Analyse
Erscheinungsdatum: 10. Oktober 2023

Jetzt hat die AfD auch die junge Generation erreicht

Jugendforscher Klaus Hurrelmann zu Gast im Steinbart Gymnasium in Duisburg *** NUR FUeR REDAKTIONELLE ZWECKE *** EDITORIAL USE ONLY ***<p>Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann stellt seine Thesen vor am Donnerstag, den 06. Februar 2020 im Steinbardt Gymnasium in Duisburg. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann diskutiert mit Paedagogik-Schuelern ueber seine Thesen. Deutschland NRW Duisburg Copyright: TanjaxPickartz *** Youth researchers Klaus Hurrelmann to Guest at stone beard Gymnasium in Duisburg *** ONLY FOR EDITORIAL PURPOSE *** EDITORIAL USE ONLY *** P the Youth researchers Klaus Hurrelmann provides its Theses before on Thursday, the 06 February 2020 at Steinbardt Gymnasium in Duisburg the Youth researchers Klaus Hurrelmann discussed Copyright: TanjaxPickartz doc7968hg37u9cg0trx1b0u EDITORIAL USE ONLY
Nachdem die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen auch bei den Unter-25- als auch den Unter-35-Jährigen stark zugelegt hat, müssen sich die demokratischen Parteien stärker um diese Gruppe bemühen, fordert der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Einerseits brauche es dazu zeitgemäße Beteiligungsformen über digitale Netzwerke und Apps, wo die AfD der demokratischen Konkurrenz bisher überlegen sei. Zum anderen müssten die Belange der jüngeren Generation stärker berücksichtigt werden.

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen zeigen: Jetzt hat die AfD auch die jungen Wählerinnen und Wähler erreicht. Die Partei konnte ihren Stimmenanteil sowohl bei den Unter-25- als auch bei den Unter-35-Jährigen im Vergleich zu den letzten Wahlen fast verdoppeln und schob sich auch bei den in dieser Altersgruppe an die zweite oder dritte Stelle. Das war bisher nicht so, die AfD war immer besonders stark in den mittleren Altersgruppen der 35- bis 55-Jährigen.

Warum jetzt auch die Jungen? Sie haben bei der letzten Bundestagswahl noch bevorzugt Grüne und FDP gewählt. Davon war in Bayern und Hessen nicht mehr viel zu spüren. Wahrscheinlich deshalb, weil ebenso wie in den mittleren Altersgruppen die Enttäuschung darüber stärker geworden ist, dass die Regierungsparteien im Bund ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht aufgegriffen haben, und große Angst vor dem sozialen Abstieg besteht.

Aus Jugendstudien lässt sich klar ablesen: Das politische Interesse junger Menschen und ihr Engagement, auch bei Wahlen, hängen stark von ihrer Lebenssituation ab, von ihren Chancen in Bildung und Beruf über die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen bis hin zur Verfügbarkeit von Freizeit- und Medienangeboten. Wer sozial und bildungsmäßig schlecht positioniert ist, hadert mit dem real existierenden demokratischen System und fühlt sich von den Entscheidungsträgern nicht ernst genommen. Diese Gruppe ist im Zuge der Corona-Pandemie, den Auswirkungen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, den damit einhergehenden Preissteigerungen und nicht zuletzt wegen der sozialen Spannungen durch die unkontrollierte, irreguläre Migration größer geworden. Sie umfasst heute schon rund 30 Prozent.

Für diese sich sozial abgehängt fühlenden jungen Menschen ist die AfD schon seit längerem eine interessante Partei. Unter ihnen sind nach der letzten Shell Jugendstudie viele autoritär, nationalistisch und rechtsextrem orientiert und neigen deshalb zu dieser Partei. Andere aus dieser Gruppe sind irritiert, weil sie in Bildung und Beruf nicht so vorankommen, wie sich gewünscht haben. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheiten fühlen sie sich stark vernachlässigt. Nach der Trendstudie Jugend in Deutschland beschleicht sie die Sorge, die Wohlstandjahre seien vorbei. Sie fühlen sich wirtschaftlich und sozial abgehängt, immer mehr von ihnen zweifeln am Sinn und Zweck demokratischer Wahlen. Oder sie liebäugeln mit Parteien, die ihnen schnelle Abhilfe versprechen, und auch hierin ist die AfD als Oppositionspartei, die sich als radikale Systemkritikerin geriert, unschlagbar. Deswegen dürfte sie hier weitere Stimmen eingefahren haben.

