Analyse
Erscheinungsdatum: 07. November 2023

Krisenmüde, politikverdrossen und auf der Suche nach Sicherheit

Friends standing under string lights on rooftop model released, Symbolfoto property released, IKF01017

Erschöpft, nachdenklich und zu kraftraubenden Transformationsleistungen nur noch bedingt bereit: Die Nachwendegeneration blickt eher pessimistisch in die Zukunft, zeigt eine Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung. Für die Demokratie wollen sich nur wenige engagieren.

Mehr Lebenszeit und gleichzeitig weniger Zukunft – die Nachwendegeneration (Bild: Imago/Westend61)

Es ist kein sehr optimistischer Befund, den das Meinungsforschungsinstitut pollytix im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung über die Generation der jüngeren Deutschen erstellt hat. Die sogenannten Nachwendegeneration zeige sich „krisenmüde und überfordert von den Anpassungen, die ihnen die letzten Jahre abverlangt haben“. Zugleich sei allen sehr präsent, dass weitere Krisen folgen werden.

„Auf der Suche nach Halt“, ist die Studie überschrieben. Schon der Blick der jungen Erwachsenen auf die Gegenwart fällt eher freudlos aus. Die Stimmung sei geprägt von Sorgen, Ungewissheiten, mitunter auch Ängsten. Viele Grundvoraussetzungen für ein gutes Leben, für frühere Generationen noch eine Selbstverständlichkeit, würden zunehmend infrage gestellt. Die Begründung: „Dem Staat fehle an jeder Ecke Geld, notwendige Investitionen in Schulen, in Bildung oder auch in das Gesundheitssystem blieben aus."

Viele Krisen erscheinen dieser Generation hausgemacht, zumindest sei ihnen politisch nicht frühzeitig und adäquat begegnet worden. Es ist zugleich kein gutes Zeugnis für politische Entscheider: „Es handelt sich in ihren Augen vielmehr um langfristig aufgebaute Problemlagen, deren Zuspitzung vorhersehbar und lösbar gewesen wäre.“ Aber die politischen Akteure blieben bei den großen Themen zu häufig nicht am Ball, mit mehr Konsequenz und Vorsorge hätte sich dem anhaltenden Krisenmodus an der einen oder anderen Stelle vorbeugen lassen. Das glauben zumindest viele der Befragten.

Dabei ist auch diese Generation gespalten. Da sind die einen, erschöpft, erholungsbedürftig und nicht mehr bereit, größere Transformationsleistungen zu erbringen. Und da sind die anderen, die auf Veränderungen drängen, um Vorsorge zu treffen und sich aus dem Krisenmodus herauszuarbeiten. Sie sind zu Anstrengungen bereit, dazu brauche es aber „eine gemeinsame Vision, ein einendes Ziel und eine motivierende Erzählung, die einzelnen Kraftanstrengungen einen Sinn gibt, Akzeptanz schafft und sie in ein großes Ganzes einordnet“, wie die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben.

Die Annahme jedenfalls und das Versprechen früherer Jahre, dass es künftigen Generationen einmal besser gehen möge, gilt in den Augen der Nachwendejahrgänge nicht mehr. Die Generation Praktikum hat ihre Erfahrungen gemacht: „Das Gehalt, das ältere Bürger:innen erreicht haben, gilt als unerreichbar.“

Schon materiell sind die Herausforderungen gewachsen. Für viele der jüngeren Nachwendegeneration gestalte sich der Start ins eigene Leben außerhalb des Elternhauses zunehmend schwierig, „weil sie nicht wissen, wie sie die Miete bzw. Ratenzahlungen und alltägliche Kosten stemmen sollen“.

Es gebe eine spürbare Krisenmüdigkeit, die aktuellen Herausforderungen seien kräftezehrend. Dabei zeige sich, so die Autoren „eine autoritäre Verarbeitung von Unsicherheit und Unzufriedenheit. Das Prinzip von Eigenverantwortung wird hier zu Selbstverschulden“.

