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Kipping: „Giffeys Angst war dominant.”

Sozialsenatorin Katja Kipping schaut kritisch auf eine eventuelle Schwarz-Rote Koalition. (Bild: Imago / Metodi Popow)

Berlin.Table: Fühlen Sie sich von Franziska Giffey verraten? 

Katja Kipping: Das wäre nicht die Vokabel, die ich wählen würde. Aber ich finde ihre Entscheidung mit der CDU zusammenzugehen natürlich bedauerlich. Der Spin vom angeblichen Wahlklau hatte gelegentlich ein Trump’sches Moment. Da hätte man einfach resolut dagegenhalten und sagen müssen: Wir haben hier in Deutschland Verhältniswahlrecht und da entscheiden Mehrheiten im Parlament, und wir haben im Berliner Parlament sozialökologische Mehrheiten.

Sind Sie auch persönlich enttäuscht von Giffey? 

Ich versuche da professionell drauf zu schauen und Gefühle rauszuhalten. Das muss man trennen. Wenn man Gefühle rauslassen will, soll man zum Kickboxen gehen oder die Nächte durchtanzen oder so. Ich glaube, das Verheerendste an ihrer Entscheidung ist folgendes: Sie hatte Angst vor der Stimmungsmache der Springerpresse. Damit hat sie diesem Teil der Presse eine unglaubliche Macht eingeräumt. Die wissen in Zukunft, sie müssen nur mit einer Kampagne drohen, dann knickt sie ein.

Sie meinen also, dass Giffey jetzt in diese Koalition mit der CDU getrieben wurde und nicht aus freien Stücken geht? 

Ich glaube, die Angst vor dem Spin, dass sie am Stuhl klebt, war ein ganz wesentliches, ausschlaggebendes Moment. Und da braucht es einfach mehr Resilienz. Ich sage mal so: Wenn Willy Brandt so wenig Resilienz gegenüber der Springerpresse gehabt hätte, wäre es nie zu den Ostverträgen gekommen. In diesen Zeiten braucht es mehr Gleichmut gegenüber Stimmungsmachern, die sind heute hü und morgen hott. Da braucht man einen klaren Kompass. 

Welche Folgen hat Giffeys Entscheidung?

Die eigentliche Tragik ihrer Entscheidung geht über Berlin hinaus. Wir haben das bei den Debatten um das Bürgergeld gemerkt: Im Bundesrat hat Friedrich Merz sämtliche Unions-Länder an seiner Kandare. Selbst diejenigen, die sich ein bisschen sozial auf Landesebene geben, folgen da der Weisung von Friedrich Merz. Und der hat jetzt schon eine unsoziale Blockade-Mehrheit. Jedes weitere Bundesland mit CDU-Beteiligung verstärkt diese Blockademacht. Es ist verantwortungslos, dass die Bundesebenen von SPD wie Grüne da nicht viel deutlicher die Losung ausgegeben haben: Lasst uns die Blockade-Mehrheit von Friedrich Merz begrenzen! Denn das nächste soziale Großprojekt der Ampel, die Kindergrundsicherung, aber auch Fragen von Fachkräfte-Einwanderung müssen jetzt immer unter der Maßgabe betrachtet werden, was macht die Merztruppe im Bundesrat da draus?

Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Rot-Grün-Rot vereint um die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am 21. Dezember 2021 (Bild: Imago / Funke Foto Services)

Woran lag es denn, dass sich die SPD letztlich gegen eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot entschieden hat? Lag es nicht auch an der Linken? 

Nein, das haben die anderen Parteien uns auch in persönlichen Gesprächen sehr deutlich gesagt. An uns lag es nicht. Für Sachen, die wir stark gemacht haben, gab es im Gegenteil in den Sondierungsgesprächen immer wieder Zuspruch. Es gab ein Konfliktfeld: Wie geht man um mit dem Volksentscheid der Vergesellschaftung? Und da hat es ja einen Kompromiss gegeben, auf den sich alle verständigt hatten. Dieses Problem war ausgeräumt. Im Gegenteil gab es eher viele Projekte, auf die man gemeinsam Lust hatte, wie zum Beispiel die Fortführung des 9-Euro-Sozialtickets. 

Woran lag es dann? 

Dominant war die Angst von Franziska Giffey vor der medialen Stimmungsmache gegen sie. Das ist die zentrale Ursache. Und dann kam als Anlass obendrauf, dass es zwischen Grünen und SPD vor allen Dingen in der Verkehrspolitik Differenzen gibt.

Aber hat Frau Giffey nicht auch ein bisschen Recht damit, dass ein „Weiter so“ in Berlin abgewählt wurde? 

