Berlin.Table: Frau Strack-Zimmermann, ist die FDP eine Männer-Partei?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Ich glaube, dass in vielen Köpfen dieses Bild von der FDP, auch von Journalistinnen und Journalisten, so stark eingebrannt ist, dass man die leuchtenden Gegenbeispiele bedauerlicherweise nicht auf dem Schirm hat.
Leuchtende Gegenbeispiele?
Nehmen sie meine Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus, Gesundheitsexpertin, die während der Pandemie unsere Stimme war und heute parlamentarische Geschäftsführerin der FDP Fraktion ist. Schauen sie auf Renate Alt und Gyde Jensen; Frau Alt ist Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte. Sie ist die Fachfrau für Osteuropa. Kennt diese Länder wie ihre Westentasche, spricht im wahrsten Sinne des Wortes ihre Sprache. Gyde Jensen ist seit einem Jahr stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ria Schröder ist federführend verantwortlich für die Themen Wissenschaft und Bildung. Und natürlich unsere Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, fachlich versiert, mit einem hohen Maß an Empathie.
Trotzdem sieht die Öffentlichkeit erstmal etwas anderes. Der Parteichef: ein Mann; der Fraktionschef: ein Mann; der Generalsekretär ein Mann; dazu drei von vier Ministern: Männer. Stinkt Ihnen das nicht? Nicht wenigstens ein bisschen?
Im Fraktionsvorstand sind inzwischen 43 Prozent der Mitglieder weiblich und alle von der FDP geführten Ausschüsse zu 100 Prozent in weiblicher Hand. Sandra Weeser, Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Katrin Helling-Plahr, Rechtspolitische Sprecherin unserer Fraktion, Nicole Westig, Sprecherin für Pflege, die gerade erfolgreich verhindert hat, dass Herr Lauterbach die Hebammen aus den Krankenhäusern verdrängt … und und und. Ich müsste eigentlich alle Kolleginnen namentlich aufzählen, denn alle machen einen richtig guten Job.
Von allen im Bundestag vertretenen Parteien hat nur die AfD einen geringeren Frauenanteil als die FDP – und das auch nur knapp: 20 Prozent sind es bei den Liberalen.
Es spiegelt die Mitgliedschaft der Bundes-FDP wieder und ja, das ist wirklich nicht befriedigend. Aber ich kann ihnen auch als Kreisvorsitzende des Kreisverbandes Düsseldorf versichern, wir arbeiten sehr intensiv daran, mehr Frauen für den organisierten Liberalismus zu gewinnen.
„Ich versuche, Frauen zu ermutigen.“
Stört der Ist-Zustand nur die anderen? Oder löst das auch in Ihrer Partei Unmut aus?
Jeder moderne Mensch bekommt ein Störgefühl, wenn in einer Partei, in einem Verband oder in einem Verein nur 20 Prozent der Mitglieder weiblich sind. In meinem Kreisverband zählen wir etwa 1100 Mitglieder. Vor fünf Jahren lag der Anteil von Frauen bei einer deutlich niedrigeren Anzahl von Mitgliedern bei 25 Prozent. 2017 nach der für uns sehr erfolgreichen Bundestagswahl wurde der Anteil der weiblichen Mitglieder relativ geringer, weil überwiegend junge Männer in den darauffolgenden Jahren in die FDP eingetreten sind. Für viele von ihnen war Christian Lindner die Identifikationsfigur.
Welche Rolle haben Sie bei der Frage?
Ich versuche verstärkt Frauen zu ermutigen, sich politisch zu engagieren und Verantwortung innerhalb der Partei zu übernehmen. Nicht auf Teufel komm raus. Die Kolleginnen müssen auch wollen. Manche haben schlichtweg keine Lust, sich der Auseinandersetzung mit Parteifreunden zu stellen oder haben Sorge nicht mehr genug Zeit für Job und Familie zu haben.
Wieso das denn?
Ich erkläre es mir so: In der CDU/CSU waren in der Vergangenheit häufig Frauen aktiv, die sich bereits im Ruhestand befanden oder bürgerlich gut situiert waren und ihnen dadurch der Raum gegeben wurde, sich politisch zu engagieren. In der Sozialdemokratie haben viele Kolleginnen Gewerkschaftlichen Hintergrund. Sie werden von ihren Aufgaben häufig freigestellt, solange sie ein Mandat haben, und können im Anschluss daran, wieder in den Beruf zurückkehren. Bei den Grünen kommen viele aus dem Grünen Parteiapparat, sind dort politisch sozialisiert worden. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber es ist schon interessant, wenn man die einzelnen Lebensläufe und Werdegänge betrachtet.
Sie wollen also sagen: Frauen brauchen mehr Mut, wenn sie sich für die FDP ins Zeug legen?
Die Frauen, die sich bei uns engagieren, sind so gut wie fast alle Akademikerinnen und viele davon selbständig. Das bedeutet, dass in dem Moment, wo sie sich entscheiden, Politik zu machen, sie keine Garantien mehr haben, in den Beruf ohne weiteres zurückkehren zu können. Dieses gesellschaftliche Phänomen macht es nicht einfacher, Frauen zu motivieren Mitglied bei uns zu werden und so richtig, salopp gesagt, Gas zu geben. Wie oft höre ich Sätze wie: „Ich muss noch überlegen, ich habe einen herausfordernden Job und eine Familie. Und soll jetzt auch noch in der Politik performen?“ Das sind ausgesprochen selbstkritische aber auch existenzielle Überlegungen.
