Analyse
Erscheinungsdatum: 14. September 2023

Standpunkt zum Klimaschutzgesetz: Es könnte sehr, sehr teuer werden

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In Kürze verhandelt der Bundestag das überarbeitete Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup (SPD) warnt vor einer Verwässerung der Ziele und appelliert an seine ehemaligen Parlamentarierkollegen, die eigenen Rechte in Anspruch zu nehmen – und den überparteilichen Konsens zu suchen. Die Zeit drängt, denn jedes Jahr, in dem das Ziel verfehlt wird, kostet Geld.

Im vergangenen Juni hat die Bundesregierung eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes beschlossen, die eine austarierte Mechanik außer Kraft setzen soll. Sie riskiert damit Strafzahlungen bis zu einer dreistelligen Milliardenhöhe. Dabei sollten alle Fraktionen im Bundestag es besser wissen. In diesem Herbst muss der Bundestag darüber beschließen.

Zur Genese: Am 15. November 2019 wurde das Bundesklimaschutzgesetz von den Regierungsfraktionen der Union und SPD gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Es ist – wie das erste EEG auch – kurz und verständlich geschrieben und benennt klare Verantwortlichkeiten.

Ähnlich wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist das Klimaschutzgesetz von seiner Entstehung her ein Parlamentsgesetz. Seine wesentlichen Grundzüge finden sich in einem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2010. Der wurde seinerzeit federführend von Frank Schwabe und Matthias Miersch erarbeitet. Er orientierte sich am Klimaschutzgesetz in Großbritannien. Der SPD-Antrag wurde damals von der schwarz-gelben Koalitionsfraktion abgelehnt. Die Grünen stimmten für den Antrag, die Linke enthielt sich.

Das Klimaschutzgesetz stärkt den Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung. Hier gibt es Parallelen zur Aufstellung und Überwachung des Bundeshaushaltes. Sowohl beim Bundeshaushalt als auch beim Klimaschutz geht es um Budgets, die eingehalten werden müssen. Sonst – das zeigt die bloße Lebenserfahrung – laufen die Zahlen aus dem Ruder. Diese Chance sollte das Parlament nutzen.

Ohne Zweifel sind sektorübergreifende Maßnahmen in vielen Fällen der beste, schnellste und kostengünstigste Weg für einen erfolgreichen Klimaschutz. Deswegen sind sie auch ausdrücklich im Klimaschutzgesetz verankert. In einer Rede vor dem Bundestag am 18. Dezember 2020 wurde das Gesetz auch vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, ausdrücklich gelobt.

Am 24. März 2021 schrieb dann das Bundesverfassungsgericht Geschichte. Es gab dem Klimaschutz gleichsam Verfassungsrang und forderte konkret, dass die Minderung der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 zum Schutz der Freiheit künftiger Generationen näher geregelt werden muss. Das sollte bis zum 31. Dezember 2022 erfolgen. Mit der ersten Änderung des Klimaschutzgesetzes am 24. Juni 2021 hat der Bundestag mit den Stimmen der Union und der SPD gegen die Stimmen der Opposition (also auch Grüne und FDP) diese Vorgabe aus Karlsruhe erfüllt, die Klimaschutzziele bis 2030 deutlich verschärft und das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität auf 2045 vorgezogen.

Auch in den europäischen Rechtsrahmen ist das Gesetz eng eingebunden. Die EU legt eine jährliche Obergrenze für die Emissionen der Unternehmen fest, die am europäischen Emissionshandel (ETS) teilnehmen müssen.

Darüber hinaus gibt es für alle EU-Staaten verpflichtende jährliche Minderungsziele. Falls die Ziele in einem Staat verfehlt werden, muss er Emissionsrechte bei denjenigen Staaten kaufen, die ihre Ziele übererfüllt haben. Deutschland musste bereits für die Handelsperiode von 2010 bis 2020 Emissionsrechte erwerben, damals allerdings noch zu vernachlässigbaren Kosten.

Zunächst waren die EU-Vorgaben für Deutschland und die Ziele im Klimaschutzgesetz 2019 deckungsgleich. Mit dem Klimaschutzgesetz 2021 hat Deutschland die Vorgaben der EU übertroffen und damit zugleich ein wesentliches politisches Signal für die Verschärfung der europäischen Klimaschutzziele gesetzt. Mit dem Beschluss über die neue Lastenteilungsverordnung sind die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes seit März 2023 nunmehr nicht nur national, sondern auch innerhalb der EU verbindlich geregelt. Dies kann auch eine Reform des Bundesklimaschutzgesetzes nicht mehr ändern.

Im Koalitionsvertrag 2021 hatte sich die Ampel-Koalition noch ehrgeizige Ziele gesteckt: „Wir wollen mit aller Kraft vermeiden, dass Deutschland aufgrund einer Nichterreichung seiner Klimaziele EU-Emissionshandels-Zertifikate im Rahmen der EU-Lastenteilung kaufen muss, die den Bundeshaushalt belasten.“

Davon hat sie sich weit entfernt, wie aus der Stellungnahme des Expertenrates zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023 sowie dem Prüfbericht für die Sektoren Gebäude und Verkehr hervorgeht. Nun liegt erstes Zahlenmaterial über die drohende Zielverfehlung bis 2030 vor. Vor allem bedingt durch ein „fehlendes Gesamtkonzept“ der Bundesregierung, so der Expertenrat, ist bis 2030 eine Zielverfehlung von 35 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten im Gebäudesektor sowie 171 bis 191 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten im Verkehrssektor zu erwarten. Bei einem aufsummierten Überschuss von 226 Millionen Tonnen müssten in dieser Höhe Emissionsberechtigungen bei anderen EU-Mitgliedern gekauft werden.

Angesichts der beschlossenen Verschärfungen für die gesamte EU sind Knappheitspreise deutlich über 100 Euro pro Tonne sehr wahrscheinlich. Bei 100 Euro pro Tonne kämen ohne Kurskorrektur auf den deutschen Staat Zahlungen von rund 22 Milliarden Euro zu, bei 600 Euro pro Tonne wären es 132 Milliarden Euro. Niemand kann diese Preise und Kosten ausschließen. Das Risiko lässt sich nur durch eine gute, soziale und zugleich breit akzeptierte Klimaschutzpolitik minimieren. Angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Klimakrise sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein.

Deswegen sollte der Bundestag das Klimaschutzgesetz nicht abschwächen, vor allem nicht die jährlichen Sektorziele und die bei Zielverfehlung einzuleitenden Maßnahmen schleifen, sondern ganz im Gegenteil die eigenen Kontroll- und Sanktionsrechte gegenüber der Regierung stärken und in dieser Frage den überparteilichen Konsens suchen. Inzwischen zählt jedes Jahr, denn 2030 kommt es auf die angesammelten Gesamtemissionen an. Diese Fakten sollte auch Bundesfinanzminister Christian Lindner ernst nehmen und die notwendigen klimafreundlichen Investitionen in Deutschland ermöglichen. Sonst kann es teuer werden. Sehr teuer.

Klaus Mindrup (SPD) war zwischen 2013 und 2021 Mitglied des Bundestages und hat das Klimaschutzgesetz damals als zuständiger Berichterstatter 2019 und seine erste Reform 2021 maßgeblich mitverhandelt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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