Nein, das sehe ich deutlich anders. Eine Mehrheit hat sozial-ökologisch gewählt in der Erwartung einer sozial-ökologischen Regierung. Diese Hoffnung der Mehrheit der Wählenden hat die SPD-Führung enttäuscht. Zudem hätte Rot-Grün-Rot einiges besser gemacht. So gab es bei den Sondierungen schon die Verständigung auf eine massive Offensive gegen die Verwahrlosung und für mehr Sauberkeit in der Stadt.

Sehen Sie noch eine Chance, dass die Koalitionsgespräche doch einen anderen Ausgang nehmen? 

Ich plane eher damit, Ende April Umzugskartons im Büro zu packen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Die Berliner Linke hat die Türen nicht final zugeschlagen, auch wenn es bei uns einige Verletzungen gibt. In der SPD regt sich zu Recht viel Unmut, denn das Agieren von Franziska Giffey hat dazu geführt, dass die Christdemokraten jetzt ganz stark den Preis bestimmen können.

Und dann besteht noch immer die Chance auf Rot-Grün-Rot?

Ich befürchte, dass die SPD gerade gegenüber den Grünen viel Porzellan zerschlagen hat. Insofern ist wahrscheinlicher, dass es, wenn Schwarz-Rot nicht klappt, es Schwarz-Grün wird. Aber alles ist offen. 

„Wir sind die Gegenspielerin zu Schwarz-Rot um Kai Wegner.“

Was bedeutet der Verlust der Regierungsbeteiligung für die Linke?

Wir sind jetzt die Gegenspielerin zur Union, wir sind die Gegenspielerin zu Schwarz-Rot um Kai Wegner. Und das Ziel ist natürlich, uns so aufzustellen, dass wir 2026 das Rathaus holen und dass die progressiven Mehrheiten, die es in Berlin gibt, dann zum Tragen kommen – auch in der Regierung. Jetzt gilt es, alles von 2026 aus zu denken und sich dafür aufzustellen. 

Ist die Linke im jetzigen Zustand denn überhaupt überlebensfähig? 

Also ich spreche jetzt hier für die Berliner Linke und da würde ich sagen, wir sind sowohl fachlich gut aufgestellt sowie im beständigen, dauerhaften Dialog mit der Stadtgesellschaft, mit Bewegungen und entsprechender Fachexpertise. Und ich denke, wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir auch richtig gut Krisen meistern und Krisenmanagement können und Lösungen nicht nur fordern können, sondern auch Lösungen umsetzen können. Und so was braucht es. 

Und wie sieht es auf Bundesebene aus? Muss da nicht bald ein radikaler Schritt her? 

In der Tat, da stehen Entscheidungen an, die muss aber die Bundestagsfraktion treffen. Da bin ich jetzt nicht mehr Mitglied. Ich glaube aber, dass die Fraktionsspitze eine entsprechende Verantwortung hat. Ob sie der nachkommt, ist offen. Ganz generell würde ich immer sagen: Es braucht links von Grün und links von SPD eine moderne, demokratische linke Partei auf der Höhe der Zeit. 

Ganz strukturell gesehen: Sind nicht vier Vorsitzende zu viel? Zwei in der Fraktion, zwei in der Partei?

Das Problem ist nicht die Anzahl. Die Grünen setzen ja auch auf Doppelspitzen. Man kann in der Tat taktisch offen darüber reden, will man lieber eine Person, auf die sich vieles fokussiert oder man macht Doppelspitzen. Ich bin in dieser Frage nicht dogmatisch.

Einmal müssen wir doch über Sahra Wagenknecht sprechen.

Ach nee. [lacht]

Kipping über Wagenknecht: „Die größte Aufmerksamkeit bekommt man als Parteipolitikerin, wenn man permanent droht, die eigene Partei zu verlassen.“ (Bild: Imago / Jens Schicke)

Man hat wieder das Gefühl, dass sie die Partei im Schwitzkasten hat und jetzt irgendwie alles davon abhängt: Wie entscheidet sie sich? Macht sie die Parteineugründung? Geht sie oder nicht? Warum hat die Partei da so wenig entgegenzusetzen? 

Das Problem liegt nicht in der Partei, sondern kommt aus der Fraktion. In der Partei, im Parteivorstand spielt sie keine Rolle. Da gibt es klare Positionen und Willensbildungen, die ganz anders aussehen.

Sollte Sahra Wagenknecht die Partei verlassen?

Das ist eine Entscheidung, die sie selbst treffen muss. Es gibt ja im politischen Raum eine ganz zentrale Währung, und die heißt Aufmerksamkeit. Und die größte Aufmerksamkeit bekommt man als Parteipolitikerin, wenn man permanent droht, die eigene Partei zu verlassen. Das ist wie in der Ehe das permanente Spiel mit dem Scheidungsanwalt. Das ist halt der Dauer-Cliffhanger. Ich als Serienguckerin kann nur sagen, wenn immer wieder der gleiche Cliffhanger kommt, wird es irgendwann mal langweilig und dann steht eine Entscheidung an und die muss sie treffen. 