Damit in Zusammenhang steht das Gerechtigkeitsgefühl, das nachhaltig gelitten hat. Auch im Vergleich zu früheren Untersuchungen gebe es keine Verbesserung: „Nur Einzelne haben das Gefühl, dass es in Deutschland gerecht zugeht, viele hingegen haben den Eindruck, aktuell selbst zu kurz zu kommen.“ Die Gruppendiskussionen hätten wiederholt gezeigt, so die Autoren, dass „die Grenzen des Sozialstaates in Verteilungskonflikten aktuell neu verhandelt werden“. Denn: „Während sie für vieles kämpfen und sich Wohlstand oder Chancen erarbeiten müssten, bekämen andere deutlich mehr Unterstützung.“

Die Autoren sprechen von „sich verschärfenden Verteilungskonflikten“, was eine Reihe von Befragten mit „einer Abgrenzung nach unten“ beantworteten. So sei wiederholt betont worden, „dass Obdachlose für ihre Lage grundsätzlich selbst verantwortlich seien“. Dies kulminiere bisweilen in nationalistisch-protektionistischen Haltungen: „In der aktuellen Lage müsse man sich als Land erst einmal um die eigenen Bürger:innen kümmern und weniger um Geflüchtete, wobei zum Teil auch Ukraine-Geflüchtete explizit mit gemeint sind.“

Dies führe in der Konsequenz zu einem Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität: „Dies drückt sich in einem Rückzug ins Private und dem Streben nach traditionellen Lebensentwürfen aus: Familiengründung, Eigenheim, Karriere.“ Auch die Idee des Auswanderns hat in dieser Generation Konjunktur: Sie sei „hier nicht postmaterialistisch begründet, durch Neugier und Selbstverwirklichung, sondern durch das Streben nach Sicherheit gekennzeichnet“.

Und auch die Zukunft verheiße wenig Gutes: Gesamtgesellschaftlich wird „sie vor allem negativ gesehen“. Die Befassung mit Eigentum, Sparzielen oder Familiengründung nehme großen Raum ein, aber: „Das Erreichen dieser privaten Ziele scheint ihnen momentan sehr unsicher.“

Versprechen und Glaube jedenfalls, dass es kommenden Generationen einmal besser gehen werde, habe keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr. Die Autoren: „Es gibt für sie keine positive Zukunftserzählung.“ Es mangele an Zuversicht, an Vertrauen in die Politik und an gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Was auch deswegen schlecht ist, weil Krisenresilienz und die Gestaltung von Zukunft abhängig sei „von einem intakten Gefühl des Miteinanders“.

Und das Verhältnis der jungen Generation zu Politik? Sie assoziiert mit Politik „aktuell in erster Linie Negatives“, heißt es in der Studie. Viele Befragte berichteten „von spürbaren Vertrauensverlusten und zeigen sich politisch enttäuscht bis verdrossen“. Selbst politisch Interessierte hätten „kein ausgeprägtes Selbstwirksamkeitsgefühl“. Das Resümee der Befragten: „Politik hat Einfluss auf mein Leben, aber ich habe keinen Einfluss auf Politik – und so wird Politik zur Fremd- statt Mitbestimmung.“

Besorgniserregend allerdings erscheint die gering ausgeprägte Sensibilität für die Bedrohungen des demokratischen Systems. Die AfD eine gefährliche Partei? Ach was. Der Rechtsextremismus im Vormarsch? Wohl kaum. Die Demokratie in Gefahr? Niemals. Die Autoren: "Die Teilnehmer:innen schätzen die Gefahr, die von Demokratiegegner:innen, der radikalen Rechten und der AfD ausgehen, als gering ein und haben derzeit nicht den Eindruck, aktiv für Demokratie eintreten zu müssen.“

Einerseits habe die Nachwendegeneration mehr Lebenszeit vor sich als alle älteren Generationen und doch teilten viele das eigentlich paradoxe Gefühl, „weniger Zukunft zu haben als vorherige Generationen“. Für die Autoren „ein nicht zu unterschätzendes Problem“.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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