Wer gute Perspektiven für sich sieht, wer mit den alterstypischen Entwicklungsherausforderungen zurechtkommt, wer in Bildung und Sozialstatus gut aufgestellt ist, der findet das politische System der Demokratie grundsätzlich gut und unterstützt es. Insgesamt ist das die Mehrheit der jungen Leute, etwa 70 Prozent. Sie sind auch bereit, sich zu engagieren, und grundsätzlich ist ihnen die AfD zu wenig weltoffen, zu autoritär und zu rechtsextrem.

Aber auch in dieser Gruppe hat sich tiefe Enttäuschung breit gemacht. Die Corona-Pandemie hat einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung. Sie war auch für die Engagierten in der jungen Generation eine nachhaltige Erfahrung ihrer Ohnmacht. Sie wurden an keiner Entscheidung beteiligt, die wie etwa die Schließung von Bildungsinstitutionen ihr Leben nachhaltig blockierte. Für die vielen politisch interessierten und unter ihnen besonders für die die Mitglieder der Bewegung Fridays for Future bedeutete sie das weitgehende Aus ihrer Aktivitäten. Seitdem haben sie den Eindruck, die existenzwichtigen Themen Umwelt und Klima ebenso wie Schul- und Berufsbildung würden in der Politik nur noch eine nachrangige Bedeutung haben. Aus Frust und Wut haben auch von ihnen viele ihr Kreuz bei der AfD gemacht.

Was oft übersehen wird: Die jungen Menschen wurden, wie die Studie Jugend in Deutschland zeigt, viel schwerer durch die Corona-Ausnahmejahre belastet als die mittlere und die ältere Bevölkerungsgruppe. Jetzt, wo die Ausnahmezeit abgeklungen ist, spüren sie, in welch einer bedrohlichen mentalen Lage sie sich durch das Ohnmachtsgefühl befanden. Es hat so etwas wie eine „posttraumatische“ Reaktion eingesetzt, die wir aus der Psychiatrie kennen: Die jungen Menschen merken erst mit Zeitverzug, in welch einer belastenden Situationen sie sich befanden, und mit Verzögerung erst kommen die Krankheitssymptome an die Oberfläche. Gleichzeitig spüren sie, dass weitere existenzbedrohende Krisen auf sie zukommen.

So haben sich in den letzten Jahren ungeheuer große Erwartungen die die Bundesregierung aufgebaut, die maßgeblich mit den Stimmen der jungen Generation an die Macht gekommen ist. Diese Erwartungen konnten die drei Parteien SPD, Grüne und FDP nicht erfüllen. Vielleicht auch deshalb, weil Kirchen, Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Verbände und Vereine und andere zivile Akteure erodieren und nicht mehr in der Lage sind, Menschen aufzunehmen und in psychischer Not aufzufangen. So entstand der Eindruck, in einer Zeit der Dauerkrisen und Zukunftsunsicherheit sei die Bundesregierung nicht in der Lage, die Voraussetzungen für eine Bewältigung der Anforderungen zu leisten. Die Enttäuschung ist entsprechend groß, und unter den Oppositionsparteien konnte die AfD davon besonders profitieren.

Das Dilemma für die Regierungsparteien im Bund lässt sich an den Umweltbewegungen anschaulich ablesen. Beispiel Fridays for Future: Diese Bewegung bevorzugt politische Partizipationsformen, die sich weitgehend außerhalb der etablierten Parteien und den von ihnen dominierten Entscheidungsprozessen in den Parlamenten positionieren. Sie strebt danach, direkten Einfluss auf die Regierung auszuüben, indem sie die öffentliche Meinung aktiv beeinflusst. Die politisch ungeheuer engagierten jungen Menschen dieser Bewegung gehören zu den Befürwortern der liberalen Demokratie und schätzen die Konzepte der Mitbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und individuellen Freiheiten. Aber: Sie werden, wenn sie politische Ziele im Auge haben, zunehmend ungeduldig, weil ihre moralisch sehr aufgeladenen Forderungen nur zögernd und mit Zeitverzug in die politischen Entscheidungen einfließen. Die Umsetzung in Partei- und Parlamentsverfahren finden sie zermürbend und deprimierend. Das bekommen die Grünen gerade deutlich zu spüren.

