Analyse
Erscheinungsdatum: 07. Dezember 2023

Söders Partei steckt in der Krise

Noch nie stand die CSU so schwach da wie nach fünf Jahren unter Markus Söder. Das Ergebnis bei der Landtagswahl war schwach, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat Oberwasser. Und bei der Europawahl im nächsten Jahr drohen herbe Stimmenverluste.

Auf Selbstinszenierungen versteht sich kaum einer so gut wie Markus Söder, und vor Peinlichkeiten schreckt er dabei nicht zurück. Vergangene Woche hat er in einer seiner üblichen Videobotschaften im schrillen roten Weihnachtspullover mit großem Elchkopf auf der Brust einen Adventskranz angezündet und seinen Followern auf Instagram einen schönen ersten Advent gewünscht. Auch im Fernsehen gibt Söder gern den starken Mann, der alles im Griff hat. Sein Platz sei in München, aber ab und zu werde er in Berlin sein, um nach dem Rechten zu sehen, hat er jüngst bei Maischberger verkündet. Die Probleme mit seinem unberechenbaren Koalitionspartner Hubert Aiwanger haben sich aus Söders Sicht in Luft aufgelöst. „Wir arbeiten echt gut zusammen“, sagt Söder. Und wenn Aiwanger weitere populistische Extratouren dreht? „Da pass' ich schon auf.“

Doch nüchtern betrachtet sieht die Lage für Söder und die CSU ganz anders aus. Bei der Landtagswahl wurde die angepeilte Messlatte von 40 Prozent klar verfehlt, die CSU steht nach der zweiten Landtagswahl unter Söder so schwach da wie seit Anfang der 50er-Jahre nicht mehr. Und die Erwartung, dass man den aufmüpfigen Aiwanger nach der Wahl an die Kette legen kann, weil dann die Bierzeltsaison vorbei ist, in der der Chef der Freien Wähler groß aufgetrumpft hatte, hat sich auch nicht erfüllt. Aiwanger bleibt für Söder weiter ein unkalkulierbarer Partner – einer, der nicht daran denkt, sich unterzuordnen.

Immer deutlicher zeigt sich, dass Söders frühzeitige Festlegung auf die Fortsetzung einer Koalition mit den Freien Wählern, um der CSU die Angst vor Schwarz-Grün zu nehmen, ein schwerer strategischer Fehler war, von dem Söder nun eingeholt wird. Im Wahlkampf hat sich niemand in der CSU getraut, diese Linie zu kritisieren. Zu unbeliebt sind an der Parteibasis die Grünen, vor allem nach dem Streit um das Heizungsgesetz. Doch jetzt wagen sich auch Leute aus der Deckung, die zuvor aus Rücksicht geschwiegen haben. „Das zeigt, wie sehr man sich abhängig gemacht hat“, sagt etwa der ehemalige CSU-Chef und langjährige Stoiber-Vertraute Erwin Huber über Söders Koalitionskurs. „Damit hat die CSU das Ziel einer eigenständigen Regierung aufgegeben und Motivation aus dem Wahlkampf genommen.“

Dabei wären die an der CSU-Basis verhassten Grünen keineswegs die einzige Alternative für Söder gewesen; er hätte auch die Tür Richtung SPD offenlassen können, so wie es Boris Rhein in Hessen gemacht hat. „Eine Koalition mit der SPD ist doch viel seriöser als mit den Freien Wählern“, sagt einer der Söder-Kritiker und fügt hinzu: „Die wären auch viel billiger gewesen.“ Dass sowohl die CSU als auch die SPD so schwach abschneiden würden, dass eine schwarz-rote Koalition im Landtag jetzt nur eine hauchdünne Einstimmen-Mehrheit hätte, konnte vor der Wahl keiner ahnen. Als Drohkulisse in Richtung Freie Wähler für einen Koalitionswechsel mitten in der Legislaturperiode ist dieses Modell deshalb kaum mehr tauglich.

Huber ist nicht der einzige Söder-Vorgänger, der die Entwicklung der CSU seit längerem kritisch betrachtet, auch Theo Waigel sieht es ähnlich, Söders unmittelbarer Vorgänger Horst Seehofer sowieso, aber Seehofer schweigt öffentlich. Aus der Vorgänger-Riege steht einzig Edmund Stoiber fest an Söders Seite.

Unter anderen erfahrenen CSU-Leuten, die noch die goldenen Zeiten mit absoluten Mehrheiten erlebt haben, macht sich Ernüchterung breit. Es gibt einen informellen Kreis ehemaliger Regierungsmitglieder aus Bund und Land, der sich mehrmals im Jahr trifft, organisiert vom ehemaligen Finanzminister Georg von Waldenfels. Auch ehemalige Parlamentspräsidenten werden eingeladen. 15 bis 20 Leute kommen da immer zusammen. Bei den Treffen werden nicht nur die alten Zeiten glorifiziert, sondern auch die aktuellen Defizite erörtert. Und die liegen in den Augen der Alten auf der Hand. Der Wahlkampf war schwach, hat sich in Attacken auf die Ampel erschöpft und keine eigenen Lösungen für die drängenden Probleme präsentiert.

