Berlin.Table: Die Bundesrepublik muss zurzeit jeden Tag 50.000 Euro Strafe nach Brüssel überweisen. Was ist da los?
Stephan Thomae: Zunächst hat es die unionsgeführte Vorgängerregierung versäumt, die Hinweisgeberschutz-Richtlinie der EU selbst rechtzeitig umzusetzen. Daraufhin hat die Ampel-Koalition einen guten Gesetzentwurf beschlossen, mit dem auch Strafzahlungen hätten abgewendet werden können. Durch ihr Einwirken auf den Bundesrat hat die Union allerdings erneut die rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie verhindert. Darin liegt die eigentliche Ursache für die Strafzahlungen.
Wer muss dafür jetzt aufkommen? Der Bundesjustizminister? Der Bund? Die Koalition? CDU und CSU?
Das Nachsehen bei diesem Versäumnis der Union haben am Ende die Bürgerinnen und Bürger. Denn letztendlich müssen die Strafzahlungen mit Steuergeld beglichen werden.
Ist es nicht peinlich, dass Deutschland zweimal die Frist reißt?
Diesen Schuh muss sich die Union anziehen. Die Ampel hat mit Hochdruck gearbeitet und ein gutes Gesetz vorgelegt, mit dem das von der Union geerbte Problem gelöst und die Hinweisgeber-Richtlinie rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt worden wäre.
In welchen Punkten hätte die Ampel der Union entgegenkommen können, um eine schnellere Einigung zu erzielen?
Die Ampel-Koalition hat auf Grundlage intensiver Gespräche mit zahlreichen Unternehmen ein gutes Gesetz vorgelegt. Die Richtlinie selbst lässt leider nur einen sehr geringen gesetzgeberischen Spielraum bei der Umsetzung zu. Diesen haben wir so weit wie möglich ausgereizt, um die Belastung für Unternehmen so gering wie möglich zu halten.
Ein Whistleblower-Schutz-Gesetz – warum brauchte es die EU, um so ein Gesetz anzusteuern? Warum gibt es das nicht längst in Deutschland?
Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen arbeiten redlich und haben zudem selbst ein veritables Interesse daran, dass Missstände in ihrem eigenen Haus angezeigt und schnell behoben werden. Hierzu haben sie in der Regel bereits Verfahren und Stellen geschaffen, um Compliance- beziehungsweise Rechtsverstöße in ihrem Unternehmen aufzudecken und zu beheben. Dennoch ist es sicherlich gut, den Hinweisgeberschutz auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen. Wichtig ist es der FDP-Fraktion dabei, Unternehmen dabei nicht übermäßigen bürokratischen und finanziellen Belastungen auszusetzen.
Diese Sorge nennt auch die Union immer als Begründung. Fachleute, etwa von Transparency International, halten sie für überzogen. Wie viel Druck bekommen Sie von den großen Wirtschaftsverbänden zu spüren?
Wir haben uns in der Gesetzesberatung sehr intensiv mit den Wirtschaftsverbänden, aber auch mit betroffenen Unternehmen ausgetauscht. Deren Sorgen nehmen wir sehr ernst.
Wem soll das Gesetz Schutz bieten?
Ein Hinweisgeberschutzgesetz schafft Rechtssicherheit für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber, aber auch für Unternehmen. Dabei sollen Personen, die Hinweise über Missstände oder Straftaten melden, vor arbeitsrechtlichen Sanktionen geschützt werden, die im Zusammenhang mit der Meldung stehen.
Gilt es nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen oder auch für Beamte im öffentlichen Dienst und in Bundesbehörden?
Das Gesetz gilt auch für Beamtinnen und Beamte im öffentlichen Dienst und in Bundesbehörden.
Woran hakt es aktuell?
Durch die Intervention der Union wurde der Gesetzentwurf der Ampel-Koalition im Bundesrat blockiert. Damit hat die Union weiter verzögert, dass die EU-Richtlinie endlich umgesetzt und Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wird.
Was ist der größte inhaltliche Streitpunkt?
Es liegt jetzt an der Union zu sagen, was sie möchte, damit wir schnell zu einer Lösung kommen. CDU und CSU wären aber gut beraten, mit ihren Forderungen nicht über das Ziel hinausschießen. Denn sonst droht zusätzlich noch eine Klage wegen EU-rechtswidriger Umsetzung der Richtlinie. Und damit wäre niemandem geholfen.
Gibt es bei der Blockade durch die Union auch Motive, die Sie verstehen?
Ich kann diese Blockade nicht nachvollziehen. Der Vorschlag der Ampel ist ein guter Kompromiss, der einerseits für umfassenden Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sorgt, gleichzeitig aber auch Unternehmen so wenig wie möglich belastet. Wir ermöglichen beispielsweise sogenannte Konzernmeldewege und haben die Frist zu der von der Richtlinie geforderten Einrichtung interner Meldewege durch Unternehmen maximal ausgereizt.
Was genau heißt das?
Die Einrichtung von Konzernmeldewegen ist ein wichtiger Punkt. Denn natürlich macht es Sinn, dass in einem Konzern, oder etwa bei Deutschem Roten Kreuz oder bei der Caritas, nicht jede kleinste Einheit mit 50 Mitarbeitern eine eigene interne Meldestelle einrichten muss, sondern dass sich Hinweisgeber an eine zentrale Stelle wenden können. Die Richtlinie gibt vor, dass Beschäftigungsgeber mit 50 bis 249 Mitarbeitern bis zum 17. Dezember diesen Jahres einen internen Meldeweg eingeführt haben. Diese Frist reizen wir maximal aus.
Das Kabinett hat inzwischen den Vermittlungsausschuss angerufen. Vermittlungsausschuss klingt oft nach: Oh je, jetzt wird es erst recht dauern. Wie wollen Sie ausgerechnet dort schnell sein?
Der Gesetzentwurf muss durch Bundestag und Bundesrat. Der Vermittlungsausschuss ist das gängige Instrument, wenn ein Gesetz den Bundesrat nicht passiert. Wichtig ist jetzt, dass alle Beteiligten an einen Tisch kommen, um schnell eine Einigung zu erzielen. Die FDP-Fraktion ist jederzeit startbereit.
Stand heute – wie sieht die beste Lösung aus?
Die beste Lösung wäre eine zeitnahe Verkündung eines Hinweisgeberschutzgesetzes im Bundesgesetzblatt, das die Richtlinie unionsrechtskonform umsetzt, Praktikabilität und Rechtssicherheit für Hinweisgeber und Unternehmen schafft, sowie bürokratische und finanzielle Belastungen für Unternehmen minimiert.
Kann sich Deutschland leisten, dass das schiefgeht?
Ich bin zuversichtlich, dass sich alle Beteiligten der Notwendigkeit einer zeitnahen Umsetzung der Hinweisgeberschutz-Richtlinie bewusst sind und wir schnell zu einer guten Lösung kommen werden.
Die EU verklagt Deutschland wegen der fehlenden Umsetzung jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof. Wie geht es damit weiter und wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?
Es steht bereits fest, dass Deutschland Strafzahlungen leisten muss. Je länger es dauert, bis das Gesetz verabschiedet wird, desto höher werden die Strafzahlungen ausfallen. Deswegen ist höchste Eile geboten.