Was können die drei Regierungsparteien im Bund tun, um die junge Generation wieder für sich zu gewinnen? Eine Möglichkeit besteht darin, sich auf die Anfangszeit der Zusammenarbeit zu besinnen und das Austragen öffentlichen Streits zu vermeiden. Alle drei Parteien müssen zugleich aber auch deutlich machen, warum es ihnen nicht gelingen kann, alle Ziele ihres Wahlprogramms eins zu eins umzusetzen. Transparenz der Entscheidungen und realistisches Management von Erwartungen sind jetzt entscheidend.

Um Vertrauen zurückzugewinnen, müssen sie sich aber viel entschiedener als bisher für die Stimmen der jungen Generation öffnen. Die demokratischen Strukturen in Deutschland, so wie sie im Grundgesetz verankert sind, leben von Parteien als ihren wichtigsten Akteuren. Jugendliche fremdeln mit ihnen. Kein Wunder, das Durchschnittsalter der Mitglieder der beiden größten Parteien SPD und CDU/CSU liegt heute bei 60 Jahren, die Grünen kommen auf 50 Jahre. Wer als junger Mann oder als junge Frau in eine dieser Parteien geht, der tritt je nach Region manchmal in einen reinen Altenclub ein und sieht sich als junger Mensch in einer absoluten Minderheit. Im Vorfeld der letzten Bundestagswahl konnten FDP und Grüne eine Eintrittswelle junger Mitglieder verzeichnen und die Quote der Unter-30-Jährigen vorübergehend auf über 20 Prozent steigern. Inzwischen ist dieser Idealismus verflogen, viele sind unter dem Eindruck tagespolitischer Kompromissentscheidungen ihrer Parteiführungen wieder ausgetreten.

Die drei Regierungsparteien erreichen die jungen Leute auch deshalb nicht, weil sie ihre Kommunikationswege viel zu wenig aufnehmen. Jugendliche sind in den elektronischen Netzwerken und Portalen unterwegs, die Parteien aber kaum oder nicht. Hier bildet die AfD eine Ausnahme – sie hat das modernste und flexibelste digitale Netzwerk und erreicht damit nicht nur Mitglieder, sondern auch Sympathisanten und Interessenten effektiver als die anderen Parteien.

Im Grundgesetz wird den Parteien die Aufgabe zugesprochen, sich an der politischen Willensbildung des Volkes zu beteiligen. Sie sollten dringend über eine nachhaltige Beteiligung der jungen Generation innerhalb ihrer Strukturen nachdenken, notfalls auch eine Jugendquote einführen und neue Formen der politischen Beteiligung erproben. Junge Leute scheuen sich, einen Mitgliedsantrag zu unterschreiben, lassen sie sich aber durchaus gewinnen, an Veranstaltungen einer Partei teilzunehmen und als Sympathisanten bei Events mitzuwirken. Erst wenn die Parteien es wieder schaffen, wie vor dreißig Jahren wenigstens drei Prozent eines jeden Jahrganges zu ihren Mitgliedern oder festen Sympathisanten zu zählen, werden sie wieder zu aktiv gestaltenden Institutionen im politischen Leben werden. Dazu brauchen Sie die Vorschläge und Aktionen der jungen Generation und müssen die Unruhe aushalten, die von ihnen ausgeht.

Junge Leute sind Pragmatiker. Sie werden nur bei einer Partei mitmachen, wenn es sich für sie lohnt. Außer einer guten Information über eine schnell verfügbare App gehört dazu, dass sie sich als politische Aufklärer und Bildner verstehen. Die Parteien sollten strukturierte Weiterbildung anbieten und jungen Leuten zeigen, wie ein regelgeleitetes Streitgespräch abläuft, wie man Diskussionen leitet, Veranstaltungen moderiert und Events managt. Und natürlich auch, wie gravierende Zukunftsprobleme entscheidungsfähig gemacht und dann gelöst werden. Nur so kann es ihnen gelingen, glaubwürdig politisch interessierte und leidenschaftliche junge Leute anzuwerben und sie zu ermuntern, aus ihrem Schmollwinkel herauszutreten. Oder aus Wut und Enttäuschung eine Partei mit rechtsextremem Kern zu wählen.

Klaus Hurrelmann ist Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School, wo er vor allem zur Gesundheits- und Bildungspolitik forscht. Zuvor war er lange an der Universtität Bielfeld tätig. Hurrelmann ist seit 2006 mitverantwortlich für die Shell-Jugendstudien und seit 2019 für die Trendstudien "Jugend in Deutschland".

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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