Auf wesentlichen Politikfeldern weiß man nicht, wofür die Partei eigentlich steht, aktuelles Beispiel ist das Bürgergeld, das von der Union und damit auch von der CSU mitbeschlossen wurde und das jetzt heftig bekämpft wird. Auch die Kampagnenfähigkeit der CSU, die in ihren Glanzzeiten immer eine robuste Kampfgemeinschaft war, hat gelitten. So war es immer üblich, dass Hilfstruppen der Jungen Union für die jeweiligen Kandidaten Plakate geklebt, Infostände betreut und beim Haustürwahlkampf dabei waren. In München haben es CSU-Bewerber bei dieser Landtagswahl dem Vernehmen nach erlebt, dass der Parteinachwuchs nur noch gegen Entgelt zu solchen Hilfsdiensten bereit war.

Doch solange nur die Alten meckern und sich die aktuelle Generation wegduckt, hat Söder nichts zu befürchten. Die personelle Auszehrung auf Bundes- und Landesebene gehört zwar zu den größten Problemen der CSU, aber zugleich profitiert Söder von ihr. Denn es gibt niemanden, der dem Parteichef gefährlich werden oder gar einen Aufstand gegen ihn anführen könnte. Söder hat dieses Problem zwar nicht verursacht, er hat in den fünf Jahren an der Spitze aber auch nichts getan, um Talente mit eigenständigen Positionen hochkommen zu lassen.

Im Gegenteil: Kein CSU-Chef hat die Partei jemals so sehr auf sich selbst zugeschnitten wie Söder. Sein Kabinett ist farb- und glanzlos, wozu die Freien Wähler nach Kräften beitragen. Die einstmals mächtige Landtagsfraktion war in den vergangenen fünf Jahren ein Totalausfall, in der Berliner Landesgruppe sieht es nicht besser aus. Und wenn sich in irgendeiner Gremiensitzung fernab von München eine kritische Stimme regt, erfährt Söder umgehend davon. Der Betreffende kriegt dann oft eine Nachricht von Söder auf sein Handy. Kritiker sprechen von einem „brutalen Herrschaftssystem“.

Zu Zeiten Stoibers, der auch ein Kontrollfreak war und mit seiner Staatskanzlei überall hineingefunkt hat, war das noch anders. „Stoiber hat verlangt, dass seine wichtigsten Minister auf Bundesebene präsent, sichtbar und aktiv sind“, erinnert sich der ehemalige Finanzminister Kurt Faltlhauser, auch einer aus dem Club der Alten. Faltlhauser hat mehrere Steuerreformkonzepte erarbeiten lassen, ohne Stoiber vorher um Erlaubnis zu fragen. Im Kabinett Söder ist Eigeninitiative dagegen nicht gefragt.

Dass Söder zu seiner eigenen Befriedigung in den Politikerrankings stabil auf einem der vorderen Plätze liegt, verdeckt, dass seine bundespolitische Leuchtkraft deutlich nachgelassen hat. Während der Corona-Pandemie war er einer der prägenden politischen Gestalten, jetzt scheint er sich für harte Sacharbeit kaum noch zu interessieren. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz vor wenigen Wochen, als es um das Megathema Migration ging, habe Söder „so gut wie gar nichts“ gesagt und sei schon 20 Minuten vor Ende der Sitzung verschwunden, heißt es aus dem SPD-Lager. Wortführer der unionsgeführten Länder sei inzwischen eindeutig NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

Mehr Energie steckt Söder hingegen in die Produktion von kurzfristigen Schlagzeilen. Mal schlägt er vor, die Union solle als Juniorpartner unter Olaf Scholz in die Regierung eintreten, mal fordert er Neuwahlen gemeinsam mit der Europawahl im nächsten Jahr, mal malt er eine Staatskrise an die Wand und liefert der AfD damit eine Steilvorlage. „Das Staatskrisen-Gerede nützt immer den Falschen“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch.

Söders Neuwahl-Forderung für den Sommer 2024 hat im Übrigen nur wenig mit seiner Sorge um das Land zu tun, sondern vor allem mit seiner Sorge um das CSU-Ergebnis bei der Europawahl. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie berechtigt diese Sorge ist. Europawahlen waren für die CSU schon oft schwierig. 2019 kam die CSU auf 40,7 Prozent, was einem bundesweiten Anteil von 6,3 Prozent entsprach. Aber da war der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen auch CSU-Mann Manfred Weber. Dessen Bewerbung war verknüpft mit der Hoffnung, Weber könne nach der Wahl EU-Kommissionspräsident werden. Das hat für einen Schub in der bayerischen Heimat gesorgt. Der fehlt dieses Mal, in der CSU fürchtet man herbe Verluste.

Würde sie bei der Europawahl im nächsten Jahr unter die Fünf-Prozent-Marke rutschen, wäre sie zwar weiter im Europaparlament vertreten, weil es dort keine Sperrklausel gibt. Aber für die Bundestagswahl ein gutes Jahr später wäre es ein Menetekel, falls die Wahlrechtsreform der Ampel vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Und für Söder vermutlich das Ende aller Kanzlerträume.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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