Analyse
Erscheinungsdatum: 06. März 2024

Namibia: Ringen um Versöhnung und kein Ende in Sicht

SPD-Chef Lars Klingbeil sucht den Kontakt zum Globalen Süden. Die traditionell guten Beziehungen der SPD zu früheren Befreiungsbewegungen könnten sich dabei als hilfreich erweisen. In Namibia allerdings gestaltet sich die Aussöhnung schwierig.

Es ist für Lars Klingbeil eine Reise ins Ungewisse – nicht nur, weil er Afrika als SPD-Parteichef zum ersten Mal bereist. Namibia, Südafrika, Ghana: Drei Länder, alle stehen vor Wahlen in den nächsten Monaten, alle sind aus unterschiedlichen Gründen nicht unwichtig für Deutschland. Alle schätzen Deutschland als fairen Partner, leisten sich aber durchaus eigene Positionierungen, zu Gaza, zum Ukrainekrieg, bei UN-Abstimmungen. Zur namibischen Swapo und zum ANC in Südafrika hat die SPD dabei historisch gewachsene, gute Beziehungen. Die Sozialdemokraten haben die Parteien einst in ihrem Befreiungskampf politisch unterstützt, und das haben diese ihrerseits nicht vergessen.

In Namibia, der ersten Station, ist ein weiteres, schwieriges Thema der Völkermord, den deutsche Soldaten an Herero und Nama verübt haben. Ein Genozid, den Heidemarie Wieczorek-Zeul 2004 in Windhuk so als erste offen benannt hat, seinerzeit ohne es mit Chef Gerhard Schröder abzusprechen. Ein Verbrechen, für das sich Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident entschuldigt hat, für das es aber immer noch kein Versöhnungsabkommen gibt. Jahrelang wurde verhandelt, es ist fertig formuliert, auch die Entschädigungssumme in Höhe von 1,1 Milliarden Euro, zahlbar über 30 Jahre, definiert, aber unterschrieben ist nichts. Zumindest regierungsseitig würden beide Seiten gerne abschließen.

Das sagt auch der deutsche Gast in Windhuk sehr klar. Erstens um einer Vereinbarung möglichst weitere Schritte folgen zu lassen, zweitens um in den Globalen Süden, um den es Klingbeil auch insgesamt geht, ein Signal zu senden: Wir haben als Deutsche eine Verantwortung, wir hatten sie damals, wir haben sie heute – und wir wollen ihr Rechnung tragen. Auch um an der eigenen Glaubwürdigkeit zu arbeiten und sich von anderen Ländern des Nordens deutlich abzusetzen.

Doch die Sache ist kompliziert. Denn umgekehrt hat man in Windhuk Erwartungen an den deutschen Gast, auch wenn er nur Parteichef ist und nicht Teil der Exekutive. Aber Parteichefs haben eine natürliche Autorität, gerade in Ländern, die ihre Unabhängigkeit einer straff organisierten Befreiungsbewegung zu verdanken haben. Das gilt in Namibia für die Swapo genauso wie für den ANC in Südafrika.

Vizepräsidentin Netumbo Nandi-Ndaitwah, 71, die nach dem plötzlichen Tod von Hage Geingob seine Nachfolgerin werden will, nimmt sich deshalb genau so Zeit für den deutschen Gast wie der langjährige Parlamentspräsident Peter Hitjitevi Katjavivi, 82. Er ist Willy Brandt und Olof Palme noch persönlich begegnet und hat sie als Exponenten eines engagierten Nord-Süd-Dialogs in Erinnerung. Offensichtlich wird aber auch: In Namibia tritt eine alte Garde von Politikern ab, viele von ihnen waren im Befreiungskampf dabei, und junge potenzielle Nachfolger sind, auch wenn Klingbeil danach Ausschau hält, noch nicht erkennbar.

Im Verlauf der Gespräche, insbesondere mit den Nachfahren der Herero und Nama, befindet sich der SPD-Chef plötzlich mitten drin in den innenpolitischen Verwerfungen der namibischen Polit-Szene. Im November sind Wahlen, für das Amt des Präsidenten, für das Parlament in Windhuk, für regionale Posten und Mandate. Und natürlich geht es im Wahlkampf auch um die Mittel, die aus Deutschland fließen sollen, möglichst noch vor dem Wahltag. Aber nebenbei wird sichtbar, warum es kurz vor der Unterzeichnung des Versöhnungsabkommens („Joint Declaration“) doch noch hakt.

