Analyse
Erscheinungsdatum: 03. Dezember 2023

Pharmastrategie: Lauterbach stellt Forschung in den Mittelpunkt

Im Bemühen, den Pharmastandort Deutschland zu stärken, stellt Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Forschung in den Mittelpunkt. Mit einem neuen Gesetz sollen klinische Studien beschleunigt werden. Der Pharmaindustrie reicht das nicht aus.

Bei der Vorstellung der Eckpunkte für ein neues Medizinforschungsgesetz und der in Abstimmung befindlichen Pharmastrategie der Bundesregierung verwies Gesundheitsminister Karl Lauterbach in Berlin auf die Lehren aus der Covid-19-Pandemie. Die Stärke der forschenden Pharmaindustrie hätten sich in der Krise gezeigt, sowohl für die Gesundheit der Bevölkerung als auch für die Wertschöpfung in Deutschland. „Energiearm und innovationsreich“ seien die Unternehmen zudem und damit eine Zukunftsbranche zur umweltfreundlichen Reindustrialisierung des Landes.

Mit der Diagnose, dass es am Standort Deutschland für die Erforschung und Produktion von innovativen Arzneimitteln an attraktiven Bedingungen mangelt, steht Lauterbach nicht allein. Nach dem Weggang der Krebsforschungssparte von Biontech Richtung London Anfang des Jahres hatten Oppositionspolitiker und Experten darauf hingewiesen, dass Zulassungsverfahren im föderalistischen Deutschland zu lange dauern. „Der Standort Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren deutlich an Attraktivität verloren und ist international kontinuierlich zurückgefallen“, sagte Lauterbach.

Hinzu kämen zunehmende Abhängigkeiten bei Lieferketten. Während im Jahr 2000 noch rund 30 Prozent der Wirkstoffproduktion zugelassener Arzneimittel in Asien produziert wurden, waren es 2020 bereits über 60 Prozent. Es müsse also auch Produktion zurück nach Europa geholt werden, sagte Lauterbach.

Der Gesundheitsminister will auf diese Entwicklung nun mit einer Reihe von Maßnahmen reagieren. Im Mittelpunkt steht dabei ein neues Medizinforschungsgesetz, das vor allem die Genehmigungsverfahren für klinische Studien verkürzen soll. In der Covid-19-Pandemie ging bei den Impfstoffen alles viel schneller, weil es funktionieren musste. Jetzt will der Bund für einfache Studien eine Genehmigung in nur 26 Tagen zur Regel machen, und damit bis zu 19 Tage Zeitgewinn für die forschende Industrie erreichen. Damit Studien schneller und einfacher genehmigt werden, soll laut Eckpunkteplan:

Organisatorisch ist im neuen Gesetz die Stärkung des BfArM die größte Änderung. Die Bundesbehörde soll mehr Personal erhalten und allein die Koordinierung für Zulassungsverfahren und Anträge bei klinischen Studien übernehmen. Bislang hätten hier „komplexe geteilte Zuständigkeiten“ mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bestanden, das seine Organisationsstruktur erst kürzlich an die Lehren der Corona-Krise angepasst hatte. Lauterbach versprach dem PEI, dass seine Arbeit in keiner Weise eingeschränkt werde. Eine Steuerungsgruppe des BMG soll nun Zuständigkeiten entflechten und anschließend im BfArM aufgehen.

Mit den Ländern, die dem Gesetz zustimmen müssen, habe man sich in den vergangenen Monaten immer wieder eng abgestimmt, sagte Lauterbach und war sich deren Zustimmung sicher. „Die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind, dass das Gesetz benötigt wird. Es geht ja auch nicht darum, dass sich Unternehmen in einem anderen Bundesland ansiedeln, sondern im Ausland, wenn wir keine besseren Bedingungen schaffen.“ Mehrfach wies er auch auf die Rückendeckung aus den anderen beteiligten Bundesministerien hin und gab sich zuversichtlich, dass das Gesetz bereits im Frühjahr 2024 verabschiedet werden könne.

Neben den einzelnen Maßnahmen im Medizinforschungsgesetz, sei aber vor allem das Zusammenspiel verschiedener Gesetze und Initiativen entscheidend, für dessen Koordinierung das BMG die „Spielführerschaft“ habe, sagte Lauterbach. Ziel sei es auch, den Forscherinnen und Forschern mehr Zugang zu Gesundheitsdaten zu eröffnen. Dazu sollen neben dem angekündigten Medizinforschungsgesetz auch das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sowie das geplante Digitalgesetz für die Einführung einer elektronischen Patientenakte für alle Versicherten beitragen.

Daten, die bei der Abrechnung von Behandlungen anfielen, sollen künftig bundesweit zusammengeführt werden, wie Lauterbach sagte. Auf diese Weise solle die Forschung diese, zum Beispiel für die Entwicklung genbasierter individueller Krebstherapien, besser nutzen können. Hierfür gebe es Kooperationen etwa mit Israel, den USA und Großbritannien. Dem Aufbau neuer Produktionsstätten in Deutschland sollten zudem „gezielte Förderinstrumente“ dienen, schreibt das Gesundheitsministerium in dem am Freitag veröffentlichten Strategiepapier. Diese würden gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium geprüft. So sollten Start-up-Unternehmen mit steuerlichen Anreizen für Ansiedlungen gewonnen werden. Lauterbach zeigte sich hier trotz der aktuellen Haushaltskrise optimistisch. Das Wirtschaftsministerium habe „hier kluge Ideen“.

Im Einklang seien die Pläne für eine Stärkung des Pharmastandorts mit den Ergebnissen eines Spitzengesprächs bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Vortag, sagte Lauterbach. Bei dem sogenannten Pharmagipfel hatten unter anderem Spitzenvertreter der Pharmaindustrie, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) teilgenommen. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) begrüßte am Freitag die Pläne für das Medizinforschungsgesetz, übte aber auch Kritik.

„Reformen beim Rahmen für Forschung und Entwicklung alleine reichen für eine Stärkung des Pharmastandorts Deutschland nicht aus. Es kommt zudem darauf an, auch die Markt- und Produktionsbedingungen hierzulande innovationsfreundlich auszugestalten“, sagte vfa-Präsident Han Steutel. Medienberichten zufolge soll es beim Pharmagipfel auch um die Leitplanken des AMNOG gegangen sein. Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (Amnog) wurde 2011 eingeführt, um die stetig steigenden Kosten für Arzneimittel einzudämmen.

Karl Lauterbach reagierte auf Nachfrage mit der Ankündigung eines Best-Practice-Dialogs mit einzelnen Pharma-Unternehmen. „Meine Erfahrung ist hier, dass es besser ist, mit einzelnen Unternehmen über konkrete Bedürfnisse zu sprechen, als mit den Verbänden, die pauschal die Abschaffung des Amnog fordern.“ Seit der Einführung des Amnog müssen pharmazeutische Unternehmen nachweisen, dass ihr neu auf den Markt gebrachtes Arzneimittel – das oft teurer ist – einen Zusatznutzen gegenüber der Standard­therapie hat.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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