Analyse
Erscheinungsdatum: 03. Juli 2024

Horst Seehofer will Friedrich Merz als Kanzlerkandidat und lobt Olaf Scholz

Nach seinem Abschied aus der Politik hat Horst Seehofer lange geschwiegen. Doch zu seinem 75. Geburtstag platziert er ein paar Botschaften, die nicht allen in der Union gefallen werden. Auch seinem Nachfolger nicht.

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Beim 70. Geburtstag von Franz Josef Strauß im September 1985 dauerten die Feierlichkeiten zwei Wochen. Edmund Stoiber feierte seinen 70. Geburtstag 2011 im vollbesetzten Münchner Prinzregententheater. Und zum 85. Geburtstag von Theo Waigel vor wenigen Wochen gab es neben einer Feier mit alten Weggefährten auch einen Festakt der Hanns-Seidel-Stiftung.

Und bei Horst Seehofer, der an diesem Donnerstag 75 Jahre alt wird? Fehlanzeige. Zu seinem Geburtstag werde „gar nichts“ stattfinden, „weder offiziell noch halboffiziell“, teilte Seehofer auf Anfrage mit. Das passt irgendwie zu Horst Seehofer, der in der CSU immer ein Solitär war, stets misstrauisch beäugt vom Parteiestablishment, aber viele Jahre lang Liebling der Parteibasis. Der politische Betrieb mit seinen Flügeln, Gremien, Klüngeln und Seilschaften war Seehofer immer egal. „Ich hatte nie ein Netzwerk, null“, hat Seehofer einmal über sich gesagt, „ich habe mich auf meine eigene Feuerkraft verlassen“. Kaum ein anderer Politiker wurde so oft totgesagt wie Seehofer und hat sich doch immer wieder aufgerappelt. Drei verschiedene Bundesministerien hat Seehofer geleitet, war fast zehn Jahre bayerischer Ministerpräsident und mehr als zehn Jahre CSU-Chef.

So einer hätte ein eigentlich ein rauschendes Geburtstagsfest verdient. Seehofer hat sich stattdessen quasi selbst ein Geschenk gemacht und in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen sein selbstauferlegtes Schweigegelübde gebrochen. Dabei hat er ein paar deutliche Botschaften platziert. Seehofer gehörte schon kurz nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 zu denjenigen, die sich eine gründlichere Analyse der Gründe für die Niederlage gewünscht hatte. Statt alles auf den falschen Kanzlerkandidaten zu schieben, hätte sich die Union in seinen Augen mit den Defiziten bei Programm und Personal beschäftigen müssen. Vor allem im Sozialbereich, so sieht es Seehofer, habe die Union der Kampagne von SPD-Kandidat Olaf Scholz nichts entgegenzusetzen gehabt. Ein Defizit, das noch immer nicht behoben ist. Unions-Fraktionsvize Sepp Müller hat nach den Verlusten der CDU im Osten bei der Europawahl eben erst gefordert, die Union müsse sich stärker um soziale Themen kümmern.

Seehofer spricht offen aus, was andere in der Union nur in vertraulichen Gesprächen einräumen: dass die 30 Prozent für die Union in den Umfragen angesichts des Zustandes der Ampel unbefriedigend sind. Das Potenzial der Union sieht er zwischen 30 und 40 Prozent, für die CSU in Bayern weit jenseits der 40-Prozent-Marke. Das hat zuletzt er selbst bei der Landtagswahl 2013 gehoben, als er für die CSU mit 47,7 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate zurückholte. Er sage das „ohne Vorwurf“, beteuerte Seehofer im Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Aber sein Nachfolger Markus Söder darf sich durchaus angesprochen fühlen.

In der K-Frage geht Seehofer weit über die offizielle CSU-Lesart hinaus, wonach CDU-Chef Friedrich Merz der Favorit sei. Söder betont dagegen immer gerne, es handele sich dabei um eine Momentaufnahme. Seehofer spricht sich klar für Merz aus. Selbstverständlich ist das angesichts der Vorgeschichte beider Herren nicht. Als Seehofer im Jahr 2004 als Fraktionsvize erbittert gegen die von der Union geplante Kopfpauschale in der Krankenversicherung kämpfte, war auch Merz Fraktionsvize. Als Mastermind des neoliberalen CDU-Kurses jener Zeit war er damals einer der parteiinternen Hauptgegner Seehofers.

