Analyse
Erscheinungsdatum: 08. Oktober 2023

Politologe Wolfgang Schroeder zur Hessenwahl: „Das war eine Anti-Merz-Wahl"

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Boris Rhein hat mit der CDU die Hessen-Wahl gewonnen, Nancy Faeser und die SPD haben schwer verloren. Und die FDP weiß noch nicht, ob sie im Landtag bleibt. Der Kasseler Professor Wolfgang Schroeder über einen verunglückten SPD-Wahlkampf, den Anteil von Kanzler Olaf Scholz an der Schlappe und was das Ergebnis möglicherweise über den nächsten CDU-Kanzlerkandidaten besagt.

Was ist die Erklärung für den unangefochtenen Erfolg eines ja eher blassen, wenig charismatischen Ministerpräsidenten? Und das, obwohl die CDU im Bund ja nicht gerade einen Höhenflug hat?

Das war ein doppelter Oppositionswahlkampf – gegen die Ampel in Berlin und ganz konkret gegen Nancy Faeser. Dann gab es einen geglückten Wechsel während der Legislatur von Volker Bouffier an Boris Rhein, der selbst eine homöopathische Kontinuitätsstrategie praktizierte. Es gibt bei den Wählern eine Sehnsucht nach Stabilität, nach Kontinuität und Unaufgeregtheit, und Rhein scheint dies zu erfüllen. Er hat nicht polarisiert, und wenn doch, dann eher in sehr harmlosen Portionen.

Die SPD hatte eine prominente Spitzenkandidatin, hatte viel Bundes-Unterstützung – und landet gerade noch auf Platz drei, vielleicht sogar vier. Wie ist das zu erklären?

Die Wähler haben gegen die Ampel gestimmt und gegen Nancy Faeser als Repräsentantin dieser Ampel. Hinzu kommt, dass es keine Wechselstimmung gab und zu sie keiner Zeit eine Machtoption besaß. Besonders unglücklich war auch die thematische Aufstellung. Der Fachkräftemangel zum Beispiel war eines der Themen zu Beginn, hat aber zu keinem Zeitpunkt gezündet. Es ist halt auch kein starkes Länderthema. Zum Schluss kam der Fachkräftemangel fast überhaupt nicht mehr vor. Da stellen sich Fragen an die Partei- und Kampagnenorganisation.

Warum haben die SPD-Themen Wohnen, Bildung, Gesundheit, die ja echte Problemthemen sind, überhaupt nicht gezündet?

Richtig, die SPD ist damit überhaupt nicht durchgedrungen. In der Fläche zum Beispiel ist das Thema Wohnen kein Thema. Oder das Thema Gesundheit ist primär ein Bundes- und kein Landesthema – und da geht es im Zweifel im Moment eher um Krankenhausschließungen. Gewinnen lässt sich damit auch nicht.

Kann die SPD überhaupt noch Kampagne?

Sie hat nicht den Eindruck erweckt, dass sie in dieser Disziplin besonders begabt ist. Nicht mal beim Thema Bildung, bei dem es ja in der Tat erhebliche Defizite in Hessen gibt, hat sie einen dynamischen Zugang zum Thema entwickelt. Das Thema erneuerbare Energien kam kaum vor, Bildung wurde erst spät und dann auch eher unglücklich thematisiert, und dann wurde Boris Rhein zum Schluss in einem Video noch völlig unangemessen dargestellt. Nein, das war nicht besonders gelungen.

Wie groß ist die Enttäuschung in der Hessen-SPD über die Rückkehr von Nancy Faeser nach Berlin?

Teils, teils. Sie hat ja von Beginn an mit offenen Karten gespielt, und die Partei hat es akzeptiert. Auch wenn es nicht alle toll fanden. Aber da wird ihr niemand einen Strick drehen.

Welchen Anteil hat Olaf Scholz an dem Ergebnis in Hessen?

