Es ist eine heftige Kritikwelle, die über die Bundesregierung hereingebrochen ist. Nicht nur Umwelt- und Verbraucherverbände sowie die Opposition sind empört, dass die Stromsteuer entgegen der klaren Zusage aus dem Koalitionsvertrag doch nicht kurzfristig für alle Kunden auf das EU-Minimum gesenkt (und damit fast komplett abgeschafft) wird. Auch aus der Wirtschaft hagelt es Kritik. Und in den Koalitionsfraktionen gibt es ebenfalls viele, die von der Entscheidung überrascht wurden und sie nicht nachvollziehen können. Hektisch wird darum nach einem Ausweg gesucht.
Das Finanzministerium verweist darauf, dass Privatverbraucher und nicht-produzierendes Gewerbe beim Strompreis trotzdem entlastet werden sollen. Denn durch einen staatlichen Zuschuss sollen die Netzentgelte sinken. Während es dazu bei der Vorstellung des Haushalts am Dienstag noch keinerlei Details gab, hat das Ministerium angesichts der massiven Kritik inzwischen Zahlen genannt: Im Jahr 2026 sollen 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden für die „teilweise Übernahme der Übertragungsnetzentgelte sowie Umlagen“, teilte ein BMF-Sprecher Table.Briefings mit. Dadurch solle eine „Entlastung in einer Größenordnung von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde für alle Verbraucherinnen und Verbraucher“ erreicht werden. Das wäre immerhin die Hälfte der im Koalitionsvertrag angekündigten 5 Cent.
Allerdings sind diese Zahlen schwer nachvollziehbar. Der Gesamtstromverbrauch in Deutschland beträgt rund 460 Terawattstunden. Wenn wirklich alle Stromkunden gleichermaßen entlastet werden sollen, würden 6,5 Milliarden Euro nur langen, um den Preis pro Kilowattstunde um 1,4 Cent zu senken. Das BMF konnte auf Anfrage keine Details zur Berechnung nennen. Auch die Frage, welche Umlagen möglicherweise neben den Netzentgelten bezuschusst werden sollen, blieb offen. Darüber gibt es dem Vernehmen nach noch keine Einigung zwischen BMF und BMWE.
Zudem wird in Regierungskreisen darauf verwiesen, dass die Entscheidung zur Stromsteuer im parlamentarischen Verfahren noch revidiert werden könnte. Auch Unionsfraktionschef Jens Spahn soll sich in mehreren internen Runden so geäußert haben. Ziel bleibe es, die Stromsteuer „dauerhaft für alle zu senken“, wird Spahn zitiert. Sowohl in der Unions- als auch in der SPD-Fraktion laufen dazu bereits Beratungen. In der Union wird auch erwogen, die Senkung nicht wie zunächst geplant Anfang 2026, sondern erst ein Jahr später vorzunehmen. Für die SPD erklärte Fraktionsvize Wiebke Esdar gegenüber der dpa, weitergehende Entlastungen würden geprüft. „Gesetze werden im Bundestag gemacht, nicht im Kabinett“, sagte sie.
Fest steht: Für die Senkung der Stromsteuer für alle Verbraucher würde eine Gegenfinanzierung in Höhe von 5,7 Milliarden Euro benötigt. Durch Einsparungen an anderer Stelle dürfte ein Betrag in dieser Größenordnung kurzfristig kaum aufzubringen sein. Vorstellbar wäre aber, stattdessen andere im Koalitionsvertrag angekündigte Projekte zu verschieben. So liegen etwa die Kosten für die umstrittene Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie mit 4 Milliarden Euro pro Jahr in einer ähnlichen Größenordnung; für die Senkung der Gasspeicherumlage sind 3,4 Milliarden Euro eingeplant.
Aber auch die Bundesregierung selbst könnte die Entscheidung noch revidieren. Denn beschlossen hat sie am Dienstag nur den Haushaltsentwurf für 2025. Wenn die Stromsteuersenkung wie zuvor erwartet zum 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, müssten die entsprechenden Einnahmeverluste aber erst im Haushaltsentwurf für 2026 verbucht werden. Dieser wird derzeit noch erarbeitet und soll erst am 30. Juli vom Kabinett verabschiedet werden. Einen formalen Kabinettsbeschluss, die Stromsteuer zum Jahreswechsel nicht zu senken, gibt es darum bisher noch gar nicht; allerdings wurde das Thema nach Angaben aus Regierungskreisen dort beraten.