Analyse
Erscheinungsdatum: 10. November 2024

Neuwahl-Streit: Union stellt Bedingung und Mützenich hofft auf einzelne Kooperation

Gibt es Gespräche für eine gemeinsame Lösung? Am Sonntagabend klingt der Kanzler so. Er sagt: Wenn Rolf Mützenich und Friedrich Merz sich einigen, dann stehe er dem nicht im Wege.

Die Union lehnt es ab, über die Verabschiedung von möglicherweise noch nötigen Gesetzen im Bundestag zu sprechen, solange Bundeskanzler Olaf Scholz nicht die Vertrauensfrage gestellt hat. CDU und CSU verlangen, dass der Termin für Neuwahlen früher stattfinden muss als Ende März, wie es der Kanzler bisher anvisiert hat. „Zuerst die Vertrauensfrage, dann kann es auch im Parlamentsbetrieb weitergehen“, sagte der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU) Table.Briefings. Er kritisierte die Weigerung von Scholz, die Vertrauensfrage diese Woche zu stellen. Ein Terminproblem gebe es nicht. „Die von der Rest-Ampel gestreuten Fristprobleme sind Unsinn. Der Gesetzgeber hat hierfür extra Vorkehrungen getroffen.“

Mit „gestreuten Fristproblemen“ meint Frei vor allem die Äußerungen der Bundeswahlleiterin. Obwohl ein Sprecher des für die Durchführung der Wahl zuständigen Statistischen Bundesamts zunächst betont hatte, kurzfristige Neuwahlen seien kein Problem, erklärte die Bundeswahlleiterin am Freitag das Gegenteil. In einem Brief an den Bundeskanzler warnte die Behördenchefin Ruth Brand vor „unabwägbaren Risiken“ in den Kommunen durch eine zu schnelle Wahl. Nach einem Bericht der Bild-Zeitung hatte das Kanzleramt vor dem Briefversand Kontakt zu der Behörde. Eine Einflussnahme habe es aber nicht gegeben, betont das Statistikamt. Union und FDP glauben gleichwohl, dass der Brief erbeten wurde, um den Zeitplan des Kanzlers zu stärken. Die Grünen wollen die Bundeswahlleiterin zu einer Sondersitzung des Wahlprüfungsausschusses einladen.

Obwohl zwischen Scholz und Merz derzeit Funkstille herrscht, gibt es von SPD-Seite Bemühungen, mit der Union ins Gespräch zu kommen. Helfen soll dabei eine durchaus gut funktionierende Arbeitsbeziehung zwischen SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Friedrich Merz. Im Laufe des Sonntags war zu hören, dass beide noch am gleichen Tag miteinander sprechen könnten. Abends zitierte die SZ Mützenich mit dem Wunsch, eine Einigung über einen früheren Termin mit einigen gemeinsam zu beschließenden Gesetzesvorhaben zu verbinden. Stichworte: Kindergeld, Deutschlandticket, Entlastung für Industrie und Zuliefererbetriebe sowie der Schutz des Verfassungsgerichts. Und der Kanzler? Er sagt am späten Abend in der ARD, dass er mit Blick auf den Termin alles akzeptieren werde, was die beiden vereinbaren sollten.

Dabei könnte Mützenich helfen, dass auch in der weiteren Unionsführung vor einem zu frühen Termin gewarnt wird. Nach Informationen von Table.Briefings hat die CDU nach wie vor Probleme mit ihrem vor Wochen mutmaßlich von russischen Hackern angegriffenen Mitgliederverzeichnis. Das hat offenbar dazu geführt, dass in einigen Bundesländern Aufstellungsversammlungen aufgeschoben wurden. Insgesamt sollen 35 bis 40 Prozent aller Aufstellungsversammlungen noch nicht stattgefunden haben. Würde sich Friedrich Merz mit seinem Wunsch nach einem Wahltermin spätestens Ende Januar durchsetzen, kämen auch viele der eigenen Gliederungen unter Druck.

Allerdings berichten Teilnehmer der CDU-Gremiensitzungen vom vergangenen Donnerstag auch, Merz habe erklärt, dass er den Bundespräsidenten um Unterstützung für eine Auflösung des Parlaments spätestens bis Weihnachten gebeten habe. Also rund um den letzten Sitzungstag, dem 20. Dezember. Das hieße, Scholz müsste die Vertrauensfrage Ende November, Anfang Dezember stellen.

An diesem Montag wollen die Wahlleiter von Bund und Ländern das weitere Vorgehen beraten. Der Städte- und Gemeindebund sieht keine Probleme für eine schnelle Neuwahl. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer internen Nachricht klargestellt, dass das Innenministerium die Fristen für eine Neuwahl durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates abkürzen könne. Für die Wählerinnen und Wähler würden sich gegenüber einer turnusgemäßen Bundestagswahl keine Änderungen ergeben.

Die Grünen distanzieren sich vom 15. Januar, den der Kanzler ins Gespräch gebracht hatte. „Wir Grünen könnten auch gut mit einem früheren Termin leben. Wir haben unsere Arbeit gemacht, sind auf alles vorbereitet“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour. Auch Vizekanzler Robert Habeck soll intern zu erkennen gegeben haben, dass er ein In-die-Länge-ziehen des Verfahrens kritisch sieht. Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, sagte Table.Briefings, der 15. Januar sei „nicht zwingend“. Wichtig sei „ein geordnetes Verfahren, das nicht im Chaos endet“. Den Vorschlag von Merz, die Vertrauensfrage schon in der kommenden Woche zu stellen, findet Mihalic vor dem Hintergrund der nötigen Vorarbeiten allerdings „unseriös“.

Verfassungsrechtlich ist die Lage klar. „Die Initiative für die Vertrauensfrage liegt verfassungsrechtlich allein beim Bundeskanzler. Er kann also grundsätzlich unabhängig von der Situation im Bundestag frei darüber befinden, ob und wann er diese stellen will“, sagte Alexander Thiele, Professor für Öffentliches Recht an der BSP Business Law School Berlin. Allerdings trage der Kanzler dann auch „die alleinige politische Verantwortung im Hinblick auf mögliche Konsequenzen“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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