Geben Sie sich damit zufrieden?
Nein, damit kann man sich nicht zufrieden geben. Aber es ist natürlich schon wichtig Erklärungen zu finden, um in Zukunft mehr Frauen für die FDP zu gewinnen.
„Wir täten gut daran, freiwillig das Ziel 50:50 umzusetzen.“
Und was tun Sie dafür?
Ich setze auch darauf, dass wir in bestimmten Politikfeldern noch lauter werden müssen, da wo man es von uns weniger erwartet. So freue ich mich immer sehr, wenn Frauen zu uns finden, die aus sozialen Berufen kommen. Das Vorurteil, mit einer Ausbildung im sozialen Bereich müsste man automatisch bei der SPD landen, ist wirklich komplett daneben. Auf die letzten 50 Jahre Parteiengeschichte geblickt, identifiziert man uns aber offensichtlich sehr stark mit Themen wie Wirtschaft-, Justiz-, Innen und Außenpolitik.
Muss sich die FDP neue Themenfelder erschließen?
Wir brauchen vor allem eine andere Form der Kommunikation. Mehr Empathie möglicherweise. Differenzierte Erklärungen mögen intellektuell Sinn machen, von politischen Entscheidungsträgern erwarten die Menschen aber immer mehr einfache, verständliche Antworten.
Braucht die FDP eine Quote?
Wir täten gut daran, freiwillig das Ziel 50:50 umzusetzen, so wie wir es im Fraktionsvorstand angegangen sind. Das wird nicht alle Kollegen begeistern, aber wir würden uns dadurch ein deutlich zeitgemäßeres Outfit verpassen und unsere Partei für Frauen interessanter machen.
Wird die FDP eine feministische Partei?
Das Wort Feminismus löst nach wie vor bei vielen Kollegen Unruhe aus. Dabei ist der Begriff Feminismus heute ein anderer als noch vor 20 oder 30 Jahren. Ich habe dieses Vorurteil ja selbst gepflegt und hatte zeitlebens mit dem Begriff Feminismus ein Problem. Ich bin in den 70er Jahren politisch sozialisiert worden. Der radikale Feminismus wurde geprägt durch Persönlichkeiten wie beispielsweise Alice Schwarzer. Sie war radikal in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung der Frau. Im Nachhinein war das richtig. Sie hat den Weg geebnet für uns alle, aber ein role model war sie für mich seinerzeit überhaupt nicht. Die Art und Weise, wie sie auftrat, hat den Begriff Feminismus durchaus negativ belastet.
Sehen Sie sich als Feministin?
Für junge Frauen bin ich es vermutlich. Ich selbst habe mich nie so gesehen. Das liegt auch daran, dass ich in meinem Leben nie Männer als Gegner oder Konkurrenten empfunden habe. Mein Mann und ich haben uns immer gemeinsam um unsere Kinder gekümmert. Schon in meinem Elternhaus war es selbstverständlich, dass meine Brüder und ich gleich erzogen worden sind. Mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten.
Sie hatten Glück?
Sehr viel Glück. Ich habe mir meine Unabhängigkeit als Frau nie erkämpfen müssen. Ich habe es auch nie als Kampf empfunden. Mir ist aber klar, dass viele Frauen das anders erlebt haben. Aus unterschiedlichen Gründen: Beziehungen, die nicht auf Augenhöhe gelebt werden, Sozialisation in Familien, die Jungs eine andere Ausbildung ermöglicht haben als den Mädchen der Familie. Manche Frauen leiden noch Jahrzehnte später darunter, dass sie als Tochter von den Eltern diesbezüglich ausgebremst worden sind.
Für viele junge Frauen in der FDP sind Sie das role model.
Ja darüber bin ich baff erstaunt, gehöre ich doch zu einer anderen Generation – meistens zu der ihrer Mütter. Ich gebe aber zu, es ehrt und freut mich. Umso besser, wenn ich helfen und Frauen darin unterstützen kann die eigenen Fesseln – auch die im Kopf – zu sprengen.
„Nicht schlecht, dass gerade jetzt eine Frau das Außenministerium leitet.“
Also lieber kein role model sein?
Menschen brauchen Vorbilder. Wenn es der Sache dient, geht es in Ordnung.
Gibt es für Sie so etwas wie feministische Außenpolitik?
Frauen haben definitiv einen anderen Blick auf gesellschaftliche Geschehnisse. Auch bei der Außenpolitik. Nicht schlecht, dass gerade jetzt eine Frau das Außenministerium leitet.
Warum?
Frau Baerbock wird mit Sicherheit, neben ihrer politischen Sichtweise, als Frau und Mutter noch kleiner Kinder, andere Fragen stellen als ihre Kollegen; gerade jetzt, in dieser dramatischen Zeit, wo in unserer Nachbarschaft ein so grauenvoller Krieg tobt. Frauen assoziieren das mit Flucht, Vergewaltigung und schlimmstenfalls mit der Angst, ihre Kinder nicht richtig schützen zu können.
Hatten Sie diese Idee eigentlich befördert?
Ich halte feministische Außenpolitik, auch wenn der Begriff bei manchen immer noch Kopfschütteln ausgelöst, für zeitgemäß. Wir haben uns bei den Koalitionsverhandlungen geeinigt, das englische Wort "feminist foreign policy" zu nutzen, ein internationaler Terminus, der nicht so belastet ist und doch die weibliche Sicht auf die Welt, ihre Krisen und die Antworten darauf im Blick hat.