Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Juni 2023

Entsenderichtlinie: Mehr Rechte für fast alle Lkw-Fahrer

LKW-Fahrer streiken weiter 23.04.2023 Für die Auszahlung des immer noch seit Monaten ausstehenden Lohns vom Arbeitgeber Spediteur streiken die osteuropäischen LKW-Fahrer weiterhin auf der Autobahn Rastanlage Gräfenhausen an der BAB A5 Weiterstadt-Gräfenhausen Hessen Deutschland *** Truck drivers continue to strike 23 04 2023 For the payment of the still for months outstanding wages from the employer forwarding agent, the Eastern European truck drivers continue to strike on the highway rest area Gräfenhausen on the BAB A5 Weiterstadt Gräfenhausen Hesse Germany

Seit der Öffnung des Binnenmarkts für grenzüberschreitende Transporte werden Lkw-Fahrer immer wieder Opfer unlauterer Geschäftspraktiken, können sich aber selten wehren. Ein neues Gesetz, das auf EU-Richtlinien zurückgeht, bringt Verbesserungen, enthält aber mehrere Ausnahmen.

Die Raststätte im südhessischen Gräfenhausen ist seit Kurzem international bekannt. Fast eineinhalb Monate verbrachten mehr als 60 usbekische und georgische Lkw-Fahrer bis Ende April dort im Streik, weil ein polnischer Spediteur ihnen den Lohn vorenthalten hatte – und dann auch noch einen Schlägertrupp auf sie losschickte.

Mit dem Chef der Fahrer verhandelte unter anderem Edwin Atema, ein niederländischer Gewerkschafter, der kurz danach im Mai auch zu einer Anhörung des Bundestags zum jetzt verabschiedeten Entsenderechtsgesetz geladen worden war. Was in Gräfenhausen passierte, sei die Regel, nicht die Ausnahme, sagte er – weil „in dieser Industrie aus jedem kleinen Loch im Gesetz ein riesiges Geschäftsmodell“ werde.

Die EU hat im Rahmen ihres sogenannten Mobilitätspakets deshalb Richtlinien beschlossen, die vor allem die Rechte, aber auch die Pflichten von Lkw- und Busfahrern klar regeln sollen. Der Bundestag setzt die Vorgaben mit einem Gesetz „zur grenzüberschreitenden Durchsetzung des Entsenderechts“ nun um.

Geregelt werden in dem Gesetz neben Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten auch die nötigen Ruhepausen. Im Zentrum steht die sogenannte Kabotage, die längst zum Massenphänomen im Transportgewerbe geworden ist. Dabei geht es darum, dass Lkw-Fahrer in einem Staat unterwegs sind, in dem der Unternehmer weder Sitz noch Niederlassung hat. Die neuen Vorgaben stellen klar, dass auch für sie der Mindestlohn von derzeit zwölf Euro gilt, wenn sie in Deutschland arbeiten. Für Transporte oder Personenbeförderungen – etwa mit Fernbussen – zwischen zwei Ländern oder die reine Durchfahrt gilt das allerdings nicht.

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – das ist weiterhin nicht gegeben", sagt die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke. Die Richtlinie enthalte so viele Ausnahmen, dass auf EU-Ebene nachgebessert werden müsse. Bei der Anhörung hatten Sachverständige etwa auch das Fehlen einer einheitlichen Kontrollbehörde moniert. In Deutschland sind Zoll, das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BaLM) sowie diverse Landesbehörden zuständig.

Änderungen gelten als schwer durchsetzbar, weil die Bundesländer, die dem Gesetz im Bundesrat noch zustimmen müssen, sich ungern Kompetenzen abnehmen lassen. Gewerkschafter Atema wies bei der Anhörung darauf hin, dass das Verbandsklagerecht in seinem Land das Vorgehen gegen kriminelle Praktiken deutlich erleichtere. In Deutschland gibt es eine entsprechende Möglichkeit bisher nicht.

Aus Sicht von Grünen-Politikerin Müller-Gemmeke, die Berichterstatterin ihrer Fraktion für die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ist, wäre es sinnvoll: „Das wäre eine wichtige Maßnahme in den Bereichen, in denen es schmutzig zugeht und wo die Menschen kaum Chancen haben, ihre Rechte durchzusetzen.“

Unternehmensverbände blicken anders auf das Gesetz und begrüßen die zusätzliche Rechtssicherheit. Gewerkschaftsvertreter kritisieren dagegen, manches bleibe im Detail weiter unklar. Der DGB, der mit seiner Einrichtung „Faire Mobilität“ bundesweit 13 Beratungsstellen für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa unterhält, findet die EU-Straßenverkehrsrichtlinie „zu komplex, was dazu führen dürfte, dass ihre Regeln in der Praxis kaum kontrollierbar sind“.

Für die Beschlussvorlage des Sozialausschusses brachten die Ampel-Fraktionen zuletzt noch einen Änderungsantrag ein. Dieser soll sicherstellen, dass auch bei Entsendungen innerhalb eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe sowie bei grenzüberschreitender Leiharbeit in der Regel Anspruch auf den deutschen Mindestlohn besteht. Durch diese Klarstellung entspricht das Gesetz, dem der Bundesrat noch zustimmen muss, den EU-Vorgaben.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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