Dass Nichtwähler bei Wahlen eine höchst amorphe Masse mit sehr unterschiedlichen Motiven sind, ist keine wirkliche Überraschung. Nun hat die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) untersuchen lassen, warum Gelegenheitswähler mal ins Wahllokal gehen und mal nicht. Was die tieferen Gründe für ihre Entscheidung sind, wie politikfern sie wirklich sind und ob sie doch motiviert werden können, sich wieder an Wahlen zu beteiligen.
Anspruch auf Repräsentativität erhebt die Untersuchung des Berliner Wahlforschungsinstituts Pollytix nicht. Es ist eine qualitative Studie mit einer beschränkten Anzahl von Interviewpartnern. Und doch sind die Ergebnisse durchaus aufschlussreich. Die Sozialwissenschaftler haben in sechs Wahlkreisen quer durchs Land lange mit Gelegenheitswählern gesprochen – also solchen, die bei den letzten zwei Bundes- und Landtagswahlen mindestens einmal pausiert haben – und sechs Gruppen ausgemacht:
Allen Gruppen, so die Analyse der Pollytix-Meinungsforscher, fehlt es an Nähe und Verständnis für politische Prozesse, Entscheidungsfindung und ihre Akteure als solche. Manche, etwa die Rückkehrer, Vergesslichen und Gleichgültigen, seien immerhin über soziale Medien ansprechbar; über Infostände ließen sich in Wahlkampfzeiten insbesondere die Vergesslichen und Rückkehrer animieren. Die Kategorie der Wütenden wiederum findet eine direkte Ansprache, egal ob am Infostand in der Fußgängerzone oder an der Haustür, als eine Grenzüberschreitung, die sich Politiker möglichst verkneifen sollten.
Generell, so schreiben die Autoren, sei eine Anspruchshaltung an Politiker zu beobachten, Probleme und Krisen möglichst geräuschlos abzuarbeiten. Und weiter: „Die Erfüllung dieser Forderung wird in der Regel nicht mit besonderer Anerkennung belohnt, sondern zählt für die Nicht- und Gelegenheitswähler*innen zur absoluten Mindestanforderung.“ Die Kommunikation mit den Bürgern dürfe sich deshalb nicht auf Wahlkampfzeiten beschränken, Erreichtes sei durchgängig und direkt zu kommunizieren.
Und wie lässt sich die Klientel erreichen, die ihre Erwartungen an Politik noch nicht ganz begraben hat? Mehr Präsenz, mehr Aufmerksamkeit für die Belange der Wähler. „Politik muss alltagsrelevant sein“, heißt es in der Studie. Es sei für Politiker „unerlässlich, aktiv im Alltag präsent zu sein, ohne dabei immer als ‚die Politik’ wahrgenommen zu werden“. Auch intensivere politische Bildungsarbeit sei hilfreich. Sie müsse nur dort stattfinden, „wo die Menschen sind, und nicht umgekehrt“.
Auch den Medien schreiben die Autoren in diesem Kontext eine Rolle zu. In einer Zeit, in der politisches Wissen fast ausschließlich über die Medien transportiert werde, trügen sie besondere Verantwortung : Politik möglichst lebensnah zu beschreiben und nicht nur negative, sondern auch positive Bezüge – also Erfolge, Verbesserungen, politisch Erreichtes – zum Alltag der Menschen herauszuarbeiten.
Bilanzierend sagt Lennart Hagemeyer, einer der Studienautoren: „Durch die Krisen ist die Politik im Alltag der Menschen angekommen; allerdings im negativen Sinne, denn man traut der Politik wenig zu und zieht sich ins Private zurück.“ Von allein kämen die Enttäuschten nicht wieder. „Vielmehr braucht es proaktive Kommunikation von Medien und Politik – auch über Wahlkämpfe hinaus.“
Auch Jan Engels, Studienleiter der FES, zieht den Schluss: „Politikerinnen und Politiker müssen ihre Prozesse und Entscheidungen mit dem Alltag der Menschen verbinden.“ Die politischen Akteure seien allerdings auch auf die Zivilgesellschaft und deren Engagement angewiesen. Engels: „Eine der Lehren ist sicher: Die Politik muss die Distanz zwischen sich, ihren Entscheidungen und den Menschen überbrücken – das ist Aufgabe aller Demokraten unserer Gesellschaft.“