Analyse
Erscheinungsdatum: 06. August 2023

Krankenhausreform: Kritiker rügen Lauterbachs Kommission

Lauterbach stellt Long-Covid-Programm vor 2023-07-11 - Deutschland, Berlin - Bundespressekonferenz zur Vorstellung des Long-Covid-Programms des Bundesgesundheitsministers. Im Bild Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach SPD. *** Lauterbach presents Long Covid Program 2023 07 11 Germany, Berlin Federal Press Conference to present the Long Covid Program of the Federal Minister of Health In picture Federal Minister of Health Prof Dr Karl Lauterbach SPD
Diese Woche haben Gesundheitsexperten um die Medizincontrollerin Erika Raab Zahlen von Lauterbachs Regierungskommission zerpflückt. Tenor: Die Kliniken arbeiteten viel besser als behauptet. Da ein „Tsunami“ an Patienten auf die Krankenhäuser zukomme, brauche die Politik dringend einen Weckruf. Das sehen unter Medizinern bei weitem nicht alle so.

Die Vordenker der Krankenhausreform wurden diese Woche von einem vierköpfigen „Expertenstab“ rund um die Medizincontrollerin Erika Raab, zugleich Geschäftsführerin der hessischen Kreisklinik Groß-Gerau, kräftig in die Mangel genommen. Die Regierungskommission des Bundesgesundheitsministeriums habe ein „oberflächliches Studienprofil“ gewählt, monierte Raab, ihre Daten basierten auf „veralteten“ Studien; Qualitätsprüfungen der Kliniken seien „komplett missachtet“ worden. Fazit: Die Analyse der Versorgungsqualität deutscher Krankenhäuser von Karl Lauterbach s Expertenteam sei „realitätsfremd“.

Im Zentrum der Kritik standen Zahlen, die die 16-köpfige Regierungskommission Ende Juni in ihrer „Stellungnahme für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ präsentiert hatte. Auszug aus der Kommissionsstellungnahme: 20.404 Lebensjahre pro Jahr könnten Krebspatienten demnach länger leben, wenn jeder Krebskranke in onkologisch zertifizierten Zentren versorgt würde. Rund 5000 Menschen zusätzlich könnten einen Schlaganfall im ersten Jahr überleben, wenn sie in einem Krankenhaus mit einer Stroke-Unit behandelt würden. Und nur jede vierte Klinik, die Hüftoperationen vornimmt, habe dafür genug Erfahrung.

Die Zahl der vermeidbaren Schlaganfall-Toten gibt das 122 Seiten dicke Gegengutachten dagegen mit nur 638 an: gut siebenmal weniger als die Regierungskommission. In einem gut besuchten Webinar am Donnerstag rechnete Raabs Mitstreiterin Nicole Eisenmenger, Geschäftsführerin des Reimbursement Institutes in Köln, die Schrumpfung der Regierungszahlen Folie für Folie vor. Eingangs bemühte sie dafür ein Beispiel: Die Zahl der Menschen, die einen Film im Kino besuchten, sei nicht gleichzusetzen mit der Zahl derer, die ihn gesehen haben. Denn unter den Besuchern könnten Menschen sein, die den Film mehrfach anschauten oder ihn anderswo noch sähen. Genauso könnten Menschen mehrfach zur Schlaganfallbehandlung kommen oder mit derselben Indikation in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. Sterben könnten sie aber nur einmal. Diese und andere Faktoren hätten Lauterbachs Experten nicht herausgerechnet.

Auch was die Überlebenschance von Krebspatienten angeht, beanstandet Raabs Gegengutachten grobe Mängel im Umgang mit den Zahlen : „Weder werden Patientenverfügungen bzw. Palliativtherapien exkludiert, noch Todesursachen außerhalb der Einflusssphäre der Kliniken (Verkehrsunfälle, Herzinfarkt, Multimorbidität, Alter, andere Erkranken mit Todesfolge...) diskutiert“, heißt es da.

