Analyse
Erscheinungsdatum: 25. Februar 2024

Solarindustrie: Eine Branche boomt – und trotzdem droht in Europa ein Kahlschlag

Die produzierende deutsche Solarindustrie kämpft ums Überleben. Gegen subventionierte chinesische Billigmodule ist sie nicht konkurrenzfähig. Nun hofft sie auf Hilfe aus Berlin. Doch die Koalition ist sich nicht einig – wieder einmal.

Der Alarmruf war kaum zu überhören. Es war Anfang Dezember, und der CEO des sächsischen Solarmodulherstellers Meyer Burger, Gunter Erfurt, klagte: „Wir sind die Deponie für chinesische Billigmodule, weil sie in die USA und anderswo nicht mehr rein dürfen.“ Die Chinesen fluteten Europa mit ihren Solarprodukten, und es sei offensichtlich, dass China die Industrie dominieren wolle. In Richtung Berlin verlangte er „ein kluges Instrument“ mit dem klaren Ziel, „in der EU bis 2030 eine resiliente Cleantech-Industrie auf die Beine zu stellen“. Andernfalls, so Erfurt, sei eine rentable Produktion in Europa von PV-Modulen nicht mehr möglich.

Nichts passierte, und am vergangenen Freitag zündete Erfurt die nächste Stufe: Bis Mitte März habe die Bundesregierung noch Zeit, ein Hilfspaket zu schnüren. Man sei Opfer „unfairer Wettbewerbsbedingungen, die nur die Politik beheben kann“. Geschehe nichts, werde das Unternehmen die Produktionsstätte in Freiberg mit 500 Arbeitsplätzen schließen.

Es ist nicht nur Meyer Burger, alle europäischen Hersteller sind in Nöten. China hat insbesondere bei PV-Modulen die Produktion massiv ausgebaut, erst subventioniert und seit Frühsommer 2023 so bezuschusst, dass die Produkte unter Herstellungskosten auf den europäischen Markt kommen. So behaupten es zumindest die deutschen Hersteller, können es auch mit Zahlen belegen und berichten obendrein, dass sich in europäischen Lagern Millionen von Modulen stapelten. Davon profitierten in den vergangenen Monaten vor allem die Großhändler, die sich zu Tiefstpreisen mit Paneelen eindecken konnten. Bei den Verbrauchern kam davon wenig an – aber das ist eine andere Geschichte.

Auf der anderen Seite ringen die Hersteller mit dem Inflation Reduktion Act, mit dem auch die US-Regierung Erneuerbare Energien massiv subventioniert und es unter anderen Meyer Burger schmackhaft machte, in neue Produktionsanlagen in den USA zu investieren. Für die verbliebenen Produzenten von Modulen und Zellen in Europa wurde es im Schraubstock zwischen den USA und China immer ungemütlicher, und schon länger rufen sie deshalb nach staatlichem Beistand.

Dass sich die Bundesregierung einmischt, könnte durchaus Sinn machen. Denn strategisch ist die Solarindustrie nicht ganz ohne Bedeutung. Die Branche dürfte in den kommenden 20 Jahren zu den absoluten Wachstumssektoren gehören, Wertschöpfung und Innovationsbedarf sind hoch, und Deutschland gehört im Bereich der Zellen-Entwicklung zu den führenden Forschungsnationen. Nicht ohne Grund pumpen China und die USA Milliarden in Entwicklung und Produktion von Zellen und Modulen. Zur Erinnerung: Schon die erste Runde der Modulherstellung hat Deutschland – nach erfolgreichem Start – vor zehn bis 15 Jahren quasi kampflos preisgegeben.

Die Solarindustrie ist nicht allein. Auch in der Windradbranche sind viele Komponenten einst in Deutschland entwickelt worden, hergestellt wird heute in Deutschland kein einziges komplettes Windrad mehr. Auch bei der Batterieentwicklung und -produktion hatten deutsche Unternehmen lange eine führende Stellung inne. Ausgerechnet als die ersten E-Autos auf den Markt kamen, begannen sie sich zurückzuziehen, um dann verspätet und mit viel staatlicher Unterstützung doch wieder auf den Zug aufzuspringen. Umso erstaunlicher erscheint, dass sich die politischen Entscheider in Berlin so schwertun mit einer strategischen Entscheidung zugunsten der Solarbranche. Zumal der Einsatz im Vergleich zu den vielen Milliarden, die für den vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle ausgegeben wurden, bescheiden erscheint.

Doch darüber, wie sich der Branche helfen lässt, gehen die Meinungen auseinander. Und das hat mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu tun. Da sind auf der einen Seite Unternehmen wie Meyer Burger oder Solarwatt, beide in Sachsen zuhause, die selbst Zellen und Module herstellen und den chinesischen Konkurrenzdruck schmerzhaft spüren. Und da sind Unternehmen wie Enpal oder 1Komma5°, die ihr Geld überwiegend mit dem Vermieten, Verpachten oder Verkaufen von Modulen und Dienstleistungen verdienen und naturgemäß durchaus ein Interesse an Billigmodulen haben.

