Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Mai 2023

Interview mit Günter Bannas: Jeder ist sich selbst der Nächste

Er hat Kohl erlebt und Schröder politisch überlebt, er begleitete Merkel und schaut jetzt auf Scholz: Günter Bannas, lange Jahre FAZ-Büroleiter, gehört zu den Wenigen, die noch aus einer großen Erfahrung schöpfen. Im Interview spricht er über die politische Lage der Nation, neue Frontlinien zwischen den Parteien und einen Kanzler, den er sich anders wünschen würde.

Berlin.Table: Herr Bannas, beim Blick auf die Hauptstadt: Was treibt Sie am meisten um?

Vor allem nehme ich wahr, wie schnell und bis in welche Tiefen hinein sich bisherige scheinbar natürliche Bündnispartner entfremden. CDU/CSU und FDP einerseits und auf der anderen Seite SPD und Grüne. Die CDU umschmeichelt die Grünen und niemand im Bundestag attackiert die Unionsfraktion so deftig wie die Ex-Freunde von der FDP. Die SPD umwirbt die FDP und tut immer noch so, als seien die Grünen missratene Kinder der Sozialdemokratie. Quasi auf offener Bühne kämpfen Gerhard Schröders und Joschka Fischers „Enkel“ um die Wortführerschaft – und um Macht. Beim Klimaschutz und auch in der Außenpolitik.

An wem liegt das?

In den Bundesländern verschieben sich Gewichte und Zuneigungen: Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Schleswig-Holstein und Grün-Schwarz in Baden-Württemberg. Die Bundes-SPD will sich das nicht mehr gefallen lassen – siehe die von ihr tolerierte CDU/SPD-Senatsbildung in Berlin, wo die SPD die Grünen vor die Tür setzte. Das alles spiegelt sich in der Stimmung der Ampelkoalition wider. Eine Prognose sei gewagt: Das „Nie wieder Groko“ der SPD hat keine Zukunft. Stattdessen gilt wieder das Wort des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering: „Opposition ist Mist.“

Olaf Scholz wirkt in seiner relativen Geräuschlosigkeit und Zurückhaltung wie Angela Merkel? Ist das gut oder schlecht?

Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkels hätte es Olaf Scholz besser angestanden, einen anderen Stil zu pflegen. Stellen Sie sich bloß einmal vor, Schröder wäre wie ein zweiter Helmut Kohl aufgetreten. Scholz verkörpert nicht die neue Epoche, die nicht nur wegen der Ukraine-Zeitenwende begonnen hat. Andererseits: Scholz ist, wie er ist – und er hat eine Bundestagswahl gewonnen. Das ist nicht als gering einzuschätzen. Was ist nun gut und was ist schlecht?

Wo liegt der größte Unterschied zwischen den beiden?

Merkel trat nicht überheblich auf, sondern als Kümmerin, als „Mutti“, wie das zu Beginn ihrer Kanzlerschaft hieß. Scholz neigt intern und öffentlich zu Besserwisserei. Doch wer weiß schon, was kommt? Zuletzt wurde Merkel nur noch „Chefin“ genannt. Der Begriff „Scholzomat“, der ja einst den Kommunikationsstil von Scholz kennzeichnete, hat ja auch schon ausgedient. Die Leute haben sich dran gewöhnt.

Der Umgang mit dem Krieg in der Ukraine war bislang sicher seine größte Aufgabe. Ist er ein großer Stratege? Oder eher ein zögerlicher Regierungschef?

Ein großer Stratege ist Scholz nicht. Die Grünen hatten viel früher als er ein realistisches Bild von Wladimir Putin. Im Bundestagswahlkampf warnte Annalena Baerbock vor der Nordstream-2-Pipeline, als Scholz sie noch für ein rein unternehmerisches Projekt hielt. Und Robert Habeck befürwortete die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine, noch ehe diese von Putin überfallen wurde. Beide Male hat Scholz gezögert.

Fehlende Windräder; eine miserable Ausstattung der Bundeswehr; zu Anfangs eine große Abhängigkeit vom russischen Gas – wie hat Olaf Scholz es geschafft, dass alle Fehler oder Fehleinschätzungen der Vergangenheit an anderen haften, aber nicht an ihm?

Erstens war früher Merkel die Regierungschefin und zweitens finde ich nicht, dass an Scholz nichts hängenblieb. Aber er hat begriffen, dass seine frühere Politik sich heute als falsch erwiesen hat. Er kann handeln und er tut es ja auch. Von „Zeitenwende“ zu sprechen, war in der politischen Kommunikation ein kluger Einfall. Falls Scholz in die Zeitgeschichte eingeht, dann mit diesem Wort. Die Möglichkeit der Wiedergutmachung hat Angela Merkel nicht. Sie kann nur auf die Vergesslichkeit der Menschen und auch der Medien setzen – und hoffen, dass die Leute finden, eigentlich war es früher eine schöne Zeit.

Die Koalition streitet über Heizungen. Ist das Pipifax oder trifft es den Kern des Problems, weil der Klimaschutz endlich ganz real wird?

Natürlich ist der Streit um die Heizungen kein Pipifax. Die Ampelparteien konkurrieren um die Gunst der Wähler. Jeder ist sich selbst der Nächste. Ob das der Koalition hilft und gar Vertrauen aufbaut, bezweifele ich. Und die Menschen merken jetzt, dass Klimaschutz etwas kostet: Geld, neue Verhaltensweisen und auch Verzicht. Dass Unsicherheiten und Zukunftsängste politisch-medial ausgeschlachtet und künstlich instrumentalisiert werden, darf aber nicht vergessen werden.