Sahra Wagenknecht hat angekündigt, nicht mehr zu kandidieren.

Hab ich auch gehört.

Kann die Partei noch warten bis zur nächsten Bundestagswahl 2025?

Wir als Berliner Linke haben ja hier einen eigenen Kurs gefahren. Wir haben sehr klar gesagt, wir spielen nicht unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus, wir verbinden die Zusammenarbeit mit Bewegungen und dem Ringen um das Durchsetzen um bestmögliche Lösungen. Der Kurs hat ganz gut funktioniert.

Wie lässt sich dieser Kurs auf die Bundespartei übertragen? 

Das ist keine Raketenwissenschaft. Die Hauptzutat ist Teamgeist. Also eine Bereitschaft aller prägenden Akteure, dass man sich gemeinsam verständigt, austauscht, zu einem gemeinsam getragenen Ansatz kommt und den dann auch durchhält. Das war unser Ansatz in Berlin. Wenn eine Führungsgruppe so agiert, dann haben Egotrips auf Kosten der Partei keine Chance. Respekt vor gemeinsamer Willensbildung ist das Entscheidende. 

Nun haben Sie ja Erfahrung als Parteivorsitzende. Deshalb noch mal die Frage: Wie ließe sich Ihr pragmatischer Berliner Kurs auf die Bundespartei übertragen? 

Wir hatten kurz vor Corona 12 Prozent in den Umfragen; ich war noch Bundesvorsitzende, wir bereiteten schon den Parteitag vor, auf dem wir den Staffelstab übergeben wollten. Dann kamen ein paar Fehler, vor allem aber kam Corona. Eins kam zum anderen, was zum schlechten Ergebnis dann am Ende geführt hat. 

Was haben sie daraus gelernt? 

Ich habe natürlich für mich selber eine Auswertung gemacht, wieso all das, was wir bewirkt hatten – dass die Linke wirklich das SED-Image abgelegt hatte, dass wir als eine Partei auf der Höhe der Zeit galten – verloren gegangen ist. Aber heute und hier ist nicht der Zeitpunkt, um abzurechnen, was da alles eingerissen ist, um uns von 12 Prozent in Umfragen auf unter 5 Prozent innerhalb von kurzer Zeit zu bringen. 

„Der Zustand dieser Welt ruft nach einem Green New Deal im Sinne eines sozial-ökologischen Projektes.“

Sie glaubten an eine linke Mehrheit im Bundestag? 

Ja, und ich hatte das ja auch publizistisch begleitet. Zum einen mein Werben für neue linke Mehrheiten und zum anderen mein Aufschlag zum Green New Deal als sozial-ökologisches Projekt. Der Zustand dieser Welt ruft nach einem Green New Deal im Sinne eines sozial-ökologischen Projektes. Und dafür bräuchte es entsprechende Mehrheiten. Die sind nicht zustande gekommen, weil die SPD im Bund das nicht wirklich wollte und auch wegen Fehlern, die die Linke gemacht hat. 

Welche? 

Um nur einen Punkt zu nennen: Die Entscheidung der Bundestagsfraktion zum Afghanistan-Evakuierungsmandat war falsch. Da habe ich noch in der Fraktion gesagt: Wenn wir uns hier nicht klar positionieren, ist das der Freifahrtschein auf unter 5 Prozent. Ich hätte gerne mit dieser Prognose nicht recht behalten, habe es aber leider. 

Zu Ihnen persönlich: Sie haben angedeutet, dass sie wohl zusammenpacken, aber wo gehts hin? 

Bis Ende April sind wir definitiv noch in Verantwortung und in meinen Bereich fallen Themen wie Kältehilfe, Geflüchteten-Unterbringung und die Not der Menschen. Die Arbeit hört ja nicht auf, nur weil es hier einen Regierungswechsel gibt. Wir werden natürlich nicht mehr ganz grundlegende Weichenstellungen entscheiden, aber zumindest so weit vorbereiten, dass der Nachfolger dann nicht von Null wieder anfangen muss, einfach aus Verantwortung gegenüber den Menschen, die das ansonsten ausbaden müssten. Und insofern hat mein Team da noch einiges zu tun. Und danach ist natürlich eine Situation, in der ich mich erst mal neu orientieren werde. Da bin ich schon ganz gespannt auf diese Phase. 

Sie werden die Partei jetzt nicht sich selbst überlassen? 

Nein, ich habe ja auf dem Landesparteitag der Berliner Linken eine politische Liebeserklärung gemacht. Und die gilt natürlich weiterhin. Ich würde meine Aufgabe vor allem darin sehen, Streiterin für soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit zu sein. Was dann die nächste Erwerbsarbeit ist, die ich anstrebe, das ist komplett offen und das finde ich auch gut so. 

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