Analyse
Erscheinungsdatum: 25. Juni 2023

Merz? Wüst? Söder? Richtige Frage, absurder Zeitpunkt

Fußball 1. Bundesliga 34. Spieltag Borussia Dortmund - 1. FSV Mainz 05 am 27.05.2023 im Signal Iduna Park in Dortmund Hendrik Wüst, links - Friedrich Merz, rechts DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video. *** Fußball 1 Bundesliga 34 Spieltag Borussia Dortmund 1 FSV Mainz 05 am 27 05 2023 im Signal Iduna Park in Dortmund Hendrik Wüst, left Friedrich Merz, right DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and or quasi video xstx
Machtkämpfe sind wichtig. Aber sie müssen zum richtigen Zeitpunkt geführt werden. Angela Merkel hat das perfektioniert; Hendrik Wüst und Friedrich Merz haben gerade das Gegenteil bewiesen. Zum Schaden aller in der Union.

Eitelkeit ist kein guter Berater. Und doch treibt Eitelkeit Politiker immer wieder an, das Falsche zu tun. Im Gefühl, gerade besonders stark zu sein und also schon mal am nächsten Karrieresprung zu basteln. Oder im Gefühl, dass man auf eine wahrgenommene Unverschämtheit unbedingt sofort und rigide antworten müsste. Oft genug geschieht das eine wie das andere, ohne dass derjenige merkt, wie sehr er sich damit erstmal selbst schwächt. Beides konnte man gerade in der CDU erleben: Der eine heißt Hendrik Wüst, der andere Friedrich Merz. Und die Gewinnerin heißt Angela Merkel. Sie wusste stets, wann an einen Machtkampf führt und wann nicht – und ihre Größe in dieser Frage ist aktuell noch einmal bestätigt worden.

Begonnen hat es mit Hendrik Wüst. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident hat vor rund zehn Tagen einen Konflikt in der CDU angestoßen, der im Rückblick niemandem nutzt und allen schadet. Ausgangspunkt war, dass der CDU-Landeschef, seit einem Jahr Ministerpräsident einer schwarz-grünen Koalition, meinte, er müsse in den Programmprozess der Bundespartei hinein mal ein paar klare Botschaften loswerden. Mehr Liberalität, bitte keine harschen Töne, möglichst zukunftsgewandt, immer in der Mitte – und das bitte in der stolzen Tradition von Helmut Kohl und Angela Merkel – so lässt sich seine Einlassung in der FAZ zusammenfassen. Besonders wirkungsvoll, weil vorgetragen von einem, der inzwischen gut ein Jahr ziemlich geräuschlos eine schwarz-grüne Koalition regiert und dabei schon jetzt in der Lage ist, so erhaben aus dem Dienstwagen zu steigen wie der Bundespräsident nach 30 Jahren.

Nun ist derlei nicht verboten; selbstverständlich kann und soll ein Landeschef auch auf die Debatte um das Grundsatzprogramm seiner Partei einwirken. Aber wenn das parallel gefüttert wird mit Bildern, die dem aktuellen Vorsitzenden weh tun müssen, wird daraus kein Akt der Loyalität, sondern der Abgrenzung. Exakt das war geschehen. Als CDU-Chef Friedrich Merz auf dem kleinen Parteitag vorne auf der Bühne über Wege in die Zukunft sprach, hatten sich Wüst und manche seiner Mitstreiter plaudernd unter die Leute gemischt. Es sollte erkennbar sein – und war es auch.

Dabei stellt sich nur eine Frage: wozu das Ganze? Will Wüst wirklich jetzt, zwei Jahre vor der Bundestagswahl, eine Debatte über die Kanzlerkandidatur anstoßen? Würde er tatsächlich in seiner aktuell komfortablen Lage Bundesparteichef werden wollen? Hat er sich überhaupt schon überlegt, ob eine Kanzlerkandidatur 2025 wirklich gelegen kommt, ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Geriete er nicht sofort in eine Debatte, in Düsseldorf dann nicht mehr weitermachen zu können? Einige seiner engsten Mitarbeiter waren hautnah dabei, als Armin Laschet genau das widerfuhr.

Vieles, wenn nicht alles spricht dafür, dass er das alles – ob durchdacht oder nicht – jetzt gar nicht möchte. Es würde nämlich seine Rolle in Düsseldorf dramatisch verkomplizieren, auch wenn er ganz grundsätzlich als Kanzlerkandidat in Frage kommen könnte. Nur: Jetzt das vom Zaun brechen? Noch dazu in einer Lage, in der er wissen müsste, dass die Medien ihn im Augenblick noch im sanften Licht der Abendsonne sehen – was sich schlagartig ändern würde, sollte er tatsächlich aufsteigen. Kann er das wollen?

