Analyse
Erscheinungsdatum: 13. April 2023

Gemeinsam im Krisengebiet: Boris Pistorius und Svenja Schulze auf Afrika-Reise

12.04.2023, Niger, Niamey: Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister und Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, besuchen zusammen mit Thomas Emig, Kommandeur am Bundeswehr Lufttransportstützpunkt "Camp Vie Allemand" in Niamey. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Es ist eine Premiere: Der Verteidigungsminister und die Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit sind gemeinsam im Ausland, in Mali und Niger. Die Bundeswehr wird aus Mali abziehen; das Nachbarland Niger ist noch einigermaßen stabil. Aber die Bundesregierung hat erkannt, dass sie sich im Sahel engagieren muss.

Mauretanien? Niger? Burkina Faso? In der Hitliste der gefragtesten Botschaften des Auswärtigen Amtes rangierten die Sahel-Länder Jahrzehnte lang eher in der Kategorie Restposten. Das begann sich mit Angela Merkel zu ändern, die je zweimal in Mali und Niger einschwebte. Und auch Olaf Scholz schaute in seiner ja noch kurzen Amtszeit bereits in der nigrischen Hauptstadt Niamey vorbei.

Und jetzt gleich ein Doppelbesuch. Der Verteidigungsminister und die Entwicklungshilfeministerin wollen die Lage in Mali und Niger erkunden und vor allem ein Zeichen setzen : Boris Pistorius, um seine Soldaten auf ein längeres Verbleiben in Niamey und Umgebung einzustimmen und zugleich den Abzug seiner 1.100 Frauen und Männer aus Mali einzuleiten. Und Svenja Schulze, um die zivile Hilfskomponente in einer extrem herausfordernden Region zu stärken.

Denn wohl nirgendwo auf der Welt häufen sich die Krisen so wie im Sahel, greifen sie so ineinander und kumulieren sich – und werden schnell zu Katastrophen : der Klimawandel, die Ernährungssituation, die Migration mit Flucht und Vertreibung, der Bevölkerungsdruck, die daraus resultierenden Sicherheitsprobleme. Und alles fast vor der Haustür Europas.

Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Verteidigungsminister und seine Entwicklungskollegin gemeinsam auf Auslandsbesuch sind. Ein bemerkenswertes Miteinander und neue Töne: Die Bundeswehr habe die zivile Arbeit in Mali sehr erleichtert, heißt es etwa im BMZ, und dass der Abzug der Soldaten die Situation nicht erleichtere. Der Verteidigungsminister wiederum setzt sich im malischen Gao zu einer Frauenrunde, die über lokale Regierungsführung und Bewässerungsprojekte diskutiert. Beides wäre in früheren Zeiten kaum denkbar gewesen.

Es sind Zeichen, dass der Bundesregierung klar geworden ist, dass sie dem nördlichen Afrika und dem Sahel mehr Aufmerksamkeit schenken muss. Weil man Mali nicht sich selbst überlassen sollte. Und weil Niger Dreh- und Angelpunkt für die Migration aus den Subsahara-Ländern in den Norden geworden ist. Um den Islamismus zu begrenzen – und auch aus geostrategischen Erwägungen. Denn es sind viele, die ihr Interesse für die Region entdeckt haben: Die Franzosen aus traditionellen Gründen, die Chinesen bohren nach Öl, die Inder bauen Hotels, türkische Investoren sind ebenfalls vor Ort. Da können Deutschland und die EU nicht hintanstehen.

Natürlich hilft, dass Schulze und Pistorius das gleiche Parteibuch besitzen. Und natürlich könnte der gemeinsame Auftritt auch dazu beitragen, beim Bundesfinanzminister den einen oder anderen Euro mehr fürs kommende Jahr herauszuschlagen. Denn 2024 dürfte für beide Ressorts trotz Koalitionsvertrag und Zeitenwende ein Gürtel-enger-schnallen-Jahr. Zudem sind gerade die Umstände in Mali ein Beleg dafür, dass ohne ein Minimum an Sicherheit auch die zivile Hilfe einen schweren Stand hat.

Niamey, 41 Grad im Schatten, die Luft der nigrischen Hauptstadt schmeckt nach Staub. Eines der ärmsten Länder der Welt, 25 Millionen Einwohner, über 50 Prozent der Kinder ohne Schulbildung, knapp sieben Geburten pro Frau, ein Bevölkerungswachstum von über 3,5 Prozent im Jahr. Schwieriger geht es kaum.

