Analyse
Erscheinungsdatum: 29. Juni 2024

Die AfD-Delegierten überraschen ihre Führung: Bestätigung mit großer Mehrheit und ein disziplinierter Parteitag

Die AfD bestätigte ihr Duo und vor allem Tino Chrupalla so klar, dass er selbst überrumpelt war. Der Vertreter der Jungen Alternativen brauchte als Einziger drei Anläufe in den neuen Bundesvorstand. Einige Kandidaten konnten sich durchsetzen, die der Führung nicht so recht sind.

Tino Chrupalla reicht Alice Weidel strahlend die Hand auf die Bühne, wo der frisch gewählte Bundesvorstand sich vor der Presse aufbaut. Dass die Delegierten einen Antrag auf eine Einerspitze statt Zweierduo ablehnte, war zu Beginn des Parteitags in Essen schon der erste Erfolg für die beiden. Aber mehr noch: Nicht mal besonders Wohlmeinende in der AfD haben damit gerechnet, dass die Delegierten in der Grugahalle Chrupalla 83 Prozent ihrer Stimmen geben würden. Wetten tendierten eher um die 60 Prozent. Aus AfD-Kreisen ist zu hören, dass viele Netzwerker in die Partei hinein appelliert hätten, Chrupallas Abwahl müsse verhindert werden. Außerdem hat Chrupalla sich dem Vernehmen nach die Stimmen aus dem besonders großen Landesverband NRW gesichert, indem er NRW-Landeschef Martin Vincentz dabei unterstützt hat, ein Parteiausschlussverfahren gegen dessen Widersacher Matthias Helferich einzuleiten – Helferich soll sich selbst unter anderem als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet haben. NRW ist mit etwa 100 Delegierten vertreten.

Auch Alice Weidel landete mit knapp 80 Prozent zwar oberhalb der Erwartungen, allerdings hätte kaum jemand damit gerechnet, dass Chrupalla die Co-Chefin überholen würde. Manche deuten aus diesem Ergebnis, die Delegierten hätten Weidel etwas Oberwasser abschöpfen wollen; immerhin wird sie glasklar als Kanzlerkandidatin der AfD für 2025 gehandelt und selbst Skeptische räumen ein, dass kein Parteimitglied der AfD nach außen ein besseres Image verleihen könnte als Weidel.

Rechtsaußen auf der Bühne stemmt Hannes Gnauck die Beine mit etwas versteinerter Miene in den Boden. Der Chef der Jungen Alternativen hat es zwar in den Bundesvorstand geschafft, Gesten des Triumphs kann er sich allerdings kaum leisten. Alle anderen Mitglieder schafften es ad hoc, gewählt zu werden; selbst dann, wenn es Gegenkandidaten gab. Gnauck gelang es erst beim dritten Anlauf, sich mit etwas mehr als den nötigen 50 Prozent gegen seinen Mitbewerber, Markus Wagner aus NRW, durchzusetzen.

Viele Gruppen in der AfD finden Gründe gegen Gnauck. Der Jungen Alternative ist er zu verständnisvoll gegenüber Kritikern an den jungen Radikalen. Die klare Erwartung aus der Parteiführung an sie lautet: Disziplinierung. Einige wollen Ausschlüsse besonders Extremer und das „Juso-Modell“, womit JA-Mitglieder gleichzeitig Parteimitglieder der AfD sein müssten – und das wiederum würde bedeuten, dass die Unvereinbarkeitsliste für sie gilt. Das würde eine Reihe von Jungalternativen ausschließen, die in neonazistischen Organisationen Mitglied waren oder sind. Kostproben ihrer Haltung führte die JA beim Stand in der Grugahalle vor, wo sie T-Shirts mit „White Boy Summer“-Logo verkaufte, oder Karten mit NS-Ästhetik, die „Für Deutschland bis zum bitteren Ende!“ forderten; außerdem Sticker mit Helferich aus NRW („das freundliche Gesicht des NS“). Die JA-Frage spaltet die AfD regelmäßig, vielen sind ist die Jugendorganisation zu extremistisch.

Dementgegen war ihr Vorsitzender Gnauck einigen seiner Kollegen in der Bundestagsfraktion zu streng im Umgang mit Querschlägern: Nachdem ein Mitarbeiter von Maximilian Krahs wegen mutmaßlicher Spionage verhaftet wurde, Krah und Petr Bystron sich fortlaufend der Korrumpierbarkeit verdächtig machten, wurde Gnauck in einer Fraktionssitzung recht deutlich: Er kritisierte ein zu erwartendes Glaubwürdigkeitsproblem der AfD, wenn prominente Mitglieder nicht im Sinne Deutschlands, sondern anderer Länder und noch dazu Autokratien handelt. Russland-Freunden in der AfD – und davon gibt es nicht zu wenige – gefällt die Haltung nicht; gerade in ostdeutschen Verbänden, dabei kommt Gnauck selbst aus Brandenburg.