Jetzt bescheinigt Seehofer Merz, seine Arbeit als Partei- und Fraktionschef „sehr gut“ zu machen und warnt ausdrücklich davor, den Streit um die Kanzlerkandidatur aus dem Jahr 2021 zu wiederholen. Aus der Luft gegriffen ist diese Warnung keineswegs. In der CSU wird erzählt, dass Söder für den unwahrscheinlichen Fall, dass nicht Merz Kanzlerkandidat wird, keineswegs bereit sei, das Feld dann ohne Weiteres Hendrik Wüst zu überlassen. Man kann Seehofers Warnung so deuten, dass auch in der CSU ein erneuter Konflikt in der K-Frage nicht schweigend hingenommen würde.

Zu denen, die dann auch nicht schweigen würden, gehört auch der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber. Seehofer und Huber waren Zeit ihres politischen Lebens erbitterte Gegner. Wann immer Seehofer auf einem Parteitag wegen irgendeiner Extratour ein Denkzettel verpasst werden sollte, steckte in der Regel Huber dahinter. Ihre Analyse der politischen Situation der CSU ist jetzt aber nahezu identisch. Die Wahlergebnisse: unbefriedigend; die Festlegung auf die Freien Wähler in Bayern und die kategorische Absage an Schwarz-Grün: ein strategischer Fehler; das stereotype Ampel-Bashing: als politische Strategie zu wenig.

Auch was Söders künftige Rolle in seiner Verantwortung als CSU-Chef anlangt, stimmen beide überein. Huber hat vor wenigen Wochen in einem Spiegel-Interview für einen Wechsel Söders in die Bundespolitik plädiert. Seehofer sieht es genauso. In einer künftigen Bundesregierung müssten alle Parteivorsitzenden am Kabinettstisch sitzen, hat er vor kurzem gefordert. Im Gespräch mit Table.Briefings bekräftigt er das jetzt noch einmal. „Wir brauchen in Deutschland einen Reset und der gelingt nur mit der stärksten Mannschaft“. In Seehofers Augen muss Söder auch die Wahlliste zur Bundestagswahl anführen. „Der Weg kann doch nur heißen: Berlin“, sagt er. Dies gelte angesichts eines möglichen Wahlsieges von Donald Trump in den USA umso mehr.

Zum Verständnis muss man das Verhältnis von Seehofer und Söder kenne: Seehofer wollte Söder um jeden Preis als seinen Nachfolger verhindern und hat diesen Machtkampf verloren, am Ende musste er beide Ämter aufgeben, Ministerpräsident und Parteichef. Die Begleitumstände haben ihre Spuren bei ihm hinterlassen. Doch offene Kritik an Söder hat sich Seehofer seither immer verkniffen.

Aber weil er das Spiel mit Andeutungen auch als politischer Pensionär noch immer virtuos beherrscht, wird zwischen den Zeilen ganz klar, was er denkt. Politiker müssten ihre Worte genau wählen und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein, „nichts ist schädlicher als der ganze Firlefanz“, sagte er im Interview. Firlefanz – wer hätte da nicht Markus Söder vor Augen, der Fotos postet, was er alles so isst, in schrillen Weihnachtspullovern Adventskerzen anzündet oder, in der Late-Night-Show von Ina Müller ein altes Seemannslied singt.

In einer anderen Frage dagegen trifft Seehofer völlig unverblümt einen Punkt, der nachdenklichere Unionsstrategen schon länger umtreibt. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Kurs bei der Unterstützung der Ukraine angesichts der Bedenken in der Bevölkerung Recht haben könnte. Als erster prominenter Unionspolitiker nennt Seehofer das Verhalten des Kanzlers in der Frage der Taurus-Lieferungen „genau richtig“. Im Bundestag war Scholz deswegen von der Union massiv attackiert worden. Doch seit einigen Tagen schlägt Merz bei diesem Thema deutlich vorsichtigere Töne an.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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