Der kleinste Partner erleichtert bis zufrieden, die Kanzler-Partei mit historisch schlechtem Ergebnis und die Grünen dazwischen als größte Verlierer – die Ampel hat am Sonntagabend schmerzhafte Resultate zu verkraften. Was das für die aktuell hochheiklen Haushaltsverhandlungen bedeutet, lässt sich erahnen: die Liberalen dürften an ihrem harten Kurs festhalten, die Sozialdemokraten ähnlich zornig dagegenhalten. Und die Grünen von Robert Habeck, die sich bislang als Brückenbauer versuchten, müssen mit wachsenden Zweifeln in den eigenen Reihen leben.
Die Grünen müssen sich fragen: Was ist schiefgelaufen? Die Verluste vor allem bei jungen Wählern sind schmerzhaft; sie zeigen überdeutlich, dass die Erwartungen dort enttäuscht wurden. Klimaschutz ist das große Ziel der Grünen gewesen; und auf diesem Feld sind sie für die Jüngeren gefühlt nicht weit genug vorangekommen. Zugleich aber wächst bei manchem in der Regierung der Ärger, dass die Kampagne keine wirklich eigene Erzählung ausstrahlte – und in der letzten Woche manche die Debatte um die Abschiebung eines Straftäters wie bei den Grünen oft üblich beantworteten: dass das halt nicht möglich sei. Für die Pragmatiker war das wenige Tage vor der Wahl ein schwerer Fehler. Aus diesem Grund soll sich am Montag die Sechser-Runde aus Parteispitze, Fraktionsspitze sowie Habeck und Baerbock treffen. Thema: Kampagne.
Das Ergebnis zeigt, dass die Partei auf ihre Kernklientel zurückfällt. Das bedeutet: Gerade jene, die vor ein paar Jahren den Grünen neues Vertrauen schenkten, sind weggeblieben. Möglicherweise unter anderem, weil in der Debatte um die Abschiebungen alte grüne Reflexe deutlich wurden. Das sind eher die Habeck-Wähler, die das Gefühl haben, dass sein moderaterer Kurs durch interne Konflikte immer wieder konterkariert wurden. Nicht nur das Ergebnis ist für die Grünen an diesem Abend unerquicklich; auch die Frage, wie sie darauf antworten sollen, bleibt unangenehm offen. Der langjährige Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer rät seiner Partei, auf Kurs zu bleiben, aber ihre Politik besser zu erklären. Das Interview lesen Sie hier.
Angefasst zeigten sich die SPD-Granden. Vom Zuwachs der AfD, trotz aller Skandale. Vor allem aber auch von den eigenen Werten. Von einer „bitteren Niederlage“ sprach ungeschminkt Parteichef Lars Klingbeil. Und dann schob er nach: Für uns ist das Ergebnis ein Auftrag.“ Die Arbeitnehmer hätten „klare Erwartungen“ an die Sozialdemokratie: „Darum geht es jetzt auch bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen“. Womit sich neben dem Bundesfinanzminister auch der Kanzler angesprochen gefühlt haben dürfte.
Die Genossen hadern immer deutlicher mit dem moderierenden Führungsstil von Scholz. In der Fraktion, aber auch in der Parteiführung. „Wir brauchen einen Haushalt 2025, mit dem wir aussichtsreich in die Bundestagswahl gehen“, heißt es unter Spitzengenossen, jedenfalls keinen, der den vielfältigen Herausforderungen nicht Rechnung trage. Es wird ruppiger werden bis zur Sommerpause. „Was hilft es uns, wenn ganze Dörfer absaufen, die Ukraine den Krieg verliert, wir aber einen ausgeglichenen Haushalt haben“, fragt der Bochumer Abgeordnete Axel Schäfer. „Klartext vom Kanzler“, erwartet auch die badische Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur. Sie spricht vielen Fraktionskollegen aus der Seele: „Dass Kleinstparteien den Ton angeben, muss ein Ende haben.“
Die FDP ist erleichtert, sogar glücklich – und sieht sich in ihrem Kurs bestätigt. Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus sorgten die Prognosen für aufatmenden Jubel. Zwar ist den Liberalen bewusst, dass sie einen nicht unerheblichen Teil der Stimmen Marie-Agnes Strack-Zimmermann persönlich zu verdanken haben. Und der eine oder andere bedauert, dass sie und ihre Kampagne nicht noch stärker mobilisieren konnten. Dennoch dürfte sich Christian Lindner für die hoch schwierigen Haushaltsgespräche erstmal gestärkt fühlen. Und diese, so war am Sonntagabend häufig zu hören, werden für die Ampel-Zukunft entscheidender sein als die Ergebnisse der Europawahl.