Geschlossenheit der Unionsfraktion: Kanzlerwahlverein, das war einmal

Ohne Wolfgang Schäuble fehlt der Union die orientierende Stimme – und das wird im Rentenstreit deutlicher denn je. Für Spahn und Merz könnte das gefährlich werden.

01. Dezember 2025
Jens Spahn im Jahr 2021 vor Wolfgang Schäuble, als dieser noch über den Kurs der Union wachte (picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)

Alles starrt auf die Unionsfraktion. Wenn die Sache mit der Rente schiefgehen sollte, dann dürfte es einen geben, der dafür ganz besonders zur Verantwortung gezogen würde: Jens Spahn. Begründung: Er ist der Fraktionschef, der muss solche Dinge für Friedrich Merz wuppen, so wie das jahrelang Volker Kauder für Angela Merkel gemacht hat. Nimmt man die klassischen Kriterien von Macht und ihrer Organisation zur Hand, dann ist diese Sichtweise nicht falsch. Spahn hat es bislang nicht geschafft, aus den Abgeordneten eine verschworene Gemeinschaft zu machen. Viele beschreiben ihn als unnahbar. Sie erzählen weniger von Zugewandtheit als von kühler Härte. Und doch liegt es keineswegs an Spahn alleine, dass die Union ein Problem hat.

Die Fraktion ist kein monolithischer Block mehr. Sie ist keine geschlossene Gemeinschaft mehr, die wie früher eines ganz nach vorne stellt: den Machterhalt. Kanzlerwahlverein hieß das früher ein bisschen euphemistisch, hatte aber für Helmut Kohl und später Angela Merkel den unschätzbaren Vorteil, dass am Ende das große Ganze über allem stand. Dass dies nicht mehr so ist, hat sowohl die Kanzlerwahl als auch die gescheiterte Richterinnenwahl gezeigt – und es gibt nicht wenige, die eine Wiederholung dieser Peinlichkeit auch jetzt, im Rentenstreit, befürchten.

Ein Grund für diese Veränderung heißt Friedrich Merz. Obwohl sich der CDU-Chef stets als Mannschaftsspieler beschreiben würde, hat er exakt das seit seiner Wahl nicht mehr vorgelebt. Kanzleramt, Partei und Fraktion sind kein geschlossenes Machtzentrum, sondern agieren nach Berichten aus allen drei Ecken mehr nebeneinanderher als miteinander. Noch gravierender ist, dass die Brechung zwischen dem Wahlkämpfer und dem Kanzler vom ersten Tag an so groß ist, dass viele Abgeordnete, gerade auch jene, die mit ihm in den Bundestag kamen, den Friedrich Merz, den sie kannten, nicht mehr wiedererkennen. Viele der 60 neuen Abgeordneten hatten sich einen ausgeprägten CDU-pur-Kurs erhofft. Was sie jetzt erlebten, ist schon fast das Gegenteil. Das erhöht Gefolgschaft nicht; es untergräbt sie.

Ein zweiter Grund ist die Lücke, die Wolfgang Schäuble hinterlässt. Der Badener als finale Instanzin moralischen und strategischen Fragen fehlt nicht nur dem Kanzler; er fehlt noch viel mehr der Fraktion. Er war es, der unter Kohl und unter Merkel immer wieder dann die Richtung definierte, also bei einer wichtigen Entscheidung die zentralen Fragen abwägte und dann die Richtung vorgab. Er war es, der Orientierung gab, wenn es wirklich schwierig wurde. Und Halt.

Historisch ist sein Auftritt zum Hauptstadtumzug. Wichtig war auch seine Rede zur Verteidigung von Innenminister Thomas de Maizière mitten in der Flüchtlingskrise.Und seineletzte Mahnung in der Fraktion, damals an den Oppositionsführer Merz gerichtet, hallte ebenfalls lange nach. Wenige Wochen vor seinem Tod im Dezember 2023 warnte er die Kollegen: Tut nicht so, als gehe Euch die Finanzlage nichts an. Denkt schon jetzt daran, was auf Euch zu kommt, wenn Ihr wieder regiert. Nicht wenige lasen das als Aufforderung, schleunigst von Oppositions- auf Vernunftrhetorik umzuschalten.

Und dann ist da auch noch die neue Wucht der Stimmungen. Nicht nur beim Umgang mit der Richter-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zeigte sich, wie schnell ein erheblicher Teil der Unionsfraktion durch mediale Wucht verunsichert oder gar angestachelt werden kann. Angestoßen und unterstützt durch – gelinde gesagt – sehr konservative Medien gelang es den Gegnern der Verfassungsrechtlerin, auch durch verfälschende Zuspitzungen in den sozialen Medien erst Zweifel zu säen und dann offenen Widerstand zu mobilisieren, der die Abgeordneten teilweise direkt, teilweise über die Wahlkreise erreichte und beeinflusste. Parlamentarier, die schon lange dabei sind, beschreiben das als neue, große Verwundbarkeit, die für die Fraktionsführung immer schwerer zu beherrschen ist.

Das politische Gefüge verändert sich, das bekommen nicht nur die Christ-, sondern auch die Sozialdemokraten zu spüren. Der Zusammenhalt schwindet; die Fähigkeit, sich gemeinschaftlich zu beraten und zu organisieren, nimmt ab. Das ist eine neue Welt, die weiter um sich greift, selbst wenn der Konflikt um die Rente am Ende doch mit einer Mehrheit für das von der Koalitionsspitze beschlossene Gesetz endet.

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Letzte Aktualisierung: 01. Dezember 2025