Es war ein Knall mit Ansage. Und er erzeugte genau die Schallwellen, die er erzeugen sollte. Bundesweit – die Süddeutsche berichtete, die FAZ und sogar die Bild-Zeitung.
Was war passiert? Im rheinland-pfälzischen Freisbach, unweit von Germersheim, 1200 Einwohner groß, waren der Bürgermeister und der gesamte Gemeinderat zurückgetreten. Vorab angekündigt, fein inszeniert in der Sporthalle des Ortes, vor zahlreichen Zuschauern und Medienvertretern – und auf einmal kannte ganz Deutschland Freisbach.
So klein Freisbach mit seinen 16 Gemeinderäten ist, so groß beginnt das Problem für die Landesregierung in Mainz zu werden. Seit erstaunlichen 32 Jahren regieren SPD-Ministerpräsidenten und -präsidentinnen das Land, die Partei gilt als organisiert und diszipliniert; doch seit zwei Jahren häufen sich Versäumnisse, Pannen und Personalentscheidungen in einer Preisklasse, die vorausschauenden und strategisch orientierten Sozialdemokraten ernsthaft beginnen, Sorgen zu bereiten.
Denn was in Freisbach für Schlagzeilen sorgte, bringt Kommunalpolitiker im ganzen Land auf die Palme. Unmittelbarer Anlass war der Haushalt der Gemeinde, die sich durch ein neues Gesetz zur Gemeindefinanzierung („Landesfinanzausgleichsgesetz“) stranguliert sieht. Der Landtag hatte das Gesetz im vergangenen November – trotz erheblicher Bedenken der kommunalen Spitzenverbände – mit seiner Ampel-Mehrheit beschlossen. Es sieht hohe Umlagen der Kommunen an die Verbandsgemeinden und Landkreise vor und bringt die Gemeinden an den Rand der Handlungsunfähigkeit.
Das Problem für die Landesregierung: Es ist nicht nur Freisbach. Zahlreichen Gemeinden des Landes droht der finanzielle Kollaps. In Kerzenheim genauso wie in Bitburg, Koblenz oder der Verbandsgemeinde Münstermaifeld. Sieben der zehn höchstverschuldeten Kommunen Deutschlands liegen in Rheinland-Pfalz. Über die Hälfte der Gemeinden des Landes hat nach einer Übersicht des Städte- und Gemeindebundes in den vergangenen zwölf Monaten den Hebesatz der Grundsteuer erhöht – nur ohne erkennbaren Erfolg für die kommunalen Kassen.
In einem Brief, aus dem die Rheinpfalz zitierte, hatte Innenminister Michael Ebling den Gemeinden im Frühjahr empfohlen, doch die Grundsteuer anzuheben, um ihre Finanzen aufzubessern. Die Grenze sei erst bei einer „Erdrosselungswirkung“ erreicht, also wenn die Steuern so hoch seien, dass Steuerpflichtige sie „unter normalen Umständen“ nicht mehr aufbringen könnten. Im Klartext: Wenn die absolute Schmerzgrenze erreicht ist. Freunde in den Kommunen machte sich Ebling mit dieser Begründung nicht.
Im Fall Freisbach brachte der Vorschlag der Kommunalaufsicht, die Sport- und Kulturhalle zu schließen und zudem Grund- und Grunderwerbsteuer zu erhöhen, das Fass zum Überlaufen. Bürgermeister Peter Gauweiler : „Wir haben rund 1,2 Millionen eigene Steuereinnahmen, davon gehen knapp eine Million ab wegen der Verbandsgemeindeumlage und Kreisumlage.“ Seine Gemeinde habe keinerlei Handlungsspielraum mehr.
Schon der Austritt der Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen, Jutta Steinruck, aus der SPD zwei Wochen zuvor hätte Warnung sein können. Auch sie hatte ihren Schritt mit mangelnder Unterstützung der Landesregierung begründet: „Reden und Handeln klaffen auseinander.“ Weil ihr der sozialdemokratische Stallgeruch fehlt und sie in der Vergangenheit immer wieder mit ihrer Partei aneinander geraten war, nahm man in Mainz ihren Weckruf noch nicht so richtig ernst.
