Analyse
Erscheinungsdatum: 19. Juni 2023

Juristenausbildung: Reformbündnis schlägt Sofortprogramm vor

Bild: Imago/ Michael Schick
Seit 1869 hat sich die Juristenausbildung in Deutschland kaum verändert. Ein Bündnis fordert nun Reformen und macht Vorschläge für sofort umsetzbare Maßnahmen, etwa die Umstellung auf E-Examen und Ausdünnen des Prüfungsstoffs.

Als die Justizministerinnen und -justizminister der Bundesländer Ende Mai in Berlin zu ihrer Frühjahrs-Konferenz zusammenkamen, erwartete sie ein aufgebrachter Haufen von Studierenden und Referendaren. Die Nachwuchsjuristen skandierten „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Bildung klaut!“ und reckten Plakate hoch mit Aufschriften wie „Depressionen = Gratis“. Der mitdemonstrierende Professor Alexander Thiele von der BSP Business Law School sagte, man wolle „zu mündigen, kritischen Juristinnen und Juristen ausbilden und nicht zu langweiligen Subsumtionsmaschinen“.

Nun gelten Juristen an sich nicht als besonders rebellisch. Doch der Unmut ist groß, und das nicht nur unter Studierenden und Referendaren, sondern auch bei Professoren, Anwälten und Richtern. Denn seit Einführung der zweistufigen Juristenausbildung durch Studium und Referendarzeit mit jeweils anschließendem Staatsexamen im Jahr 1869 in Preußen wurde die Ausbildung kaum reformiert. Vieles ist nicht mehr zeitgemäß. Um den Stillstand zu überwinden, hat ein Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung kürzlich eine Studie vorgestellt, für die fast 12.000 Juristen in Ausbildung, Lehrende, Praktiker und Mitarbeiterinnen der Prüfungsämter befragt wurden. Das Ergebnis: 52 Prozent der Befragten sind insgesamt unzufrieden mit der Ausbildung; und auch die übrigen 48 Prozent sehen in vielen einzelnen Punkten Änderungsbedarf.

Zusammengefasst kritisieren die Befragten einen zu großen Lernstoff, zu viel Stress, zu wenig Professoren an den Unis und überholte Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen, die eine Juristenausbildung unattraktiv machten. Die Organisatoren bilanzieren: „Es ist Zeit für eine neue juristische Ausbildung.“ Justizminister und Hochschulen müssten sich unverzüglich an die Reform machen. Die heutigen Bedingungen schreckten junge Menschen davon ab, Juristen zu werden. Dabei herrsche schon jetzt ein großer Juristenmangel. Jonathan Franz, der Vorsitzende des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften, sagte bei der Studienvorstellung: „Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats in den nächsten Jahrzehnten hängt von einer modernen und attraktiven Ausbildung ab.“

Die rechtspolitische Sprecherin der SPD Sonja Eichwede erklärt auf Anfrage von Table.Media, die Studie habe noch einmal verdeutlicht, dass das juristische Studium reformbedürftig ist. „Jedem Jurastudenten und jeder Jurastudentin würden aus eigener Erfahrung sofort Verbesserungen einfallen, um das Studium auf die Höhe der Zeit zu bringen – auch mir.“ Man beschäftige sich bereits mit den Ergebnissen, beispielsweise mit dem Bachelor vor der ersten juristischen Prüfung und der notwendigen Digitalisierung. Ziel müsse es sein, den stetig gewachsenen Druck auf die Studierenden abzumildern. Das gelte auch für die praktische Studienzeit, bei der es während der Pandemie zu Problemen gekommen ist. „Wir wollen zeitnah weitere Gespräche führen, insbesondere mit den Ländern, Universitäten und Studierenden, um Verbesserungen zu erreichen.“

Insgesamt nimmt die Studie zu 43 Reformthesen Stellung. Um schnell voranzukommen, haben die Initiatoren daraus ein Sofortprogramm mit Änderungen zusammengestellt, für die sich in allen befragten Gruppen eine absolute Mehrheit ausgesprochen hat.