Gnauck gehört außerdem eher dem Netzwerk um Sebastian Münzenmaier an, der gern einen Generalsekretär in der AfD installieren und damit das Spitzenduo schwächen bis ersetzen würde – auch damit verschafft er sich naturgemäß Gegenwind in der Partei.

Die Wahl zum Bundesvorstand der AfD verlief harmonischer als alle bisherigen, ein paar Kampfkandidaturen gab es aber sehr wohl; und die meisten Kandidatinnen und Kandidaten stehen nicht bloß für sich, sondern für ein Netzwerk, eine Strömung oder Haltung, die sich durchgesetzt haben.

Hannes Gnauck etwa hat sich beim dritten Anlauf dann doch gegen Markus Wagner aus NRW durchgesetzt, der dem Vernehmen nach der Favorit von Chrupalla war. Wagner steht eher als Gnauck dafür, extremistische Querschläger aus der Partei auszuschließen. Das Münzenmaier-Netzwerk aus ehrgeizigen AfDlern zwischen 30 und 40 möchte die Partei zwar wie Weidel und Chrupalla disziplinieren, aber weniger durch Ausschlüsse von Extremisten, sondern eher mit dem Verhindern von öffentlichem Streit und Richtungskämpfen. Aus dem Münzenmaier-Netzwerk sind im Bundesvorstand nun neben Hannes Gnauck auch neu Alexander Jungbluth, der kürzlich nach Brüssel gezogen ist, und wiedergewählt Dennis Hohloch aus Brandenburg.

Ein anderer, den Chrupalla wohl gern wieder im Bundesvorstand sehen wollte, hat sich durchgesetzt: Roman Reusch, der als unterstützende Kraft bei Ausschlussverfahren gilt. Er setzte sich gegen Ingo Hahn aus Bayern durch.

Für Alice Weidel gab es zwei gute Nachrichten: Dirk Spaniel unterlag Kay Gottschalk, Bundestagsabgeordneter aus NRW. Spaniel, wie Weidel Mitglied des Landesverbands Baden-Württemberg, gilt schon seit langem als ihr Widersacher und wandte sich erst kürzlich mit einem Video offen gegen sie und eine Reihe ihrer Unterstützer. Spaniel kam nur auf gut 30 Prozent der Stimmen, Gottschalk siegte mit knapp 62 Prozent deutlich.

Zu den von Spaniel angesprochenen Weidel-Unterstützern im Video gehört Marc Jongen, der AfD-intern als „Philosoph“ der Partei gilt. Auch er konnte sich durchsetzen gegen ein bisheriges Mitglied des Bundesvorstands, Christina Baum, die Weidel offenbar ungern weiter im Vorstand gesehen hätte. Für einige überraschend war allerdings, dass Baum immerhin trotzdem auf knapp 43 Prozent der Stimmen kam, obwohl Jongen recht hohes Ansehen in der Partei genießt.

Die höchste Zustimmung bei der Wahl erhielt Stephan Brandner. Der Bundestagsabgeordnete aus Thüringen war bereits zwei Mal je zwei Jahre Mitglied, wurde mit gut 90 Prozent wiedergewählt. Vor allem in den Reihen der Presse sorgte Brandner für einiges Kopfschütteln, als er verkündete, bei der AfD gebe es „keinen einzigen Verfassungsbrecher“, „keinen einzigen Nazi weit und breit“ und dann noch nachlegte: „Wir sind das Licht.“ Dass Brandner erneut Mitglied ist, überraschte kaum jemanden; ebenso wenig bei Carsten Hütter aus Sachsen und Peter Boehringer aus Baden-Württemberg. Wieder gewählt ist außerdem Sachsen-Anhalt-Chef Martin Reichardt.

Im Sinne des Fußballs beendet die AfD um 19.10 Uhr den „diszipliniertesten Parteitag in elf Jahren“ vorerst. Dass Chrupallas leichtes Überholen Weidels nichts am grundsätzlichen Umgang zwischen den beiden geändert hat, demonstrieren sie am Ende des Vorstands-Posings auf der Bühne. Weidel will keine weiteren Pressefragen beantworten, Chrupalla kündigt dagegen an: „So, dann machen wir noch fünf“. Während Weidel von der Bühne steigt, sagt sie: „So, ich muss arbeiten – und der Rest auch.“ Eine klare Ansage. Chrupalla lenkt ein.

Hinweis der Redaktion: In einer frühere Version dieses Textes war fälschlicherweise zu lesen, Martin Reichardt wäre neu eingezogen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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