Runder Tisch Gentechnik: „Es geht hier nicht um Gut oder Böse“

Teilnehmer des Runden Tischs „Neue Genomische Techniken“ in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft mit Schirmherrin Rita Hagl-Kehl (SPD) (3. von links) (Bild: Annette Bruhns/Table Media)

„Es geht hier nicht um Gut oder Böse“, sagt Judith Faller-Moog von Bio Planète zum Auftakt. „Wir meinen, auf unsere Weise für eine zukunftsfähige Gesellschaft zu arbeiten.“ Faller-Moog produziert Speise-Öle in der eigenen Mühle und ist zu einem Treffen mit dem Landwirtschaftsausschuss in die Parlamentarische Gesellschaft gekommen, um über neue grüne Gentechnik und mögliche Folgen für die Praxis zu diskutieren. Moogs Produkte werden als ‚Bio‘ oder ‚Ohne Gentechnik‘ ausgewiesen. Und ihre Forderung ist eindeutig: „Wenn jemand meint, mit Gentechnik ginge das besser, dann möge er das auf seine Produkte schreiben.“

Eine Kennzeichnungspflicht auch für mit neuen Gentechnik-Verfahren designte Pflanzen und ihre Früchte: Das ist die Kernforderung, die der Verband der Öko-Lebensmittelhersteller AÖL dem Agrarausschuss am „Runden Tisch Neue Genomische Techniken“ überbrachte. In der Übersetzung heißt das: Sollte die Politik die Zulassung für neue grüne Gentechnik erleichtern, habe sie auch dafür zu sorgen, dass die von diesen Eingriffen betroffenen Lebensmitteln als solche erkennbar werden. Eine Forderung, hinter der auch handfeste wirtschaftliche Interesse stehen: Lebensmittel ohne Gentechnik sind ein Wachstumsmarkt. Allein 2022 wurden 16 Milliarden Euro damit umgesetzt. Hinzu kommt der Umsatz mit Bio-Ware, die per se gentechnikfrei ist.

Eine Neuregelung der Zulassung moderner gentechnischer Verfahren wie Crispr Cas steht in Brüssel bald auf der Agenda, Deutschlands Votum: noch unbekannt. Überall in Europa sind Politik und Gesellschaft in der Sache gespalten, der Termin wurde schon zweimal verschoben. Nun will die EU-Kommission am 5. Juli ihren Vorschlag zur erleichterten Zulassung von „Neuen Genomischen Techniken“ (NGT) vorstellen.

Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht wird von der Schirmherrin des Runden Tischs, Rita Hagl-Kehl,unterstützt. Die Bayerin ist ernährungspolitische Sprecherin der SPD. Hagl-Kehl schließt sich damit einer Forderung an, die zunächst vernünftig klingt: Jeder Verbraucher, jede Verbraucherin hat ein Recht auf Wahlfreiheit beim Einkauf. Und diese Wahlfreiheit ist erst dann wirklich gegeben, wenn auf dem Etikett alles erkennbar ist, auch die Frage, ob Gentechnik eingesetzt wurde.

Doch so richtig und wichtig das ist: Die Forderung hat es in sich. Eine Kennzeichnungspflicht könnte die Ausbreitung der neuen Techniken auf Europas Äckern genauso behindern wie die bisher geltenden hohen Zulassungshürden. Die Crux ist nämlich, dass das im Labor geschaffene Saatgut herkömmlichen am Ende so ähneln kann, dass man einen Eingriff mit der „Genschere“ nur sehr schwer nachweisen kann. Und das bedeutet: nur sehr teuer. Hinzu kommt, dass ein „Mit-Gentechnik“-Label kaum verkaufsfördernd wirken dürfte. Eine Mehrheit der deutschen Konsumenten lehnt gentechnisch veränderte Lebensmittel in Umfragen regelmäßig ab.

Der CDU-Abgeordnete Oliver Vogt fragt denn auch in die Mittagsrunde, wo zwischen gentechnisch und herkömmlich gezüchteten Saatsorten am Ende der Unterschied liege, wenn sie technisch nicht zu unterscheiden seien? Der Unterschied, so interpretiert es der studierte Physiker, liege im Prozess, nicht im Produkt. Diese Einschätzung teilen andere am Runden Tisch überhaupt nicht. Insbesondere die Vertreter der Bio-Produkte fürchten eine solche Vereinfachung. Der FDP-Abgeordnete Ingo Bodtke, Fleischingenieur aus Sachsen-Anhalt, pflichtet Vogt dagegen bei.

