Analyse
Erscheinungsdatum: 10. September 2023

Politologin Ursula Münch: „Söder hat ein sehr gutes Gespür für Stimmungen“

Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing

Dass der bayerische Ministerpräsident seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger nicht entlassen hat, kann Ursula Münch nachvollziehen. Aber dass es die Öffentlichkeit nicht interessiert, dass Aiwanger sich nicht ernsthaft entschuldigt habe, findet sie befremdlich, sagt sie im Interview. Und auch die harten Attacken der Union auf die Grünen kann sie nicht nachvollziehen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat wiederholt betont, dass die Affäre um das antisemitische Flugblatt, das vor mehr als 35 Jahren in der Schultasche von Hubert Aiwanger gefunden worden war, Bayern geschadet hat. Hat er damit recht?

Ich fand diese Behauptung am Anfang ein bisschen übertrieben. Als es allein um das ohne Zweifel widerwärtige Flugblatt ging, habe ich mir gedacht: Das schadet jetzt nicht Bayern, das schadet vor allem Hubert Aiwanger und wirft möglicherweise ein schlechtes Licht auf Bayerns Regierung. Aber so, wie sich die Sache weiterentwickelt hat, kann man schon von einem Schaden sprechen, auch wenn ich nicht glaube, dass Aiwanger das Potenzial hat, ganz Bayern zu schaden.

Worin sehen Sie diesen Schaden?

Wenn auch in Zukunft ein Mitglied im bayerischen Kabinett sitzt, bei dem die israelitische Kultusgemeinde oder der Zentralrat der Juden oder andere Organisationen und Einrichtungen sagen: Wenn der zu etwas einlädt, dann gehen wir da nicht hin, dann ist das schon eine Belastung für die Arbeit einer Regierung. Und wenn ich die vielen Mails lese, die auch ich bekomme, in denen die Leute, genau wie Aiwanger selber, das ganze als eine Kampagne der Medien abtun und Aiwanger ja sogar noch weiteren Zulauf bekommt, dann frage ich mich schon: Wieso laufen die Leute jemandem hinterher, der glaubt, mit einer Pseudo-Entschuldigung ist alles wieder gut. Für mich hat Aiwanger eine sehr verdruckste Entschuldigung abgegeben. Dass es Teile der Bevölkerung offenbar nicht interessiert, wie Aiwanger mit der ganzen Sache umgegangen ist und ob er sich wirklich ernsthaft entschuldigt hat, finde ich schon problematisch.

Aiwanger ist ja mehrmals mit den Vorwürfen konfrontiert worden und hat zunächst alles abgestritten. Dann hat er den Besitz des Flugblatts eingeräumt und auch die Strafe, die er dafür bekommen hat. Und ganz plötzlich hat er als Urheber seinen Bruder präsentiert. Auch in der CSU glaubt kaum jemand diese Version. Wie geht es Ihnen damit?

Ich kenne auch Mitglieder der Freien Wähler, Mandatsträger auf kommunaler Ebene, die sagen, wir glauben davon kein Wort. Aber es ist egal, was die Leute glauben. Solange der Bruder dabei bleibt und es nicht durch Zeugen glaubwürdig widerlegt wird, gilt die Unschuldsvermutung und man muss das akzeptieren. Trotzdem wäre in meinen Augen eine klare Entschuldigung Aiwangers erforderlich. Und wie er stattdessen den Spieß umdreht und die Medien beschuldigt, statt selber zur Aufklärung der Vorgänge von damals beizutragen, finde ich schon sehr befremdlich.

Wie glaubwürdig ist es denn, wenn jemand sich an so gut wie nichts mehr erinnern kann, aber zugleich behauptet, die Sache mit dem Flugblatt sei für ihn ein einschneidendes Erlebnis gewesen, das sein Leben verändert habe?

Das ist natürlich überhaupt nicht glaubwürdig. Aiwanger wirkt ja auch ansonsten ziemlich wach, kann auch lange Reden frei halten. Er erweckt nicht gerade den Eindruck, als ob er unter größeren Gedächtnisausfällen leidet.

„Ein CSU-Minister hätte sein Amt nicht behalten“

Auch die CSU wirft Aiwanger den Umgang mit der Affäre vor. Seine Entschuldigung kam spät und war halbherzig, er hat sich selbst zum Opfer stilisiert, viele seiner Erklärungen haben neue Fragen aufgeworfen. Und auch seine Antworten auf die 25 Fragen von Söder waren dürftig. Hätte all das nicht auch eine Entlassung gerechtfertigt?

