Die Lage der Liberalen erscheint paradox. In Umfragen steht die FDP oft unter und manchmal bei fünf Prozent, weil es ihr nicht gelingt, sich mit eigenen Erfolgen zu profilieren. Und doch ist die Stimmung kurz vor dem Parteitag prächtig, über alle Strömungen hinweg. Wie ist das möglich?
Offenkundig ist es Christian Lindner und der Parteiführung gelungen, den eigenen Truppen mit einem gut choreographierten Vorspiel zum Parteitag das Gefühl zurückzugeben, was „FDP pur“ heißt. Die Parteispitze hat sich entschieden, ohne Rücksicht auf die Koalitionspartner mehr reine Lehre zu demonstrieren. Den Anfang machten bessere Anreize für E-Fuels, die von den Grünen naturgemäß als Affront empfunden wurden. Es folgte der 12-Punkte-Plan vom Wochenende, den vor allem die Sozialdemokraten als Anschlag auf den Sozialstaat wahrgenommen haben. Und ergänzt wurde das aktuell von Fraktionschef Christian Dürr, der das gerade im britischen Unterhaus beschlossene Ruanda-Modell für Abschiebungen auch in Deutschland umsetzen möchte.
Das alles sorgt draußen für Ärger und im Innern der Partei für wohlige Zufriedenheit. Ob man mit Johannes Vogel spricht oder mit Frank Schäffler – alle haben das Gefühl, dass sie sich wieder Zuhause fühlen. So gesehen würde es niemanden überraschen, wenn der Parteichef im Wohlgefühl der aktuellen Lage auch in seiner Rede auf dem Parteitag noch ein Thema setzen würde. Zumal die ungeliebten Koalitionspartner genau das machen, was sich die Strategen um Lindner erhofft haben dürften: Sie halten dagegen, was in der jetzigen Stimmung nur zusätzliche Genugtuung auslöst.
Dazu kommt, dass die FDP nach langer Zeit zum ersten Mal wieder optimistisch in eine Wahl geht. Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat Lindner eine populäre Spitzenkandidatin gefunden, die zumindest der westdeutschen Parteibasis wieder Lust macht, in den Fußgängerzonen die Wahlkampfstände aufzubauen. 2013 hatte Lindner sie als Joker für den Wiederaufbau in der außerparlamentarischen Opposition aus der Düsseldorfer Kommunalpolitik nach Berlin geholt. Nun soll sie der Partei nach zahlreichen Landtagswahlniederlagen einen Erfolg in Brüssel bescheren.
Und doch gibt es die Sorge vor einer kleinen Niederlage. Es geht um einen Antrag, der ein Ende der Bescheidenheit bei den Parteitagen fordert. Die „Station Berlin“ steht symbolisch für den von Lindner angestoßenen Wiederaufbau nach der Katastrophe 2013.Der Ort war damals ein rustikal anmutendes, halbfertiges Kongresszentrum, das den Neuanfang versinnbildlichen sollte. Außerdem half die Festlegung auf diesen, vergleichsweise günstigen Ort dabei, den notwendigen Sparkurs umzusetzen. Aufbau und Logistik in der immer selben Halle sind deutlich einfacher. Trotzdem fordert der Bezirksverband Region Stuttgart nun, zu wechselnden Standorten zurückzukehren. In einem Antrag heißt es: „Mehrtägige Bundesparteitage sollen spätestens ab dem Jahr 2026 wie in früheren Jahren auch möglichst an wechselnden Orten stattfinden, bevorzugt in wahlkampf-führenden Bundesländern.“ Nicht ausgeschlossen, dass sich die Antragsteller damit durchsetzen.