Analyse
Erscheinungsdatum: 26. Mai 2024

Neue Vorsitzende bei der Berliner SPD, aber keine wirkliche Perspektive

Die Berliner Landes-SPD hat mit Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini zwei neue Vorsitzende. Überwunden ist die Spaltung der Partei damit nicht. Und es scheint nach dem Landesparteitag vom Samstag noch ein weiter Weg dahin.

Es gab schon enthusiastischere Parteitage der Berliner SPD, temperamentvollere, zuversichtlichere, zukunftsweisendere Versammlungen. Dass es dazu am Samstag in Friedrichshain nicht kam, liegt an der tiefen Zerrissenheit der Partei, die auch das neue Führungsduo kaum wird beheben können. Zwar wurden Nicola Böcker-Giannini (49), ehemalige Innen-Staatssekretärin mit 67,56 Prozent der Stimmen, und Martin Hikel (37), Bürgermeister von Neukölln, mit 65,52 Prozent gewählt. Doch sie hatten sich mehr an Rückenwind erhofft. Und tatsächlich stimmten offenkundig Jusos, große Teile der Parteilinken und einzelne Kreisverbände nahezu geschlossen gegen die Neuen, die dem eher pragmatischen Flügel der Partei zugerechnet werden.

Es war ein Parteitag in Moll. Um Inhalte sollte es ohnehin nur am Rande gehen. Glühende, aufrüttelnde Reden gab es kaum; dafür viele Appelle an den Zusammenhalt und die Geschlossenheit der Partei, deren Werthaltigkeit sich allerdings schon bei der ersten Wahl, der der Vorsitzenden zeigte: Zwei Drittel Zustimmung sind ein eher dürftiges Ergebnis, ein Drittel mochte sich offenkundig nicht am Votum der Basis orientieren. Die hatte sich vor Wochenfrist mit einer Mehrheit von 58 Prozent für Hikel/Böcker-Giannini als neue Vorsitzende ausgesprochen. Bindend fanden das viele Delegierte nicht.

Schon die scheidenden Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh wurden eher nüchtern, fast lieblos verabschiedet. Deren Eigenbilanz war allerdings auch hinreichend überschaubar. „Große Aufgaben“ kämen auf die Neuen zu, sagte Giffey. Sie müssten „die Partei zusammen führen“, ihr „Orientierung und Richtung geben“. Offenkundig war ihr das im Bunde mit Saleh, mit dem sie in den dreieinhalb Jahren ihrer Zweierführung ein eher geschäftsmäßiges Verhältnis pflegte, nicht gelungen. Saleh wiederum versuchte es emotional. „Ein bisschen weh getan“ hätten sie schon, die mageren 15 Prozent bei der Vorausscheidung der Vorsitzendensuche. Es gebe aber auch „nichts Schöneres, als dieser Partei zu dienen“. Nebenbei schlug er ein paar inhaltliche Pflöcke ein, quasi eine Mahnung an die Nachfolger. Ihnen gab er mit auf den Weg, es dürfe „zu keinem sozialen Kahlschlag“ kommen und auch nicht „zu weiteren Gentrifizierungswellen in unserer Stadt“. Hikel/Böcker-Giannini hatten vor ihrer Wahl mit einem „Ende der Kostenlos-Stadt“ für sich geworben.

In ihrer Bewerbungsrede, die sie gemeinsam und abwechselnd hielten, skizzierten sie noch einmal ihre Vorstellung einer zukunftsweisenden Stadtpolitik. Grundsätzlich müsse der Senat seine Entscheidungen „stärker vom Alltag der Berliner aus denken“. Es brauche mehr Mut, „unsere Angebote auf ihre Wirklichkeit und Wirksamkeit zu überprüfen“. Zum umstrittenen 29-Euro-Ticket sagte Böcker-Giannini, sie stehe zu seiner Einführung, aber auch zur Überprüfung seiner Wirksamkeit.

Für die Partei kündigte Hikel einen „inhaltlichen, kulturellen und personellen Neuanfang“ an, sie wollten der Partei „ein neues inhaltliches Konzept geben“. Es müsse Schluss sein „mit innerparteilichen Beschimpfungen, Lästereien und einem Übermaß an Selbstgefälligkeit“. Er sprach von einer „Kultur des Zuhörens, des Miteinanders, des Zusammenhalts“. Das klang gut, obendrein hatte das neue Leaderteam prominente Fürsprecher. Ex-Innensenator Andreas Geisel bestätigte die Notwendigkeit zum Wandel: „Es kann nicht so bleiben wie es ist.“ Es reiche nicht mehr aus, „mit uns selbst zufrieden zu sein“. Vielmehr müsse sich die Partei die Frage stellen, „ob die Antworten richtig sind, die wir geben“.

