Friedrich Merz will auf kommunaler Ebene zwar keine konkrete Kooperation mit einem AfD-Landrat, aber er möchte, dass man dort „nach Wegen sucht, wie man in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann“. Ist das richtig oder falsch?
Er hat es so kommuniziert, dass jeder denken musste, er wolle auf kommunaler Ebene eine Zusammenarbeit. Unkonkret. Aber schon irgendwie. Das verstößt gegen den Beschluss des CDU-Bundesparteitags, der ganz klar jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat. Auf allen Ebenen, auch auf der kommunalen. Und dieser Beschluss ist aus vielen Gründen richtig und notwendig. Auch wenn es immer wieder Verstöße gibt, wie zum Beispiel in Bautzen.
Heute Morgen hat sich Merz korrigiert. War das also ein Fauxpas oder fürchten Sie eine grundlegende Öffnung der CDU?
E r ist auf alle Fälle so verstanden worden, als habe er das Fundament der Brandmauer, von der er zu Recht immer spricht, selbst angebohrt. Und seine Begründung, man habe beim damaligen Beschluss zum Kooperationsverbot nur die gesetzgebenden Körperschaften und Parlamente gemeint, ist natürlich falsch. Auch auf kommunaler Ebene gibt es viele prägende Beschlüsse. Denken Sie nur an die Verantwortung der Gemeinden für Kindergärten und Schulgebäude, auch für Sport und Kultur. Es ist also keineswegs so, dass die kommunale Ebene nur Fragen zur Müllabfuhr und zum nächsten Zebrastreifen regelt.
Das heißt: Sie kann auch da Einfluss nehmen?
Mehr als das. Sie kann Unheil anrichten. Also muss man die AfD auch auf der kommunalen Ebene mit großem Nachdruck politisch bekämpfen und darf mit ihr nicht zusammenarbeiten. Ich sage das auch aus meiner Erfahrung als Kommunalpolitiker, der ich 20 Jahre lang war.
Stellt sich nur die Frage: Wie geht man genau mit einem gewählten Landrat oder Bürgermeister um?
Für mich ist es selbstverständlich, dass man – wenn er zu einer Sitzung des Gemeinde- oder Kreistags einlädt – auch hingeht. Aber schon wenn er die Tagesordnung vorlegt, kann man überlegen, ob man die so akzeptiert oder ob man sie abändern muss, weil man selber die Geschicke der Gemeinde mit eigenen Schwerpunkten bestimmen möchte. Das zweite ist, dass man ihm in den Arm fällt, wenn er anfängt, AfD-Politik umzusetzen. Zum Beispiel im Umgang mit Flüchtlingen mit Fremdenfeindlichkeit. Es ist schlicht falsch zu glauben, dass ein Landrat oder ein Bürgermeister machen könnte, was er will. Er ist auf die Mehrheiten in den Gemeinderäten angewiesen und die kann man natürlich auch gegen ihn organisieren.
Grundsätzlicher gefragt: wie schafft man es, die Brandmauer gegen die AfD zu halten und zugleich nicht alle ihre möglichen Wähler auszugrenzen?
Die AfD behauptet, dass alle anderen Parteien ihre Wähler stets als Nazis beschimpfen würden. Nur: Das macht kein Mensch. Trotzdem behauptet sie es, und sie tut das bewusst, weil sie diese Wähler näher an sich binden möchte. Der Unterschied, um den es geht: Kein Mensch bezeichnet die AfD-Wähler als faschistisch, aber die Partei ist faschistisch.
Und jetzt?
Wenn man sich eine Strategie überlegt, dann muss man als erstes klar unterscheiden zwischen der AfD und ihren möglichen Wählerinnen und Wählern. Es geht um den Zug, nicht um seine Fahrgäste. Und man muss sich zweitens ständig und dauernd politisch mit dieser Partei auseinandersetzen, um überhaupt zu begründen, warum man diese Brandmauer haben muss. Auf diese Weise kann man hoffentlich erreichen, dass neue Wählerinnen und Wähler, die die AfD bisher noch nicht für sich gewonnen hat, auf Abstand bleiben. Erst im dritten Schritt kann man sich um Menschen kümmern, die schon AfD gewählt haben. Macht man es anders, dann wird die AfD sofort den Satz – „Das sind doch nicht alles Nazis“ – auch auf sich drehen. Nach dem Motto: Wir sind auch eine bürgerliche Partei. Obwohl sie das definitiv nicht ist.
Warum verschwimmt das immer wieder so?
Weil manche Politiker und leider auch viele Medien nicht mehr sauber unterscheiden zwischen der Partei und ihren Wählern. Im Sinne von: Die AfD sei halt auch eine Protestpartei, die man schon mal wählen könnte. Viele Wähler sind Protestwähler, aber die Partei ist keine Protestpartei. Sie ist eine faschistische Partei. Und für mich ist eines so wichtig: Wir alle sollten wissen und dabei bleiben, dass Demokraten Demokraten wählen und nicht Faschisten. Bei aller Kritik und allen Fehlern, die auch eine demokratisch gewählte Regierung macht.
Sie sagen, man müsse sich mehr mit ihr auseinandersetzen. Was meinen Sie genau?
Das heißt für mich: Jeden Tag öffentlich machen, was in den Chats, auf den Plakaten, in den öffentlichen Aussagen der AfD an Menschenverachtung zum Ausdruck kommt. Da werden Sie jeden Tag fündig. Und wenn Sie mal nichts finden, dann gucken Sie in den Schriften von Höcke nach und zitieren das. Diese Arbeit, diesen Einsatz vermisse ich.
Sollte die CDU eine Taskforce bilden?
