Analyse
Erscheinungsdatum: 27. April 2023

GdP-Sprecher Benjamin Jendro: „Der 1. Mai ist immer eine Wundertüte“

Quelle: EPA-EFE/Andre Coelho
Sicherheit in Berlin – spätestens seit der Silvesternacht ist es für Polizisten und Rettungskräfte das Thema. Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), spricht im Interview darüber, welche Sorgen sie umtreiben und was sie sich vom neuen Berliner Senat erhoffen.

Rechnet die Polizei 2023 mit einem „revolutionären“ 1. Mai, wie Demo-Anmelder ihn gern herbeisehnen?Der 1. Mai ist immer eine Wundertüte, weil niemand so richtig weiß, was die Polizei erwartet und zu welchen Taten die wenig einheitlich agierende linksextreme Szene oder auch andere Gewaltbereite fähig sind. Es ist wahrscheinlich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen Frust über die neue Berliner Landesregierung zu spüren bekommen und zahlreiche Menschen der Meinung sind, sie müssten sich mal „austoben“. Hinzu kommt die nach wie vor angespannte Situation in Israel, die durchaus auch pro-palästinensische Anhänger auf die Straße bringen kann, von denen manche bereit sind, Straftaten zu begehen.

Gibt es viele Demo-Anmeldungen?

Grundsätzlich gibt es Versammlungsanmeldungen wie im Grunewald, die sich über einen langen Zeitraum ziehen, was durchaus viele Kräfte binden wird. Die Berliner Polizei ist einsatzerfahren genug und wird sich dementsprechend personell aufstellen, um auch auf dynamische Einsatzlagen reagieren und die innere Sicherheit wahren zu können, auch wenn die eine oder andere Tonne in Friedrichshain-Kreuzberg oder Neukölln mal etwas länger brennt.Was hat sich für die Berliner Polizei im Nachgang zu Silvester bei Großlagen-Einsätzen geändert?Ehrlicherweise relativ wenig. Silvester ist ohnehin immer eine Ausnahme-Nacht ebenso wie der 1. Mai immer ein Ausnahmetag bleiben wird. Dass Polizistinnen und Polizisten angegriffen werden, dass das auch mit Waffen und Pyrotechnik passiert, ist keine Besonderheit der Silvesternacht 2022/23. Selbstverständlich aber werden die Geschehnisse und insbesondere die Diskussion aufgrund der im Netz kursierenden Bilder Einfluss auf den Kräfteansatz und die Kräftesteuerung im nächsten Jahr haben.

Das klingt routiniert bis resigniert.

Wir sind eben seit Jahrzehnten gewohnt, dass die Berliner Polizei gerade bei Versammlungslagen auch aus dem Protest heraus attackiert wird. Dem wird man auch in diesem Jahr mit einer deeskalativen, bürgerfreundlichen Kommunikation entgegentreten, solange sich die Demos im demokratischen Rahmen bewegen. Da, wo Grenzen übertreten werden, wird die Polizei Berlin entschlossen ihrer gesetzlichen Aufgabe und Pflicht nachkommen.

Was wünscht die Polizei sich vom neuen Berliner Senat?

Die ganze Palette oder eine kleine Auswahl?

Alles.

Berlins neuer Senat weiß, dass er all das, was nötig wäre, nicht von heute auf morgen und auch nicht in dieser Legislaturperiode gewuppt bekommt. Dafür wurde einfach jahrzehntelang zu wenig getan bzw. falsche Weichenstellungen vorgenommen. Wir stehen als GdP im guten Austausch mit CDU und SPD, um wichtige Schritte zu gehen. Im Koalitionsvertrag sieht man, dass sie die Bedeutung der inneren Sicherheit verstanden haben und sich die viel zitierte Wertschätzung für Polizei und Feuerwehr endlich auch in Greifbarem widerspiegelt. Es bedarf dauerhafter Anstrengungen und eines ernsthaften Willens, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Woran messen Sie das?

Dazu gehören Sachen wie die flächendeckende Ausstattung mit Bodycams und Taser, Investitionen in die technische Infrastruktur und den Fuhrpark sowie zum Abbau vom Sanierungsstaus. Dazu gehören auch notwendige Anpassungen des rechtlichen Rahmens wie die Ausdehnung des Gewahrsams auf fünf Tage, Quellen-TKÜ, Bodycam-Einsatz im Wohnraum, Taser als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und eine Regelung des finalen Rettungsschusses. Kurzum, wir brauchen Rückendeckung für die Säulen unseres demokratischen Zusammenlebens.

Hat die bisherige Arbeit der Innen-Senatorin überzeugt oder hätte die Polizei sich auch hier eine Neubesetzung gewünscht?

Es liegt in der Natur der Sache, dass wir als Gewerkschaft nicht mit allen politischen Entscheidungen zufrieden sein können. Aber wir haben eine Basis der respektvollen und konstruktiven Zusammenarbeit mit Frau Spranger. Es wäre vermessen, sie nach eineinhalb Jahren im Amt an ihrer Arbeit messen zu können. Innere Sicherheit ist keine Eintagsfliege, weshalb bei Entscheidungen Nachhaltigkeit immer wichtiger sein sollte als die aktuelle mediale Berichterstattung.

Was beschäftigt Berliner Polizisten in den nächsten Tagen und Wochen besonders?

Aktuell sind es in erster Linie die Straftaten im Namen des Klimas, die unglaublich viele Kapazitäten binden. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass sich mit steigenden Temperaturen wieder noch mehr öffentliches Leben nach draußen verlagert, es also auch wieder verstärkt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Parks und Plätzen kommt. Man kann sich in der Hauptstadt aber auch stets sicher sein, dass etwas auf uns einprallt, das wir in der Form vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm haben. Berlin ist eine lebendige Metropole und da können sich globale Konflikte und Phänomene, die eigentlich nichts mit Berlin zu tun haben, auf unseren Straßen wiederfinden.

Und Berlins Polizisten haben keine anderen Sorgen?

Doch. Grundsätzlich beschäftigt unsere Kollegen alles, was jeden anderen Menschen in dieser Stadt auch interessiert. Natürlich haben sie Themen wie die Bekämpfung der Alltagskriminalität, das Risiko eines terroristischen Angriffs oder den täglich wachsenden Egoismus im Straßenverkehr mehr im Blick als andere. Aber unsere Kolleginnen und Kollegen sind Menschen und haben menschliche Bedürfnisse und Sorgen. Auch unsere Kolleginnen und Kollegen fragen sich, wo sie bezahlbaren Wohnraum bekommen, wie sie zur Arbeit fahren können, wo sie das Kind in die Kita bringen dürfen und wie sie Familie, Pflege von Angehörigen und Beruf vereinbaren können.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!