Auch Bundes-Generalsekretär Kevin Kühnert brachte sich in die Debatte ein. Mit einem Appell an die Sieger, „den Sieg nicht als Durchmarsch“ zu verstehen. Mit einem Aufruf an die Unterlegenen, „aus ihren Gräben herauszukommen“. Mit der Aufforderung „an den gemeinsamen Willen, sich aus dem Keller herauszuarbeiten“. Vor der gesamten Partei lägen „zwei ganz schwierige Jahre“.

Und dann der staatstragende und numissverständliche Appell des früheren Juso-Chefs und Partei-Linken: „Wer den Erfolg der Berliner SPD will, muss auch den Erfolg der Berliner SPD-Landesvorsitzenden wollen.“ Auf fruchtbaren Boden fielen diese Appelle nicht unbedingt.

Die Gräben scheinen kaum überbrückbar, und es war auf dem Parteitag quasi mit Händen zu greifen. Die Lager rückten tuschelnd und sichtbar zusammen, als zur Wahl der Stellvertreter aufgerufen wurde. Auch die Kreisverbände hatten noch einmal Gesprächsbedarf, als es um die Frage der Beisitzer ging. Argwöhnisch wird in der Partei weiter beobachtet, wer mit wem welche Kontakte pflegt, wer in der Öffentlichkeit miteinander scherzt, streitet oder überhaupt kommuniziert. Wobei für die neuen Vorsitzenden auch ein BZ-Interview vom Freitagabend wenig hilfreich war, in dem Hikel und Böcker-Giannini ihre Sicht der Dinge sehr offen, aber nicht unbedingt taktisch klug darlegten.

Unter anderem hieß es darin, dass die Partei „inhaltlich ziemlich tot“ sei, dass sie „bisher oft Nischenthemen bedient“ habe und dass „unbequeme Diskussionen“ geführt werden müssten, „die wir bisher gemieden haben“. Beide schlossen personelle Wechsel nicht aus und Böcker-Giannini kündigte zum Miteinander innerhalb der Regierung an: „Wenn’s nicht funktioniert, werden klare Konsequenzen gezogen.“ Hikel ergänzte: „Jetzt müssen die Senatsmitglieder der SPD liefern, sonst steht wieder das Thema Transferliste an.“

Das war eine Kampfansage ans gesamte Kabinett; aber auch die Linken durften sich düpiert fühlen. Und Raed Saleh wurde klipp und klar beschieden, er habe „mit der Partei nicht fair gespielt“, indem er seine Bestätigung als Vorsitzender der Fraktion im Abgeordnetenhaus vorgezogen hatte. Damit war schon vor Beginn des Parteitags klar, dass die Neuen – Geschlossenheit hin, Zusammenrücken her – kaum Stimmen von ihren innerparteilichen Kontrahenten erwarten durften.

Entsprechend gelöst war die Stimmung auf Seiten der Parteilinken nach der Wahl des Geschäftsführenden Vorstands. Die ehemalige Berliner Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke, der Abgeordnete Mathias Schulz, und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe werden genauso dem linken Parteiflügel zugerechnet wie Neu-Schatzmeister Fabian Fischer. Um seinen Vorgänger Michael Biel hatte es dem Vernehmen nach vor dem Parteitag noch einmal ein heftiges Tauziehen gegeben. Hikel/Böcker-Giannini hätten ihn gerne behalten; aber Biel selbst schienen die Perspektiven offenbar doch zu ungewiss. Auch im erweiterten Parteivorstand haben die neuen Parteiführer keine Mehrheit, er bleibt links-dominiert.

Die Jusos frohlockten, Fraktionschef Saleh flanierte ebenso entspannt durch die Gänge wie Innensenatorin Iris Spranger, die wohl um ihren Job hätte fürchten müssen, hätten Hikel/Böcker-Giannini eine deutliche Mehrheit erhalten. Immerhin hatte Spranger Böcker-Giannini im vergangenen Herbst als Staatssekretärin entlassen.

Kevin Kühnert hatte in seinem Kurzauftritt von allen „charakterliche Größe, Empathie und ein gewisses Maß an Selbstlosigkeit“ eingefordert. Fraktionschef Saleh hatte betont: „Wir sind am Ende alle in ein und demselben Boot.“

Auf fruchtbaren Boden waren diese Botschaften nicht gefallen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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