Mit Bund und Gemeinden kam die Einigung erst nach einem Schlichtungsverfahren, jetzt geht es um die Länder: Am Donnerstag beginnt in Potsdam die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst (ÖD). Das Ziel der Gewerkschaften: Die Lücke schließen, die sich nach dem Tarifabschluss vom Mai im ÖD auftut zwischen den 2,5 Millionen Beschäftigten auf Bundes- und Kommunalebene sowie den 2,5 Millionen in den 16 Ländern. Besonders in Hamburg und Berlin wird laut der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) – die zusammen mit dem Beamtenbund (dbb) verhandelt – deutlich, dass wegen der hohen Lebenshaltungskosten „viel Druck auf dem Kessel ist“.
Neben der Kernforderung von 10,5 Prozent mehr im Monat für alle – mindestens 500 Euro – fordern die Gewerkschaften deshalb eine Stadtstaatenzulage von 300 Euro, für Nachwuchskräfte 150 Euro. Auszubildende sollen zudem unbefristet übernommen werden und genau wie Studierende und Praktikanten 200 Euro mehr bekommen. Die Antwort des Hamburger SPD-Finanzsenators Andreas Dressel, der dem Vorstand der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) vorsitzt: „nicht leistbar“.
Er verweist dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt von Mitte November : Es habe die „ohnehin schon angespannte“ finanzielle Situation der Länder noch einmal verschärft. Ähnlich äußerte sich zuletzt Dressels grüne Amts- und Vorstandskollegin Monika Heinold aus Schleswig-Holstein, die ihr Land in „Zeiten tiefster Krisen“ sieht. Weil auch dort auf Geld aus einem für mehrere Jahre beschlossenen Ukraine-Notkredit zurückgegriffen wurde, was laut Karlsruhe rechtswidrig ist, musste der Landtag handeln: Er erklärte für 2023 und 2024 eine Notlage, um sich mehr Spielraum zu verschaffen.
Verdi-Chef Frank Werneke sieht keinen Zusammenhang zu den Tarifverhandlungen. Schließlich seien die Beschäftigten nicht schuld daran, dass Länder in ihren Haushalten Konstruktionen eingebaut haben, die sich nun als verfassungswidrig herausstellen. Man sei zu Zugeständnissen bereit, die Vereinbarung dürfe aber nicht schlechter sein als die mit Bund und Gemeinden. Dort einigte man sich im Mai auf durchschnittlich 11,5 Prozent über 24 Monate. Die Laufzeit eines Tarifvertrags ist immer ein entscheidendes Kriterium, da erst danach neue Forderungen erhoben werden dürfen. In der aktuellen Runde will Verdi nur zwölf Monate.
Wenn die Gegenseite beim Gehalt nicht mitzieht, fürchtet die Gewerkschaft, dass viele Pflegekräfte die Universitätskliniken in Richtung kommunaler Krankenhäuser verlassen – für erstere sind nämlich die Länder zuständig, letztere profitieren vom erwähnten Abschluss. Ohnehin habe sich bei der Instandhaltung und Modernisierung von Krankenhäusern ein riesiger Investitionsstau aufgebaut. Trotzdem würden sich die Länder „einen schlanken Fuß“ machen, so Werneke.
Er plädiert für eine Reform der Schuldenbremse und lobt, dass es diesbezüglich „trotz aller Trommelei von Friedrich Merz auch vernünftige Stimmen“ in der Union gebe. Gleichzeitig kritisiert er den sächsischen CDU-Finanzminister Hartmut Vorjohann. Dieser ist Teil des derzeit verhandelnden TdL-Vorstands und lehnt den ebenfalls von den Gewerkschaften geforderten Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte an Hochschulen (TVStud) ab. Werneke wirft ihm vor, es als Recht des Staates zu sehen, mehrere hunderttausend Menschen ohne Tarifschutz zu lassen: „Für den Vertreter einer Landesregierung ist das schon sehr bedenklich.“
Der TVStud ist wie die Stadtstaatenzulage ein besonders umstrittener Punkt in den Verhandlungen. Studierendenvertretungen sind dafür, außerdem gibt es in fast drei Viertel der 16 Länder Koalitionsvereinbarungen oder Parlamentsbeschlüsse, die Tarifvorgaben für studentische Beschäftigte – bundesweit geht es um rund 300.000 Personen – vorsehen. Für die Finanzministerinnen und -minister hat das keine Priorität, sie wollen sich auf die Lohnabschlüsse fokussieren.
Unterstützung erhalten sie dabei vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), das in einer neuen Analyse vor überproportionalen Steigerungen bei unteren Lohngruppen warnt. Das verkleinere den Abstand der zwischen der Entlohnung von Geringqualifizierten und von Fachkräften. „Dadurch verlieren qualifizierte Jobs im Vergleich zu weniger qualifizierten an Attraktivität“, heißt es in dem Papier.
Länder-Verhandlungsführer Dressel gibt sich trotz der Kritik und zahlreichen Streiks in mehreren Bundesländern optimistisch, dass die kommende Verhandlungsrunde „noch rechtzeitig vor Weihnachten“ zu einem für Beschäftigte und Länderhaushalte machbaren Tarifabschluss führt.
Auf das Jahresende schauen die Beteiligten auch in der zum Teil seit April laufenden Verhandlungsrunde im Handel, der fünf Millionen Beschäftigte betrifft: Arbeitgeber fürchten Streiks, die das Weihnachtsgeschäft beeinträchtigen. Nach einem Spitzengespräch mit Verdi Ende November hofft der Handelsverband (HDE) auf eine baldige Lösung und betont, sein Angebot zuletzt nachgebessert zu haben.
Er bietet eine Laufzeit von 24 Monaten an, im Ergebnis würde das laut HDE eine Tariflohnsteigerung von über zehn Prozent bringen, in unteren Tarifgruppen bis zu 15 Prozent. Dazu käme eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von insgesamt 750 Euro. Verdi-Chef Werneke reicht das nicht. Der Arbeitskampf werde daher weitergehen, „bis wir ein befriedigendes Ergebnis haben".