Der Kanzler als führender Verantwortlicher der Ampelkoalition kann sich da nicht rausnehmen. Er muss in die Krisenanalyse einbezogen werden. Beide Ergebnisse, aber vor allem das in Hessen, sind in einer gewissen Kontinuität zu sehen. Wenn es in starken Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Hessen nicht funktioniert, dann ist auch nichts Gutes in schwächeren Bundesländern zu erwarten. Insofern verkörpert Hessen geradezu dramatisch den Abwärtstrend der gesamten SPD. Das Kanzleramt und der SPD-Teil der Regierung haben in ihrer Berliner Blase meines Erachtens einen falschen Blick auf die reale Substanz und Potenz der Partei. Zu einer eigenen Dynamik haben sie jedenfalls nicht beitragen können.

Kann Nancy Faeser nach diesem Ergebnis Landesvorsitzende bleiben?

Das ist heute das schlechteste SPD-Ergebnis seit 1945. Nach der Aufarbeitung des Ausgangs muss es eigentlich eine organisatorische, programmatische und personelle Erneuerung geben. Es gibt in Hessen immer noch einen starken sozialdemokratischen Unterbau. Mit einer starken organisatorischen Präsenz der Mitglieder; aber auch bei den Landräten, Bürgermeistern und in der Zivilgesellschaft. Die Frage ist, warum man so wenig daraus macht. Bestimmt wäre eine bessere, eine dynamischere Kampagne möglich gewesen. Andererseits: Wenn man seit fast 25 Jahren in der Opposition ist, ist es für viele starke Personen nicht mehr reizvoll, in die Partei einzutreten und sich zu engagieren. Die Partei hat ja wenig an Jobs und Perspektiven anzubieten.

Was sagt das AfD-Ergebnis in Hessen und Bayern über die Rechtspopulisten im Westen aus?

Die AfD hat gleich in zwei Flächenländern das beste Wahlergebnis im Westen überhaupt erreicht. Erstmals sind sie zweitstärkste Kraft in westdeutschen -Flächenländern. In gewisser Weise drückt sich darin die Normalisierung rechtspopulistischer Politik in Deutschland. Es gibt bei einem größer gewordenen Teil der Wähler nicht mehr diese öffentliche Unerwünschtheit, die AfD zu wählen.

Die FDP stürzt in Bayern sicher aus dem Landtag, in Hessen war das am Abend noch offen. Wann setzt sich bei Christian Lindner und seinen Strategen die Einsicht durch, dass der Bundeskurs der Partei bei den Wählern nicht verfängt?

Ich glaube gar nicht. Es gibt ja eine beobachtbare Entkopplung von Landesverbänden und autonom agierender Führungsspitze in Berlin. Christian Lindner wird weiter seine prinzipienorientierte, eigenständige Politik gegen die beiden Koalitionspartner betreiben. Man kann auch sagen, eine Oppositionsstrategie innerhalb der Regierung. Es könnte sogar sein, dass er auf einen kalkulierten Bruch der Ampel hinarbeitet. Und sich die Union als neuen Partner sucht.

Wie soll das aufgehen?

Offensichtlich gibt es ja ein Potenzial der Union von bis zu 40 Prozent.

Die Union liegt in Umfragen bei 28, nicht bei 40 Prozent, die sie bräuchte.

Hessen entspricht ja in etwa dem Durchschnitt des ganzen Landes. Und die CDU kommt mit einem wenig eloquenten Ministerpräsidenten auf rund 35 Prozent. Das heißt, mit einem weniger polarisierenden Kandidaten wäre für die Union einiges drin. Es gibt in Deutschland eine tiefe Sehnsucht nach unaufgeregter Führung, das zeigt Hessen doch heute.

Das dürfte der Union mit einem Kandidaten Friedrich Merz aber kaum gelingen.

So ist es. Hessen war gewissermaßen eine Anti-Merz-Wahl. Die Union scheint derzeit eher mit einem Kandidaten mit einem moderierend, ruhigen Stil eine Chance zu haben. Der kann nach Lage der Dinge wohl nicht Friedrich Merz heißen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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