Selbstverständlich. Genau das müsste sie machen, ich vermisse das wirklich. Das gilt aber nicht nur für die Parteien. Auch manche Medien eiern so rum bei der Frage, wie sie die AfD eigentlich bezeichnen sollen. Nationalkonservativ? Rechtskonservativ? Nein. Antidemokratisch und faschistisch.
Wie groß ist die Gefahr?
Groß. Es gibt inzwischen Bücher zur Frage, warum Demokratien sterben. Und wir haben das Beispiel dazu aus der Weimarer Republik beizusteuern. Das Gefährliche an der Politik der AfD ist doch, dass sie die Grundlagen unserer Demokratie angreift. Der frühere Verfassungsrichter Böckenförde hat gesagt: Unser Staat lebt, unser säkularer Staat lebt von Voraussetzungen, die er selber nicht erschaffen kann. Damit hat Böckenförde das soziale Kapital gemeint, was sich eine Gesellschaft immer wieder neu erarbeiten muss. Schaut man sich die Politik der AfD an, dann ist sie direkt gegen das Entstehen von sozialem Kapital in unserer Gesellschaft gerichtet. Sie greift die Medien als Lügenpresse an; sie attackiert Politiker, die anders denken. Sie untergräbt unsere Institutionen. Sie füttert das mit Feindseligkeiten gegenüber Ausländern. Die Liste ist lang.
Und wo endet das?
Vielen Menschen ist nicht klar, was da droht. Sie sagen, naja, 20 Prozent Protest, da wird die Welt schon nicht untergehen. Aber das ist ein bisschen so, als handle es sich um ein kleines Feuer, das man unter Kontrolle halten könne. Aber wenn wir so was haben wie eine demokratische Dürre, dann braucht es nur noch ein bisschen Wind und wir kriegen einen riesigen Flächenbrand.
Sehen Sie eine solche demokratische Dürre?
Man muss sehen, dass es Umfragen gibt, in denen fast 50 Prozent der Meinung sind, wir lebten gar nicht in einer richtigen Demokratie. Sie nennen dann Corona, die Ukraine, die Energiewende. Ergänzt wird das von Umfragen, in denen mehr als 60 Prozent erklären, dass sie keiner der politischen Parteien überhaupt noch eine Lösung für die Probleme zutrauen. Wenn das stimmen sollte, dann ist klar, dass diese Menschen sich für diese Demokratie, die sie ja gar nicht mehr für eine richtige halten, kaum noch einsetzen werden. Das ist die Gefahr.
Die CDU, aktuell der hessische Ministerpräsident Boris Rhein, thematisiert immer wieder die Flüchtlinge und die Probleme, die es bei der Aufnahme gebe. Wie kann man darüber sprechen, ohne sich sofort den Vorwurf einzuhandeln, man spiele das Spiel der AfD?
D as erste ist, dass man in seiner Sprache immer sehr deutlich macht: Wir reden über Menschen, nicht über Sachen. Dazu gehört, dass man Empathie zum Ausdruck bringt für jene, die auf welche Weise auch immer nach Deutschland gekommen sind. Die AfD macht das ausgrenzend und hasserfüllt. So dürfen wir das Thema nicht ansprechen. Das zweite ist, dass man es stets mit Lösungsvorschlägen verbindet. So schwer das ist.
Gibt es die überhaupt?
Ich denke schon, dass man Asylverfahren auch rechtsstaatlich sauber beschleunigen kann. Das wäre von zentraler Bedeutung, um einen gewissen Druck zu mindern. Das A und O aber sind Rückführungsabkommen mit den Ländern am südlichen Rand des Mittelmeeres. Ohne sie hängt alles andere in der Luft. Sie sind unverzichtbar, und sie sollten uns viel wert sein.
Das heißt. Sie unterstützen die Bemühungen der EU und Berlins mit Tunesien?
Ja. Sofern humanitäre Fragen geregelt sind und man bestimmte Standards festschreibt. Aber man muss natürlich diesen Ländern auch was bieten. Alles ist letztlich humanitär und ökonomisch günstiger als der jetzige Zustand. Denn zum jetzigen Zustand gehören eben auch viele 1000 Tote jedes Jahr im Mittelmeer.
Zurück zur CDU: Wie kann man verhindern, dass die Partei von Helmut Kohl und Angela Merkel nicht zerrieben wird zwischen alledem? Für Fehler der Regierung kann sie wenig, trotzdem sagen viele, sie sei schuld an der Stärke der AfD?
Der Kampf gegen die AfD ist bei weitem nicht nur eine Aufgabe der Union. Alle Parteien sind da gefordert. Zumal ja auch SPD und FDP beträchtliche Wähleranteile an die AfD verloren haben. Da müssen alle Demokraten zusammenstehen. Für die CDU als Opposition ist es nicht einfach, weil sie sich natürlich von der Regierung unterscheiden muss und zugleich auf keinen Fall wie die AfD klingen oder handeln darf. Der Ton macht auch hier die Musik.
Ist der Ton das Problem?
Nein. Aber er ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass die CDU als Alternative zur Regierung ernst genommen wird. Hinzukommen müssen Inhalte und Lösungen. Die AfD interessiert sich nicht dafür, sie liefert auch keine. Sie lebt von der sorgfältig eskalierten Kritik am System im Allgemeinen und an der Regierung im Besonderen. Kritik und nur Kritik, sie will Angst schüren. Will die Union positiv wirken und stark erscheinen, muss sie eigene Lösungsvorschläge machen. Das ist es, was die Menschen von der CDU erwarten – und warum sie in so großer Zahl zögern.
Selbst Markus Söder zögerte heute früh und sprang Merz in die Parade.
Das kann mich nicht überraschen. Er hat seine Erdinger Erfahrung gemacht. Er weiß, wie schnell es geht, wenn man sich nicht absolut eindeutig abgrenzt.