„Eine Kennzeichnungspflicht würde Verbraucher verunsichern“

„Eine Kennzeichnungspflicht würde die Verbraucher nur verunsichern“, sagt der FDP-Mann. Am Runden Tisch werde aus seiner Sicht eine Luxusdebatte geführt. Bodtke erinnert seine Ausschusskollegen an eine gemeinsame Reise nach Kenia und Sambia. Dort hungerten die Menschen. Ihnen neues Saatgut vorzuenthalten, das dem Klimawandel trotzen könne, sei unverantwortlich. Und dann verweist Bodtke noch auf eine Anhörung mit Forschern. Diese hätten versichert, dass mit den neuen Techniken nur entwickelt werde, was schon in der Pflanze sei. Die neue Gentechnik wäre demnach nur ein Turbo natürlicher Selektionsverfahren.

Die Sozialdemokratin Hagl-Kehl war mit in Afrika und auch bei der Forscher-Anhörung. Sie hat nur ganz andere Schlüsse aus den Erfahrungen gezogen. Die Forscher seien auf Nachfrage gerade einmal auf 13 Pflanzen gekommen, die überhaupt mit NGT gezüchtet worden seien. 13 Pflanzen in zehn Jahren Züchtung. 10 davon seien nicht etwa trockenheits- oder schädlingsresistent, sondern, wie die alten GVO, immun gegen Pestizide. „Es gibt eine komische Tomate in Japan, die keiner mag“, erzählt Hagl-Kehl der Runde. „Und dazu noch einen Weizen in Kanada, der unbrauchbar war und sich unkontrolliert ausgekreuzt hat.“ Die Welt, so ihr Fazit, könne man mit NGT-Pflanzen nicht ernähren. Sambia und Kenia bräuchten kein Saatgut, sondern Technik. Dort würden Felder oft noch mühsam mit der Hacke bestellt.

Und dann geht es an diesem Runden Tisch noch um zwei Aspekte, die nach Ansicht von SPD und Grünen auch geregelt werden müssen, sollte die EU der Zulassung der NGT erleichtern: Die Frage der Haftung bei einer Auskreuzung von gentechnisch verändertem Saatgut und die patentrechtliche. Denn wenn mit NGT Pflanzen hergestellt werden können, die sich von real existierenden nicht unterscheiden, könnten diese patentiert werden, warnte der Grüne Karl Bär. Patente auf Leben, das ist aber etwas, bei dem auch viele Christdemokraten nicht mitgehen.

Die Haftungsfrage hält FDP-Mann Ingo Bodtke für geregelt: Jeder Landwirt habe doch eine Haftpflichtversicherung. Hier widerspricht ihm sogar der Unionskollege Hermann Färber, Landwirt in Baden-Württemberg und immerhin der Ausschussvorsitzende. In Sachsen-Anhalt, wo Bodtke herkommt, ja da sei meist ziemlich klar, wer der verursachende Nachbar und wer der geschädigte ist. Denn da sind die Äcker riesig. Im Süden der Republik sind Schläge dagegen oft winzig. Deshalb ist dort schon bei der Abdrift von Pestiziden hinterher häufig unklar, wer sie emittiert hat und bei wem sie überall Früchte verunreinigt haben. Im Fall von Auskreuzungen von NGT-Saatgut würde das nicht anders sein. Erschwerend käme hinzu, dass nicht haftbar sei, wer legal verschmutzt hat. Also wer zum Beispiel die Abstandsregeln beim Ausbringen von NGT-Saatgut eingehalten hat. Wenn diese sich in der Praxis als zu gering erweisen, würde hierzulande der Geschädigte das Nachsehen haben.

Konrad (FDP) warb gestern in Brüssel für die neue Gentechnik

Am Ende der zweistündigen Debatte entsteht ein erstaunliches Bild: Während sich die rot-grünen Vertreter mit denen der Union in vielen Punkten einig sind, sind die der FDP auf einer ganz anderen Linie. Das gilt nicht nur für Bodtke, den Kritiker einer Kennzeichnungspflicht. Seine Ausschusskollegin Carina Konrad ist gar nicht erst zum Runden Tisch gekommen, sondern nach Brüssel gefahren, um dort für die Lockerung der Zulassungsregeln für die neue Gentechnik zu werben. So konträr kann das in einer Koalition laufen.

Arlend Huober, junger Chef von Huober Brezel, hinterlässt der Runde noch eine Geschichte. Seine Firma sei 1959 gegründet worden, als Hersteller von Brezeln aus konventionellem Getreide. Dieses Getreide sei auf mehr Ertrag gezüchtet worden. Mehr Ertrag bedeutete: mehr Nährstoffe. Mehr Nährstoffe bedeuteten: schwerere Ähren. Wegen des Gewichts schließlich wurden die Halme kürzer gezüchtet. Nun war die Pflanze näher am Boden. Die Folge: Pilzbefall. Die Lösung: Fungizide. An diesem Punkt irgendwann stiegen die Huobers aus – und auf Bio um.

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