Weitgehend einig sind sich die 12.000 Befragten, dass die Grundstruktur aus Studium, Referendarzeit und Staatsexamen beibehalten werden soll. Eine Übernahme des sogenannten Bologna-Prozesses mit Bachelor und Master, wie er für sehr viele andere akademische Ausbildungen gilt, wird für die Juristerei abgelehnt. Allerdings fordern viele Befragte, den Studierenden vor dem ersten Staatsexamen einen ins Studium integrierten Bachelor zu ermöglichen. Genau hierüber wollen auch die Dekaninnen und Dekane des Deutschen Juristen-Fakultätentags (DJFT) am Freitag auf der Jahrestagung in Saarbrücken diskutieren.

Genannte Vorteile des Bachelors : Es gebe weniger Studienabbrecher; und Kandidaten, die nach jahrelangem Jurastudium das Examen nicht schafften, hätten so immerhin einen akademischen Abschluss. „Die juristischen Staatsexamina gehören seit jeher zu den anspruchsvollsten akademischen Prüfungen in unserem Land“, sagt der rechtspolitische Sprecher der CDU, Günter Krings. Sie begründen aber zugleich auch den qualitativ guten Ruf der deutschen Juristenausbildung, daher müssen das erste und zweite Staatsexamen in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Ausbildung erhalten werden.

Ergänzend sei aber die Einführung eines Bachelors sinnvoll, damit sich auch der Wert des universitären juristischen Studiums, das ja auch nicht-examensrelevante Inhalte umfasst, in einem zusätzlichen Abschluss widerspiegelt, sagt Krings.

Das Reformbündnis fordert alle in Ausbildung und Praxis vertretenen Gruppen auf, die Juristenausbildung über das Sofortprogramm hinaus umfassend zu reformieren. „Die juristische Ausbildung muss fairer werden und darf Studierende und Referendar:innen nicht mehr krank machen.“ Das liege im Interesse der gesamten Gesellschaft. „Der Juristenmangel ist alarmierend“, warnt Martin Suchrow-Köster vom Reformbündnis. „Bis 2030 werden 70.000 Juristenstellen im öffentlichen Dienst nicht mehr besetzt werden können.“ Wobei zur Alterung der Gesellschaft, die auch andere Berufe treffe, die für viele junge Menschen besonders abschreckende Juristenausbildung hinzukomme. „Daher müssen wir die Situation an den Unis und bei den Referendariaten verbessern.“

Die Chancen, zumindest einen Teil ihrer Forderungen durchzusetzen, sehen die Reformer als gut an. „Wir erleben eine totale Offenheit bei fast allen Justizministerien der Länder “, sagt Suchrow-Köster. Das war auch bei der Demo Ende Mai in Berlin zu spüren. Dort gingen mehrere Ressortchefs aus den Ländern demonstrativ auf die protestierenden Nachwuchsjuristen zu. So forderte die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne), die Studien- und Prüfungsbedingungen müssten so ausgestaltet sein, dass sich junge Leute gerne für die Juristerei entscheiden.

Der hessische Justizminister Roman Poseck sieht hingegen zwar keinen grundsätzlichen Reformbedarf, da sich die Juristenausbildung bewährt habe, aber in Detailfragen können man viel tun, um das Studium noch attraktiver zu machen. Auch arbeite sein Haus „mit Hochdruck daran, die Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber weiter zu erhöhen.“ Die deutlichen Besoldungsverbesserungen in der R-Besoldung seit 1. April seien eine von vielen Maßnahmen. Eingeführt wurde etwa eine sogenannte „Assessorbrücke“ : Volljuristinnen und Volljuristen können damit bereits vor der Einstellung in den Richter- und Staatsanwaltsdienst mit einem befristeten Arbeitsvertrag beim Land Hessen tätig sein.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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