Analyse
Erscheinungsdatum: 31. August 2023

Staatsbürgerschaftsrecht: Keiner da statt Kanada

Kiel, 25. Feb. 2023, Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen nun auch deutscher Staatsbürger. Er erhält während einer Einbürgerungsfeier im Kieler Rathaus nach seinem Gelöbnis die Einbürgerungsurkunde von Oberbürgermeister Kämpfer sowie weitere bereits Eingebürgerte Kieler. *** Kiel, 25 Feb 2023, Minister of Economic Affairs Claus Ruhe Madsen now also a German citizen He receives the naturalization certificate from Mayor Kämpfer during a naturalization ceremony in Kiel City Hall after his vows, as well as other already naturalized Kielers

Deutschland reformiert sein Staatsbürgerschaftsrecht. Damit will das Land auch für Einwanderer attraktiver werden, vor allem im Vergleich zu anderen Staaten. Als Vorbild wird regelmäßig Kanada bemüht – doch von kanadischen Verhältnissen bleibt Deutschland auch mit der Reform meilenweit entfernt.

Die Perspektive auf eine Staatsbürgerschaft soll Wunder wirken: Wer nach Deutschland kommt, soll Deutscher werden können. „Für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland ist ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht ein entscheidender Schlüssel“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Kabinettsentwurfs der Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts vergangene Woche. Genau das soll die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts erreichen. Die Wartezeiten für die Einbürgerung sollen kürzer werden, die Voraussetzungen angepasst. Doch in Deutschland droht die Wirklichkeit das Vorhaben zu torpedieren.

Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die geplante Neuregelung auf Linkedin bewirbt, dauert es nicht lange, da melden sich die ersten Kritiker. Nicht nur diejenigen, die grundsätzliche Kritik am Vorhaben äußern, sondern auch Betroffene. Einer davon ist A. D. aus Leipzig. Er lebt seit 2017 in Deutschland, hat eine Ausbildung zum Fachinformatiker gemacht, arbeitet als Softwareentwickler bei einem Unternehmen in der Energiebranche. Er spricht sehr gut Deutsch: „Wenn ich in Urlaub fahre und zurückkomme, fühle ich mich hier zu Hause, wenn ich wieder ankomme.“ Herr D. würde sehr gerne deutscher Staatsbürger werden – doch er kann nicht. Denn Herr D. kann keinen Antrag stellen.

Zwei Jahre wartet A.D. bereits auf den Ersttermin, das sogenannte Beratungsgespräch, mit dem der Einbürgerungsprozess beginnt, berichtet er. Die für ihn zuständige Stadt Leipzig bestätigt das auf Anfrage: „Da seit geraumer Zeit mehr Anfragen zur Antragstellung bei der Einbürgerungsbehörde eingehen als bearbeitet werden können, musste für die Antragstellung eine Warteliste eingeführt werden“, teilt eine Sprecherin der Stadt mit. „Derzeit werden Anfragen aus 2021 bearbeitet.“

Eine Warteliste, um das Verfahren überhaupt zu eröffnen? „Durch die Warteliste soll erreicht werden, dass zwischen Antragstellung und Antragsbearbeitung und -entscheidung ein möglichst geringer Zeitraum liegt“, erläutert die Stadt auf Nachfrage. Das sei auch im Interesse der Betroffenen. 640 Verfahren schlossen die zuständigen sieben Mitarbeiter im vergangenen Jahr ab. Vier weitere sind im Laufe des Jahres 2023 hinzugekommen. „Ich verstehe, dass viel Druck auf den Beamten liegt und die Antragszahlen hoch sind“, sagt Herr D., trotz der belastenden Situation. Die Stadt Leipzig verweist ihrerseits auf eine hohe Zahl zu bearbeitender Fälle. Das hänge mit der Einwanderung ab 2015 zusammen: Nach acht oder sechs Jahren ständigen Aufenthalts sind viele der damals eingereisten Flüchtlinge auch nach jetzt geltendem Recht antragsberechtigt. Von 168.500 im Jahr 2022 insgesamt Eingebürgerten waren 48.300 syrische Staatsbürger. Ist Leipzig ein Sonderfall?