Das nächste Zauberwort lautet Technologie-Freiheit. Warum ist dieses Wort so wichtig geworden? (Hinweis: Müsste es nicht Technologieoffenheit heißen?)

Mit der „Technologieoffenheit“ der FDP ist es wie mit der „Zeitenwende“ des Kanzlers. Ein genialer Einfall an politischer Kommunikation. Christian Lindner sollte – wie auch Scholz – seinem Berater Danke sagen. Mit „Technologieoffenheit“ kann man alles Mögliche begründen oder auch verhindern - und sich zugleich als modern und zukunftsgewandt präsentieren. Ob es nutzt? Und wie das so ist bei Zauberei: Wenn man sie durchschaut, sind die Tricks nur noch die Hälfte wert.

FDP und Grüne streiten sich an vielen Stellen. Ist das normal oder doch ein Beleg für die Schwäche der Koalition?

Es ist beides. In einer Dreierkoalition ist es wahrscheinlich normal. FDP und Grüne konkurrierten schon immer in ähnlichen Wählersegmenten. Schön für die Koalition ist es nicht. Vertrauen und Glaubwürdigkeit gehen verloren. Streit in einer Koalition wird immer als Schwäche empfunden. Ist es ja auch. Und der Kanzler muss aufpassen, dass er dabei nicht unter die Räder kommt.

Christian Lindner und Robert Habeck sind grundverschiedene Politikertypen. Wer überzeugt Sie mehr?

Der eine isst kein Fleisch, der andere fährt gerne Porsche. Aber grundverschieden? Beide haben ihre Partei fest im Griff. Sie erklären ihre Politik unterschiedlich. Habeck versucht es einfühlsam. Das wirkt sympathisch, birgt aber die Gefahr von Missverständnissen. Lindner neigt zu Von-oben-herab-Erläuterungen. Das vermeidet Fehlerquellen, kann aber arrogant erscheinen. Für beide gilt der Spruch Horst Seehofers: „Wenn´s heute schön ist, muss es morgen nicht genauso sein. Das ist das Wesen von Politik.“

Die CDU kämpft um Anschluss und Rückkehr. Kann Friedrich Merz überzeugen?

Die Umfragen zeigen ja, dass die Unionsparteien wieder oben stehen. Und in Berlin stellt die CDU sogar wieder den Regierenden Bürgermeister. Es war wichtig, dass die Union nicht zur Fundamentalopposition wurde. Ein Verdienst von Friedrich Merz ist das auch. Doch hängt ihm sein Ruf an, der Anti-Merkel zu sein. Nur wenn es ihm gelingt, nicht zu seiner eigenen Vergangenheitsbewältigung die Partei führen zu wollen, kann er überzeugen. Noch ist es nicht so weit. Am Alter aber kommt auch er nicht vorbei.

Könnte die CDU schon wieder regieren?

Natürlich könnte sie. Sie tut es ja auch – in vielen Bundesländern. Und der Streit in der Ampelkoalition erweckt nicht gerade den Eindruck, als habe mit ihr eine neue Epoche begonnen. Bleibt die Frage, wer in der Union wem den Vortritt lässt. Friedrich Merz, Markus Söder, Hendrik Wüst oder wer immer. Die Nominierung des Kanzlerkandidaten entscheidet über die Regierungsfähigkeit der Union. Die Personalquerelen und die Niederlage 2021 sind Menetekel für sie.

Eine Ampel gab es noch nie. Ist sie aus sich selbst heraus über diese Legislaturperiode hinaus lebensfähig?

Aus sich selbst heraus? Im jetzigen Zustand ist sie es sowieso nicht. Auch haben sich Prognosen als falsch erwiesen, nur Bündnisse von drei Parteien seien imstande, eine Regierung zu bilden. Siehe Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein, jetzt Berlin – und auch im Herbst in Hessen und Bayern dürfte es so kommen. Also auch 2025 wieder eine Zweierkoalition im Bund? Bleibt bloß die Frage: „Wer-mit-wem?“

Kurz vor Halbzeit der Legislatur: Wer ist die größte positive Überraschung? Und wer enttäuscht Sie am meisten?

Gemessen an den Erwartungen agiert Annalena Baerbock fehlerfrei. Merz geht seinen Weg besser als gedacht. Von Rolf Mützenich, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden, habe ich mehr Präsenz erwartet. Doch der hat den mit Abstand schwersten Job im Berliner Regierungsgeschäft. Robert Habeck sind - nach gutem Start - doch handwerkliche Fehler unterlaufen.

Und dann gibt es auch noch einen Bundespräsidenten. Welche Rolle spielt er eigentlich noch?

Gegenfrage: Wann hat je ein Bundespräsident über seine Jahre hinweg eine wesentliche Rolle im Alltagsgeschäft der Politik gespielt? Frank-Walter Steinmeier mag die aufgeregten Erwartungen nicht erfüllen. Auch trägt er an den Lasten seiner Vergangenheit als Außenminister. Doch dass er 2017 nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche dafür sorgte, dass es nicht zu einer abermaligen Bundestagswahl kam, war für das Ansehen der Demokratie in Deutschland ebenso wichtig wie so manche vermeintlich „große“ Rede. Die Aufgabe des Staatsoberhauptes ist in guten Händen – und wer weiß schon, was noch auf ihn zukommt. Es ist beruhigend, eine Person wie ihn als Staatsoberhaupt zu haben.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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