Im Wesentlichen geht es um einen sogenannten Resilienzbonus, einen Preisaufschlag für Anlagen, wenn in ihnen in Europa produzierte Einzelteile verbaut sind. Der umstrittene Bonus wäre im ersten Jahr rund 40 Millionen Euro teuer und würde sich danach auf rund 300 Millionen jährlich erhöhen. Meyer Burger, Solarwatt und der Branchenverband BSW-Solar hatten sich explizit dafür ausgesprochen. Worauf 1Komma5° den Verband Anfang Februar mit einigem Getöse verließ. Der Dachverband sei „rückwärtsgewandt“ und betreibe „Klientelpolitik für wenige Mitglieder“, auf Kosten der Steuerzahler und des Standorts Deutschland. „Forderungen nach neuen, aggressiven Subventionen“ jedenfalls seien kontraproduktiv. Ob 1Komma5° tatsächlich gewillt und in der Lage wäre, eine eigene, technisch anspruchsvolle Produktionslinie aufzubauen, wie ihre Vorstandsleute behaupten, gilt in der Branche als umstritten.

Auch Enpal drohte für den Fall, dass ein Resilienzbonus kommt: „Wenn Deutschland nicht mehr kalkulierbar ist, muss man in andere Länder ausweichen.“ Es drohe ein Markteinbruch, weil Kunden auf die Boni warteten, die PV-Ausbauziele seien dann nicht mehr erreichbar. Schon im vergangenen Herbst hätten „politische Eingriffe“ zu einem schmerzhaften Nachfragerückgang geführt. Für die Branche sei das „ein verheerendes Stop-and-Go, das tausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzt“, wie Enpal-Geschäftsführer Mario Kohle erklärte. In einer Presseerklärung hieß es zudem, bei einem Bonus profitiere „nur eine kleine Zahl von Herstellern mit kombinierter Modul- und Zellproduktion überproportional von der geplanten Subvention“.

In dieser Gemengelage suchen die politischen Akteure nun nach Lösungen. Zwar hat das Bundeskabinett das Solarpaket I, das für Verbraucher und Investoren Erleichterungen bringen und den Ausbau der Solarenergie weiter beschleunigen soll, bereits im vergangenen Sommer beschlossen. Kleinere Teile davon wurden ausgekoppelt und im vergangenen Dezember verabschiedet. Den Kern des Gesetzes jedoch, darunter auch der Resilienzbonus, ruht im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Der Grund ist nicht ganz neu: Die Ampel-Parteien haben sich verhakt.

Der Wirtschaftsminister hat sich zwar bereits klar für Hilfen für die Industrie ausgesprochen, doch die FDP bremst. Sie fürchtet eine weitere Verteuerung der Strompreise und hält ohnehin nichts von Subventionen. Michael Kruse, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, argumentierte kürzlich, den Strom für die Deutschen über eine weitere Förderung des PV-Stroms weiter zu verteuern, sei der falsche Weg: „Wir werden diesen Weg als FDP nicht unterstützen.“ Auch nicht für strategisch bedeutsame Industrien.

Zwar hatten die 16 Ministerpräsidenten den Bund aufgerufen, die Solarindustrie als „nationale Aufgabe“ anzugehen, doch auch das verhallte folgenlos. In der Koalition jedenfalls ist der Ton inzwischen gereizt beim Thema Solar. „Die Blockade der FDP-Fraktion schadet dem Standort Deutschland“, zürnte der Grüne Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Michael Kellner vor wenigen Tagen, ganz im Sinne seines Ministers, und warf den Liberalen „Hinhaltetaktik“ vor. Kellner war erkennbar sauer: „Wirtschaftspolitik beginnt damit, dass man Probleme löst und nicht Zement anrührt.“

Angeführt von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erhöht jetzt auch die CDU den Druck. Es sei „unerträglich, dass trotz Solar-Booms die deutsche Industrie so in Bedrängnis gerät“, sagte Kretschmer, der den Verlust von 500 Arbeitsplätzen in Freiberg befürchtet. Und das kurz vor seiner Landtagswahl. Die Bundesregierung müsse sich beim Resilienzbonus einigen. Auch der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) erklärte, dem Bund blieben nur noch wenige Tage, um Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche PV-Produktion in Deutschland zu schaffen.

In der Koalition ist das Thema inzwischen nach oben gewandert. Seit kurzem verhandeln die Vize-Chefs der Fraktionen. Sie haben unter dem Druck der Verhältnisse auch die Intensität der Gespräche deutlich erhöht. Man verhandele intensiv, ein abgestimmter Gesetzentwurf sei aber im Moment nicht in Sicht, zitierte das Handelsblatt Beteiligte aus der FDP-Fraktion. „Die Gespräche sind nicht einfach, aber konstruktiv,“ versucht Matthias Miersch (SPD) Optimismus zu verbreiten. Der Mützenich-Stellvertreter hofft auf ein Ergebnis in der „kommenden Sitzungswoche“. Die allerdings ist erst in der zweiten Märzwoche. Ob man bei Meyer Burger in Freiberg so lange mit einer finalen Entscheidung über die Werksschließung warten will, erscheint eher unwahrscheinlich.

Womöglich hatte MB-Chef Erfurt nicht Unrecht, als er Anfang Dezember die Mahnung formulierte: „Andere Industrien sollten genau auf die Photovoltaik schauen und was dort in den letzten zehn Jahren passiert ist. Wenn es diese Absicherungen nicht gibt, wird es anderen Industrien ähnlich gehen.“ Die deutsche Automobilindustrie, aber auch die Maschinenbauer, so lässt sich leicht ableiten, sollten besonders genau hinschauen. Wie aufwendig allein VW in China kämpfen muss, um in der Elektromobilität den Anschluss zu halten, lesen Sie in der Analyse von Christian Domke Seidel.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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