Es ist Pistorius’ erster Afrika-Besuch als Verteidigungsminister. Die Nigrer sind freundliche Menschen, denn richtig viel haben die Deutschen eigentlich gar nicht zu bieten. Sie helfen zwar zivil und militärisch seit über 60 Jahren, aber in eher homöopathischen Dosen. Dennoch stehen in der Hauptstadt Niamey Verteidigungsminister und Außenminister für Gespräche bereit, und auch Präsident Mohamed Bazoum hätte sich gerne mit den Deutschen gezeigt – hätte ihn ein Virus nicht davon abgehalten.

100 Soldaten hat die Bundeswehr hier unweit des Flughafens stationiert: eine Art Brückenposten ins malische Gao, wo das deutsche Minusma-Kontingent stationiert ist, von der Staatsregierung aber eher behindert als unterstützt wird. Der Abzug im kommenden Frühjahr ist beschlossene Sache – und auch dafür werden Nigers Flughafen und Stützpunkt gebraucht.Viel mehr als Unterstützung für Ausbildung und Ausrüstung leisten die Deutschen militärisch in Niger nicht. Aber der Bundesverteidigungsminister will Präsenz zeigen.

Der nigrische Verteidigungsminister ist überaus dankbar, nachdem Pistorius ihm 18 Toyota-Geländewagen und 28 Boote überlassen hat. Ähnlich euphorisch klingt der Außenminister beim Treffen mit Svenja Schulze. Die Zusammenarbeit mit den Deutschen werde „sehr geschätzt“, sagt er. Die 30-Millionen-Euro-Finanzierung für ein neues Krankenhaus in Niamey sei „eine sehr gute Nachricht“. Soweit es zu beurteilen ist, haben die Deutschen ein durchaus respektables Standing am Niger.

Natürlich begegnen Schulze und Pistorius nur Ausschnitte der Realität. Die Instabilität, häufig auch Kriminalität, die gestrandeten Migranten in den Städten und Dörfern des Zentral-Niger, ein Klimawandel, der Kleinbauern und Verbraucher zwingt, Anbau- und Essgewohnheiten zu ändern. Oder der Präfekt und Ex-Minister aus Agadez, der von den überfüllten Camps in seiner Region berichtet und dass die Administration gar nicht mehr in der Lage sei, Asylanträge zu bearbeiten – lauter Themen, die sie zwar deutlich, letztlich aber nur abstrakt mitbekommen.

Auch sonst ruckelt es auch da und dort, wie in so vielen armen Ländern des Globalen Südens. Beim Besuch des zentralen Lagercamps des World Food Programme (WFP) in Niamey platzieren sich Schulze und Pistorius vor hoch gestapelten Reissäcken. „Ein sehr erfolgreiches Projekt“ nennt die Ministerin die WFP-Arbeit. Weil viele Dörfer, in denen das WFP tätig war, die nächste Krise besser überstanden haben. Und doch, die Ernährungshelfer sind im Niger nicht unumstritten, weil sie bisweilen recht autonom vorgehen. Es kam vor, dass sie das Land auf Jahre verlassen mussten; eine Grundskepsis der Nigrer ist geblieben.

Oder der nigrische Verteidigungsminister, der sein Land einen „Damm gegen den Terrorismus“ nennt. Während gleichzeitig in der Peripherie und weit entfernt von der Hauptstadt islamische Prediger in die Dörfer einsickern und Geld verteilen, während Väter ihre Frauen und Töchter hinter Schleiern verhüllen.

Vorsicht ist deshalb angebracht. Auffällig oft fallen sattsam beliebte Metaphern von einer Partnerschaft „auf Augenhöhe“ oder Niger als „Stabilitätsanker“. Man muss daran erinnern, dass auch Länder wie Mali oder Uganda lange Jahre mit dem Etikett „Stabilitätsanker“ bedacht wurden. Bisweilen ändern sich die Dinge schnell, nichts ist für die Ewigkeit.

Aber Svenja Schulze bringt sich in Stellung. Sie hat den Sahel für sich entdeckt. Im Sommer will sie den Vorsitz der Sahel-Allianz übernehmen, einer Runde von 18 Geberländern und -banken, mit dem Ziel, die Region zu stabilisieren. 2017 hatten Emmanuel Macron und Angela Merkel die Allianz ins Leben gerufen. 26 Milliarden Dollar sollen insgesamt in den Gürtel von Mauretanien bis Tschad fließen, 1100 Projekte sind definiert. Drei Millionen Kinder sind inzwischen geimpft, fünf Millionen Menschen haben zusätzlich Zugang zu sauberem Trinkwasser bekommen.

Schulze wird also wiederkommen. Weil sie ebenso wie Pistorius weiß: Ohne Hilfen von außen, ohne mehr Bildung, ohne eine bessere Gesundheitsversorgung, ohne zusätzliche Arbeitsplätze könnte eine Großregion kollabieren – mit dramatischen Auswirkungen auch für Europa.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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