt an, den in der Nachhaltigkeitsstrategie verankerten Zielwert (20 Prozent bis 2025) „ambitioniert zu steigern“, auch über die Zielmarke hinaus. Vorgesehen sind „möglichst saisonales Obst und Gemüse“ sowie „bevorzugt Lebensmittel mit geringen CO2-Emissionen durch kurze Transportwege“. Die „Bereitstellung von Leitungswasser in der Gemeinschaftsverpflegung“ soll den Trend weg von Zucker-Getränken forcieren.

Weil das Ernährungsverhalten maßgeblich in Kindheit und Jugend geprägt wird, erfahren junge Menschen besondere Aufmerksamkeit in Özdemirs Konzept. Fachlehrer sollen besser aus- und fortgebildet werden, Ernährungsthemen sollen mehr als bisher zum klassischen Unterricht gehören. Außerdem sollen bis 2030 alle Schülerinnen und Schüler „einen effektiven und kostenlosen Zugang zu mindestens einer gesunden Mahlzeit pro Schultag“ erhalten.

Überhaupt ist geplant, sich besonders auf jene Verbraucher zu konzentrieren, die schwer erreichbar sind oder als eher vulnerabel gelten. Kinder und Jugendliche, Menschen mit Migrationshintergrund oder auch ältere Menschen sollen gezielter als bisher angesprochen werden.

Debatten wird mit absehbarer Gewissheit der Hinweis auslösen, dass der Fleischkonsum der Deutschen „deutlich über dem ernährungsphysiologisch empfohlenen“ liegt. Dies gehe mit einem hohen Einsatz begrenzter Ressourcen einher und trage „erheblich zum Rückgang der biologischen Vielfalt bei“. Dabei könne angepasste Tierhaltung (etwa im Bergland) zu wertvollen Dauergrünlandflächen für die menschliche Ernährung beitragen.

Auch der Verschwendung von Lebensmitteln wird in dem Eckpunktepapier ein eigenes Kapitel gewidmet. In jedem Sektor der Versorgungskette sollen die Verluste bis 2030 halbiert werden, mit Hilfe geringerer Portionsgrößen, neuer Spendenregelungen und konkreten Ratschlägen für die Verbraucher. Man darf in diesem Zusammenhang davon ausgehen, dass auch das sogenannte Containern, also das bislang als illegal deklarierte Entwenden von Lebensmittelresten - etwa aus Supermarkt-Containern - neu diskutiert wird.

Angekündigt ist auch ein „nationales Ernährungsmonitoring“. Und das hat einen kuriosen Grund: Bei allen Bemühungen um Verbesserungen sind die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen nur unzureichend bekannt. Die letzte sogenannte Verzehrstudie, die die deutschen Ess-Präferenzen ausgeleuchtet hat, stammt aus dem Jahr 2006. Die nächste belastbare Untersuchung soll 2025 vorliegen.

Özdemir ahnt um die Konflikte, die kommen werden. Ihm ist an einem „kontinuierlichen und offenen Dialog“ gelegen, heißt es zum Schluss. Dies sei „die Grundlage für einen fortbestehenden Lernprozess“.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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