Ja, das sehe ich auch so. Und Söder hat ja auch selber deutlich gemacht, dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen ist und er mit sich gerungen hat, das nehme ich ihm auch ab. Trotzdem kann ich seine Entscheidung absolut nachvollziehen. Söder hat sich ja auch rückversichert, und die Äußerungen von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde in München, sprechen ja eine deutliche Sprache: Sie findet Söders Entscheidung richtig und lehnt zugleich die Entschuldigung Aiwangers ab. Söder hat ein sehr gutes Gespür für Stimmungen, er weiß genau, dass ihm eine Entlassung Aiwangers auch in den eigenen Reihen um die Ohren geflogen wäre.

Wäre aus Ihrer Sicht ein CSU-Minister, bei dem solche Altlasten wenige Wochen vor einer wichtigen Wahl bekannt geworden wären, im Amt geblieben? Der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber sagt, so jemand wäre nach zwei Tagen rausgeflogen.

Ja, das glaube ich auch. Ein CSU-Minister hätte sein Amt nicht behalten. So eine große Stütze kann jemand gar nicht sein, dass Söder ihn in dieser Situation gehalten hätte. Aber es ist natürlich etwas anderes, ob es ein innerparteiliches Problem ist oder ob es um einen Koalitionspartner geht.

Für die CSU ist es die erste Krise ihrer Geschichte, für die sie einen politischen Preis zahlen muss, ohne in die Sache verwickelt zu sein. Und die erste Krise, die sie nicht aus eigener Kraft lösen kann. Was bedeutet das für das Selbstbewusstsein dieser Partei?

Für die CSU, die viele Jahre allein regiert hat, ist das eine neue Konstellation. Es ist beinahe kurios, dass die CSU, die sich an der Ampel abarbeitet, die ein kompliziertes Bündnis von drei sehr unterschiedlichen Parteien ist, jetzt selber erlebt, wie schwierig es mit einem Koalitionspartner sein kann. Und geradezu hundsgemein für die CSU ist, dass dieser schwierige Koalitionspartner offenbar auch noch im Aufwind ist und damit dafür sorgt, dass die CSU in Zukunft noch mehr auf Koalitionen angewiesen ist.

Markus Söder hat sich ohne Not von Anfang an auf die Fortsetzung einer Koalition mit den Freien Wählern festgelegt und alle anderen Optionen ausgeschlossen. Damit hat er Aiwanger quasi einen Blankoscheck ausgestellt. War das ein Fehler?

Das kann man so sehen. Aber da muss sich die CSU schon an die eigene Nase fassen. Ich kenne keinen CSU-Landtagsabgeordneten oder sonst jemanden von Rang in der Partei, der dafür ist, mit den Grünen zu koalieren. Die eigene Partei hat Söder regelrecht da hineingedrängt. Er hat ja eine Zeit lang durchaus mit den Grünen geliebäugelt, man weiß natürlich nicht, wie ernst das gemeint war. Aber da gab es wenig Begeisterung, weder in der Fraktion noch in der Partei.

„Den Leuten einzureden, dass alles wieder so werden kann, wie es vor 30 Jahren war, ist keine verantwortungsvolle Politik“

Söders klare Absage an die Grünen kommt in der CSU gut an. Zumindest in Bayern scheint die Distanz zwischen Schwarz und Grün so groß wie lange nicht. Gerät hier etwas in Bewegung, was auch Auswirkungen auf die Bundesebene haben kann, eine neue Eiszeit zwischen Union und Grünen?

So heftig die Aversionen in der Union gegen die Grünen im Moment auch sind, die Union muss die Lage realistisch einschätzen. Wenn sie im Bund wieder regieren will, sehe ich wenige Konstellation ohne Beteiligung der Grünen. Es bliebe dann nur, wieder mit der SPD zusammenzugehen. Und die SPD macht derzeit nicht den Eindruck, als ob sie daran Interesse hätte. Ich denke, man darf bei den jetzigen Attacken auf die Grünen auch nicht alles für bare Münze nehmen. Die Grünen werden in einer Art und Weise schlecht geredet, mit der auch eigene Versäumnisse kaschiert werden.

Was macht die Union falsch?

Solange es CDU und CSU nicht schaffen, eine glaubwürdige Klimapolitik zu betreiben, brauchen sie sich nicht wundern, wenn die Grünen auf der anderen Seite mit einer dogmatischen Verhärtung reagieren. Mein Vorwurf an die Union ist, dass sie eine fatale Missachtung klimapolitischer Herausforderungen an den Tag legt. Jetzt rumzulaufen und zu verkünden, dass man alles wieder abschaffen will, was die Ampel beschlossen hat, ist doch hanebüchen. Den Leuten einzureden, dass alles wieder so werden kann, wie es vor 30 Jahren war, ist keine verantwortungsvolle Politik.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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