Eine Abfrage bei anderen deutschen Kommunen zeigt: keineswegs. Die Stadt Duisburg etwa führt ebenfalls eine Warteliste vor dem eigentlichen Verfahren. „Der Terminvorlauf für die Beantragung einer Einbürgerung beträgt aktuell ein Jahr und sieben Monate“, teilt der Pressesprecher des Oberbürgermeisters mit. 20 Mitarbeiter kümmern sich in der Stadt um Einbürgerungsverfahren, gut 2.000 neue Staatsbürgerschaften wurden 2022 vergeben. Die eigentlichen Verfahren dauerten in Duisburg im Regelfall nur wenige Monate, teilt der Pressesprecher mit. Etwas schneller geht es im Landkreis Heilbronn. „Derzeit haben wir insgesamt rund 1.170 Anträge auf Einbürgerung, davon sind 500 unbearbeitet. Die ältesten Anträge sind von Januar 2022“, berichtet eine Sprecherin. 600 dieser Anträge seien momentan in Bearbeitung.

Doch wenn das Ziel einer schnellen Einbürgerung schon an der fehlenden Ausstattung deutscher Behörden scheitert, lässt sich auch die Attraktivität des Standortes dadurch nicht befördern. „Eine moderne Migrationspolitik kann in der Praxis nur greifen, wenn die Behörden die nötigen Ressourcen haben, um diese entsprechend umzusetzen“, sagt Anne Courbois, Integrationsexpertin bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Mit den geplanten Neuregelungen müssten Einbürgerungen auch in der Praxis schneller möglich werden. „Dafür brauchen die Behörden ausreichend Personal und vor allem eine funktionierende digitale Infrastruktur“, meint Courbois.

Sowohl die DIHK als auch der DGB hatten dafür plädiert, dass mit der Novelle Verfahrensfristen eingeführt werden. Das sei als „nicht sinnvoll“ erachtet worden, erläutert ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage: „In den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder ist bereits geregelt, dass Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen sind.“ Doch von zügig kann derzeit keine Rede sein.

Die stellvertretende Unionsfraktions-Vorsitzende Andrea Lindholz (CSU) sieht die Diskrepanz zwischen politischem Vorhaben und der Verwaltungsrealität in den Kommunen als Zeichen für Realitätsferne der Berliner Regierung. Die geplanten Änderungen würden die Zahl der Antragsteller weiter erhöhen. „Davon geht auch die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf aus“, sagt Lindholz zu Table.Media. „Sie tut allerdings wenig, um bei der Umsetzung zu entlasten.“ Länder und Kommunen müssten nun Probleme lösen, die die Ampel durch die Ausweitung der Berechtigten vergrößere. Die Länder und Kommunen seien aber kaum in der Lage, „die Zahl der Einbürgerungen etwa durch Einstellung von Personal in großem Umfang zu beschleunigen". Weder gebe es finanzielle Spielräume noch qualifiziertes Personal, das zusätzlich eingestellt werden könnte. Und bei der Sorgfalt dürften im Einbürgerungsprozess keine Abstriche gemacht werden, sagt die CSU-Politikerin.

Wie also könnte eine Lösung aussehen? Herr D., der Leipziger Softwareentwickler mit Einbürgerungswunsch, hätte da einen Vorschlag: Eine Onlinelösung. Im Vorbildland Kanada ist der Antrag in fast allen Fällen in digitaler Form vorgeschrieben. Und in Deutschland? Wie alle Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland soll auch der Einbürgerungsantrag digital verfügbar werden, betont das Bundesinnenministerium auf Nachfrage. Bayern verfügt bereits über einen Onlineantrag, für andere Bundesländer entwickelt Nordrhein-Westfalen darauf basierend die Pilotlösung.

Bielefeld ist dabei die Pilotkommune. Was dort entwickelt wird, soll irgendwann für alle anderen auch zur Verfügung stehen. Zeitnah solle das passieren, sagt das Innenministerium,. Doch wer sich in Bielefeld zum Onlineantrag durchklickt, erfährt: „Die Bearbeitung der Einbürgerungsanträge orientiert sich an dem Antragseingang. Aktuell werden im Schwerpunkt noch Einbürgerungsanträge aus dem Jahr 2021 bearbeitet.“

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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