Ein Fehler, denn vielen Entscheidungen der Landesregierung fehlt inzwischen das Frische, Innovative und Mutige. Oder, wie selbst Genossen ihre Regierung beschreiben: „Die sind verbraucht.“ Zumal auch die Ahrtal-Katastrophe nicht vergessen ist. Da half auch der Kollektivbesuch des Kabinetts zum zweiten Jahrestag nicht. Der Rettungseinsatz damals als solcher, die Verteilung der Hilfsgelder, der Wiederaufbau, die Aufarbeitung im Landtag – an keiner Stelle kam die Landesregierung aus der Defensive heraus.
Erst nach langem Zögern und viel öffentlicher Kritik trat Roger Lewentz, als Innenminister seinerzeit für den Katastrophenschutz zuständig, im vergangenen Oktober zurück. Ersetzt wurde er quasi über Nacht durch den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling. Das schuf allerdings ein neuese Problem, denn über dessen Nachfolge im Rathaus der Landeshauptstadt hatte sich niemand ernsthaft Gedanken gemacht.
Offenbar hielt man in der Staatskanzlei die anschließende OB-Neuwahl für einen Selbstläufer. Ein fataler Irrtum: Die farblose Kandidatin schied im ersten Wahlgang mit 13 Prozent der abgegebenen Stimmen aus. Ausgerechnet Mainz – die Landeshauptstadt, die 74 Jahre lang von Sozialdemokraten regiert wurde. Ausgerechnet Mainz, dank Biotech inzwischen eine der reichsten Großstädte Deutschlands.
Innenminister sollte er nicht mehr sein; aber Lewentz blieb Vorsitzender der Landes-SPD, eine Anerkennung für seine Loyalität auch in schwierigen Zeiten. Weil ihm Malu Dreyer einerseits vertraut, weil er ihr umgekehrt immer den Rücken freigehalten hat. Dass sich Lewentz beim Parteitag im kommenden November für zwei weitere Jahre als Parteivorsitzender wählen lassen will, irritierte dann aber auch Genossen. Dann sei Schluss, versicherte er. Allerdings erscheint ein Stabwechsel im Herbst 2025 und kurz vor der Landtagswahl 2026 auch wenig durchdacht. „Das normale Parteimitglied versteht das nicht“, bekennt ein langjähriger Genosse, „das kann man niemandem erklären“. Die Parteiführung habe das Gespür für die eigenen Leute verloren.
Es war eine der Stärken von Kurt Beck und zunächst auch von Malu Dreyer, mit einer weitsichtigen und geschickten Personalpolitik das Land – und nebenbei stets auch die eigene Position – zu stabilisieren. Wie geräuschlos und erfolgreich Kurt Beck 2012 seine Nachfolge organisierte, gehört zu den Ausnahmevorgängen in der deutschen Politik. Malu Dreyer, so zeichnet sich ab, legt dieses Geschick nicht an den Tag. Es ist längst Tuschelthema in der Partei, aber noch hat sie nicht erklärt, ob sie im Frühjahr 2026 noch einmal antreten will.
Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, aber als Nachfolger kommen eigentlich nur die beiden Minister Alexander Schweitzer (Soziales) und Michael Ebling (Innen) in Betracht. Beide gut vernetzt in der Partei, Schweitzer obendrein in der Bundes-SPD; Ebling, wie es heißt, mit Pluspunkten in der Gunst der Ministerpräsidentin. Aber für beide verrinnt die Zeit, sich als potenzielle Nachfolger Profil zu verschaffen.
In zehn Monaten sind Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz. Der kollektive Rücktritt in Freisbach war ein deutlicher Hinweis: Schon die Kandidatenaufstellung könnte für die Sozialdemokraten schwierig werden, der Wahlkampf erst recht. Im Land ist die Hälfte der Legislaturperiode verstrichen. Trotz einer schwachen Opposition: Dass die Sozialdemokraten 2026 nach 35 Jahren dann noch einmal den Ministerpräsidenten stellen, erscheint derzeit nur schwer vorstellbar.