So merkwürdig Wüsts Timing anmutet, so ungeschickt ist nicht zum ersten Mal die Antwort des Bundesparteichefs. Die von Merz ewig verachtete Angela Merkel hätte sich nichts anmerken lassen. Wüst nicht mal ignorieren – das wäre ihre Devise gewesen. Aber Merz ist da aus weniger robustem Holz gemacht. Er fühlte sich angegriffen. Also hielt er erst auf dem Parteitag noch sanft und dann im sonntäglichen ZDF-Interview voll dagegen. Damit erfüllte er – beabsichtigt oder nicht – mindestens den zweiten Teil dessen, was Wüst vielleicht erreichen wollte: Das Publikum sah wieder einen Merz, der zwar fröhlich lächelnd, aber in der Sache hart agierte und deshalb nur auf den ersten Blick souverän wirkte. Wenn das Wüsts Ziel gewesen sein sollte, dann war er an dieser Stelle erfolgreich.

Zugleich aber hat er sich Merz noch mehr als zuvor zum Gegner gemacht. Und das könnte für die Union fatal werden. Zum einen, weil auch viele andere, die an Merz als Kanzlerkandidat zweifeln, aktuell anerkennen, dass er mit dem Grundsatzprogramm den ernsthaften Versuch unternimmt, die Partei zu modernisieren. Dabei hat er nur das Pech, dass jedes Mal, wenn die CDU im Größeren ihre Debatten zeigen möchte, andere Themen alles überlagern. Im Januar in Weimar war er es selbst mit seinen Äußerungen über kleine Paschas; jetzt war es Wüst mit seinem demonstrativen Auftreten.

Aushalten können sollte Merz es trotzdem; auch hier würde ihm die (schmerzhafte) Erinnerung an Angela Merkel helfen. Als sie im Jahr 2000 Parteichefin wurde, begann sie sehr vergleichbar, der Partei neue Inhalte zu vermitteln. Mehr als einmal gab es solche programmatischen kleinen Parteitage; mehr als einmal wurden die durch Äußeres verhagelt. Doch obwohl Merkel das ärgerte, zeigte sie nicht ihren Zorn. Sie machte weiter. Und verzichtete auf alle Nebenschauplätze, die ihr Image als Modernisiererin hätten gefährden können.

Ob Merz das noch hinbekommt, ist offen. Und das weiß er auch selber. Jedenfalls wenn er die Lage, in der er ist, mit dem Kopf analysiert. Dann könnte er erkennen, dass seine Beliebtheit nicht besonders groß ist; er könnte sehen, dass sich in der Partei immer noch viele zurücklehnen und ihm bei seinen Anstrengungen zuschauen. Und in ganz stillen Momenten könnte er auch Zahlen vergleichen. Er könnte also erahnen, was es bedeutete, wenn er 2025 mit dann 70 Jahren nochmal als Kanzlerkandidat anträte. Ist man beliebt bei den Leuten, ist das eine sekundäre Frage; kämpft man aber gegen eine Stimmung an, kann das furchtbar schwer werden.

Freilich sagt das alles noch nichts darüber aus, was Merz machen wird Ende 2024, wenn die Entscheidung gefällt werden soll. Noch ist neben seinem analytischen Kopf sein Bauch im Spiel. Also vor allem das Gefühl, dass er eigentlich Kanzler werden möchte. Und besser sein will als Angela Merkel. Mit dieser Leidenschaft ist er zurück auf die politische Bühne gekommen, und mit diesem Ziel hat er noch nicht gebrochen. Es wird also auch auf ein Duell zwischen Bauch und Kopf hinauslaufen.

Genau deshalb muss diese Frage reifen, sie muss Raum bekommen. Bei Merz und bei den Christdemokraten. Zumal der Vorsitzende wie viele in der Partei längst bemerkt haben, wie sich Wüst ein Netzwerk von CDU-Politikern aufbaut, gegen die Merz kaum ankommen dürfte. Köpfchen im Hintergrund ist dafür Paul Ziemiak, früher im Bund Generalsekretär, jetzt in gleicher Rolle bei Wüst in Nordrhein-Westfalen. Das aber ist kein Abstieg. Es schafft ihm genau den Raum, den er braucht, um die Kontakte zu den jüngeren Landeschefs in Niedersachsen, in Baden-Württemberg, in Brandenburg zu pflegen.

Auch Wüst also braucht noch Zeit, um wirklich loszulegen. Umso mehr stellt sich die Frage: warum schon jetzt, da die Zeit ohnehin für ihn spricht? Fürs Erste hat Wüsts Aktion erstmal das Gegenteil erreicht: Mit seinem provokativen Hier-bin-ich-und-weiß-wie-es-geht hat er Merz jeden Raum genommen – und eine unnötige Ungeduld bewiesen. Fürs erste sehen deshalb beide kleiner aus als sie sein wollen. Zum Schaden der CDU.

Der einzige, der sich darüber ziemlich sicher ins Fäustchen lacht, ist Markus Söder. Was ihm ein bisschen Luft im täglichen Ringen verschaffen könnte, auch weil er sich vor seiner anstehenden Wahl an einen ziemlich problematischen Koalitionspartner namens Hubert Aiwanger gefesselt hat. Genau das aber hat bei dem überwiegenden Gros der Christdemokraten nur jenes Misstrauen weiter gefüttert, das sie schon beim letzten Duell um die Kanzlerkandidatur an Söder hat zweifeln lassen. Die Konsequenz, jedenfalls für die nächsten Monate: Zwei Christdemokraten haben sich gegenseitig geschadet und ein Christozialer wird davon auch nicht wirklich profitieren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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