Grundsätzlich bemängelt Raab, dass die Regierungskommission 2021 als Referenzjahr zur Qualitätskontrolle genommen habe – ausgerechnet also das Jahr, in dem die Krankenhäuser noch mit der Alpha- und Delta-Welle der Coronapandemie kämpften. Einerseits seien Pflegekräfte und Intensivstationen besonders belastet gewesen, andererseits nicht-dringliche Operationen verschoben worden. Im Regierungspapier werde „nicht begründet, warum ein Ausnahmejahr als Basis für eine künftige Krankenhausreform dienen kann bzw. soll“, schreibt Raab.

Das Bundesgesundheitsministerium hat die Regierungskommission ob der Kritik bereits um eine vorläufige Stellungnahme gebeten, die aber noch nicht auf der Kenntnis des Gegengutachtens beruht. Laut Kommission sind die rund 5000 vermeidbaren Todesfälle bei Schlaganfall sogar „eine konservative Schätzung“ – die tatsächliche Zahl könne höher liegen. Ein Einfluss von Verlegungen in Höhe von mehreren tausend Todesfällen pro Jahr sei aber auszuschließen. Zwar plane die Kommission „Folgeanalysen“, räumte ein BMG-Sprecher ein, bei denen Verlegungen mehr berücksichtigt würden. Es sei aber davon auszugehen, dass die Ergebnisse die ursprüngliche Analyse „nicht grundlegend verändern“ würden.

Doch das Ziel der vier Kritiker der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling, der Mediqon GmbH sowie des Reimbursement Institutes, bestand nicht nur in einer Würdigung der angeblich besseren Qualität der bestehenden Krankenhäuser. Ihnen geht es um einen „Weckruf“. Auf die Krankenhäuser komme nämlich aufgrund der demografischen Entwicklung ein „ Tsunami“ an Patienten zu. So habe die Regierungskommission für ihre Reform der Krankenhauslandschaft das Jahr 2021 mit 16 Millionen Krankenhausfällen herangezogen. Im Jahr 2045 müssten die Krankenhäuser aufgrund der alternden Babyboomer aber mit 25 Millionen Krankenhausfällen rechnen – und das bei „gleichem Erlösvolumen“.

Am Ende der Vorstellung gab es neben Zuspruch auch regen Widerspruch aus den Reihen der teilnehmenden Ärzte. Er bezweifle einen Patienten-„Tsunami“, sagte Andreas Tiete, Ärztlicher Direktor des Klinikums Ingolstadt, gegenüber Table.Media, und lehne auch den Begriff als solchen ab. Mehr hochaltrige Menschen in Deutschland müssten nicht automatisch zu mehr Bettlägrigkeit im Krankenhaus führen. „Der medizinische Fortschritt wird bei solchen Projektionen schlichtweg ignoriert." Die Medizin werde immer besser darin, ältere Patienten ambulant und medikamentös so zu versorgen, dass sie keine stationäre Versorgung bräuchten. Tatsächlich nehmen seit 2022 im Schnitt gut zehn Prozent weniger Menschen stationäre Versorgung in Anspruch als noch vor der Pandemie.

Irritiert zeigte sich auch Lars Timmermann, Universitätsprofessor in Marburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Selbst wenn die Zahl der vermeidbaren Schlaganfall-Todesfälle möglicherweise niedriger liege als von der Regierungskommission beziffert, so sei für ihn als Arzt „jeder vermeidbare Tote ein Toter zuviel“. Darüberhinaus frage er sich, worauf die Kritik hinauslaufe, denn: „ Wir brauchen angesichts fehlender Mittel und schwindender Personalressourcen eine Konzentration der Krankenhauslandschaft. Sonst fährt das System an die Wand.“ Diese Einschätzung, so zeigte der Chat, teilten viele.

Auch Raab und ihre Experten bestritten nicht die Notwendigkeit einer Krankenhausreform. Wie diese aber alternativ aussehen könnte, ließen sie offen. Ihre Schlussfolgerung, so drängte sich der Eindruck auf, die bestehende kleinteilige Kliniklandschaft sei prinzipiell geeignet – aber unterfinanziert.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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