Zwei Jahre ist der unmittelbare russische Überfall auf die Ukraine nun her, vor ziemlich genau zehn Jahren hatten russlandnahe Milizen damit begonnen, Teile der Ostukraine zu besetzen. Es folgten die Besetzung der Krim, weitere politische und militärische Nadelstiche und schließlich am 24. Februar das Überschreiten der Grenzen.
An diesem Donnerstag nun wird der Bundestag über den Krieg, westliche Solidarität, deutsche Waffenlieferungen und nicht zuletzt die Haltung der Bundesregierung dazu debattieren. Und erneut wird es dabei um die Frage gehen, ob die Deutschen den bedrängten Ukrainern nach Flugabwehrraketen und Leopard-Panzern auch weitreichende Marschflugkörper – insbesondere der Kategorie Taurus – liefern sollen.
Dazu haben die Regierungsfraktionen einen Antrag vorgelegt, der die Bundesregierung auffordert, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie in der Lage ist, ihre international anerkannten Grenzen „in vollem Umfang wiederherzustellen“. Dazu gehöre auch „ die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen“, um damit „strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors“ attackieren zu können.
Was sich eindeutig liest, ist indes keineswegs so klar. Denn die deutschen Taurus-Raketen, auf die die Ukraine gerne Zugriff hätte, um damit den militärischen Gegner in ernste Schwierigkeiten zu bringen, werden in dem eigentlichen Antrag nicht erwähnt. In einem Anhang heißt es stattdessen dazu: „CDU/CSU fordern in ihrem UKR-Antrag explizit die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Diese Forderung machen wir uns in unserem Antrag nicht zu eigen.“
Eine Interpretationshilfe gewährt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Eine rote Linie werde mit dem Antrag nicht definiert, weder in die eine noch in die andere Richtung. „Der Antrag heißt weder, dass wir jetzt Taurus-Marschflugkörper liefern – er schließt aber auch nichts aus.“ Von Seiten der SPD-Fraktion werde man sich eng am Kanzleramt orientieren – auch wenn dieses in seiner Abwägung irgendwann womöglich zu einer anderen Entscheidung als heute komme. Soll heißen: wenn Deutschland doch liefert. Bekanntlich sind Kanzler Olaf Scholz und sein Verteidigungsminister bisher nicht bereit, die Lenkwaffen bereitzustellen.
Der Koalitionspartner FDP ist da eindeutiger. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann machte gegenüber Table.Media deutlich: „Mit den genannten weitreichenden Waffensystemen können für uns Freie Demokraten nur Taurus-Marschflugkörper gemeint sein.“ Eine konkrete Nennung des Taurus sei an der SPD-Fraktionsspitze und der „Starrköpfigkeit des Kanzleramtes“ gescheitert. Auch der Auftritt von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe „anscheinend nicht ausgereicht, allen in der SPD verständlich zu machen, dass die Ukraine um unseren Frieden und unsere Freiheit und unsere Zukunft in Europa kämpft“, so Strack-Zimmermann, die den Bundestag nach der Europawahl im Juni wohl in Richtung Brüssel verlassen wird.
Schmid wiederum spricht von einem „klassischen Kompromisspapier“. Es sei mit dem Antrag darum gegangen, diejenigen Koalitionspolitiker, die schlagkräftigere und weiter reichende Marschflugkörper für die Ukraine fordern, genauso zufriedenzustellen wie jene, die auf eine schnelle friedliche Lösung optieren. Vor allem solle der Antrag „parlamentarische Rückendeckung sein für die Sicherheitsvereinbarung“, die Deutschland gerade mit der Ukraine verabredet hat. Damit werde der Abwägungsspielraum der Regierung für die Zukunft gewahrt.
Tatsache ist: Die von den Briten und Franzosen bisher gelieferten Waffensysteme sind nur bedingt in der Lage, strategische Ziele im Rücken der russischen Front zu attackieren. Auch deshalb haben die unter Druck geratenen Ukrainer großes Interesse ausgerechnet an den deutschen Lenkwaffen.
Die Bundesregierung jedoch zögert. Sie will der Ukraine helfen, Olaf Scholz hat die Interessen der Ukrainer bei der Münchner Sicherheitskonferenz gerade noch einmal ausdrücklich gewürdigt. Aber Taurus-Flugkörper stehen bisher nicht zur Debatte. Im Kanzleramt verweist man darauf, dass auch die Leopard-II-Panzer schon einmal als game changer gehandelt worden seien. Wirklich vorangebracht haben sie die Ukrainer bei ihrer Gegenoffensive bisher nicht. Auch in der SPD-Fraktionssitzung an diesem Dienstag warnte der Saarländer Christian Petry vor der Fokussierung auf ein einzelnes Waffensystem.
Für seine Zurückhaltung bei den Taurus-Marschflugkörpern hat Scholz gute Gründe. Er will Deutschland aus dem Krieg in der Ukraine so weit wie möglich heraushalten. Zumal er damit eine Mehrheit der Deutschen hinter sich weiß. Außerdem, so gibt SPD-Mann Schmid zu bedenken: Wie viel ist von der ukrainischen Zusicherung noch zu halten, nicht russisches Staatsgebiet zu beschießen, wenn das Land militärisch weiter unter Druck gerät? Und was sind die Zusagen noch wert, wenn Selenskyj nicht mehr Präsident der Ukraine sein sollte?
Ein Argument des vergangenen Sommers ist inzwischen wohl hinfällig: Zwar bräuchte es bei einer Taurus-Lieferung für die Zielerfassung der Raketen mutmaßlich deutsche Systemtechniker, aber nicht unbedingt ein Bundestagsmandat. Denn die Ingenieure könnten ihren Job genauso gut von deutschen Stützpunkten aus erledigen.
Dem gegenüber steht der Antrag von CDU/CSU für die Donnerstagsdebatte, der Russland eine „existenzielle Bedrohung“ nennt und dafür plädiert, in Deutschland „ein Bedrohungsbewusstsein“ zu schaffen. Vor allem aber fordert er die Bundesregierung auf, „die Ukraine durch unverzügliche Lieferung von erbetenen und in Deutschland verfügbaren Waffensystemen (u.a. TAURUS) sowie Munitionssorten im Kampf gegen Russland zu unterstützen“.
Natürlich will die Union die Debatte zuspitzen und nicht nur den Kanzler unter Druck setzen, sondern auch die Koalitionsfraktionen, in der Hoffnung, Taurus-Befürworter wie Toni Hofreiter von den Grünen oder Strack-Zimmermann gegen die eigenen Fraktionen in Stellung zu bringen. Eine Strategie, die zwar nicht die Koalition spalten wird, aber in einem Fall womöglich doch Erfolg hat: Strack-Zimmermann hat bereits angekündigt, am Donnerstag für den Antrag von CDU/CSU zu stimmen. Hofreiter kündigte in der Sitzung seiner Fraktion wiederum an, den Koalitionsantrag zu unterstützen – immerhin bleibe die Option von Taurus-Lieferungen erhalten.