Klingbeil begegnet einer Auswahl lokaler Herero-Chiefs, die immer noch viele Fragen haben. Zum Beispiel, warum es Gräber für deutsche Soldaten gibt, aber nicht für namibische Opfer. Warum es bis heute kein Mahnmal für die Opfer des Genozids gibt. Weil sie damals in Konzentrationslager gesteckt, vertrieben oder umgebracht wurden, verfügen sie auch kaum über Land. Um aber heute Flächen erwerben zu können, fehlt ihnen, anders als ausländischen Investoren, das Geld. Es fehlt ihren Communities, so berichten sie, an allem. Grundschulen ohne Dächer, Krankenwagen, die nicht mehr fahren, Straßen, die nicht mal mehr als Pisten taugen. Und immer die Sorge, dass das deutsche Geld, sollte es einmal fließen, an klebrigen Händen und tiefen Taschen in Windhuk hängen bleibt und die Betroffenen nie erreicht.

Und dann begegnet der deutsche Gast einer Gruppe Hereros, eloquent, akademisch gebildet, offensichtlich im Ausland geschult, die das Völkerrecht ebenso gut kennen wie die jüngere deutsche Geschichte und die deutsche Parteienlandschaft. AfD? Linkspartei? Alles bekannt. Und es ist ihnen auch völlig klar, dass ein Versöhnungsabkommen den Stern der Deutschen im Globalen Süden, über Namibia hinaus, deutlich heller strahlen lassen würde. Ihr Sprecher gibt gleich zu Beginn zu verstehen, dass sie sofort vor Gericht ziehen werden, sollte das Abkommen unterzeichnet werden. Ihr Argument: Viele Hereros seien damals vertrieben worden, viele seien ins Ausland emigriert, hätten nun aber keine Stimme gehabt beim Versöhnungsprozess und würden wohl auch leer ausgehen. Zum Vergleich: Die Jewish Claims Conference habe seinerzeit bei den Verhandlungen zwischen Deutschland und Israel immer mit am Tisch gesessen und erheblichen Einfluss ausgeübt.

Der deutsche Bundespräsident habe sich zwar entschuldigt, aber was sei darauf gefolgt? Und schließlich die Frage, die auch den deutschen Parteichef nachdenklich macht: Warum gibt es eine Resolution des Bundestages zum Genozid in Armenien, aber keine zum Völkermord an den Nama und Hereros? Ein Völkermord immerhin, den ausschließlich Deutsche verübt haben.

Vorsichtig weist Klingbeil darauf hin, dass sich auch in Deutschland im September 2025 nach der nächsten Bundestagswahl ein Fenster der Versöhnungs- und Zahlungsbereitschaft schließen könnte, dass auch in Deutschland auf der Rechten kritische Fragen nach Zahlungen gestellt würden. Es ist die sublime Aufforderung: Lasst euch ein auf den Deal, schlagt ein, besser wird es nicht mehr. Die mitgereiste Bundestagsabgeordnete Nadja Sthamer (SPD), zugleich Entwicklungsexpertin, erinnert daran, dass natürlich auch weitere BMZ-Projekte denkbar wären. Auch jetzt schon sind BMZ und GIZ durchaus aktiv in Namibia, allerdings nicht nur mit sinnvollen Investitionen, wie die deutsche Seite einräumt.

Verhandeln kann und will der Parteichef aus Deutschland nicht. Hinterher sagt er, er habe neue Perspektiven aus den direkten Gesprächen mitgenommen, „die ich sehr wertvoll für den deutschen Blick finde“. Er sagt aber auch sehr deutlich, „das Versöhnungsabkommen muss jetzt zum Abschluss gebracht werden“. Nach Berlin nehme er die Bitte der Gastgeber mit, „noch einmal Druck zu machen für eine zügige Lösung“. Und er nimmt die Erkenntnis mit, dass der Schlüssel für eine rasche Lösung nicht zuletzt in Namibia selbst liegt. Dass sich Herero und Nama nicht schlagkräftig organisiert haben und auch das Korruptionsproblem im Land ist den Deutschen schwerlich anzulasten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!