Keine Gifteleien gegen den Kanzler, keine Attacken gegen Robert Habeck, kein Abarbeiten an der Ampel und keine Spitze gegen Angela Merkel – zum ersten Mal seit seiner Rückkehr auf die politische Bühne im Herbst 2018 erlebt die CDU einen Friedrich Merz, der nicht auf Säbel, Attacke und Provokation setzt, sondern eine tatsächlich nachdenkliche Rede hält. Und der dafür mehr Beifall erhält als jemals zuvor. Stehende Ovationen für den Christdemokraten, der die Partei für die Einführung des Elterngeldes lobt, die Delegierten an Hitzewellen, Starkregen und Überflutungen erinnert; der die irreguläre Migration kritisiert, aber Migranten in ihrem Engagement für eine tolerante Gesellschaft ermutigen will – und der Karl Josef Laumann für das Sozialstaatskonzept feiern lässt. Es ist die persönliche Zeitenwende des CDU-Chefs. Mit einer Rede, die einstige Mitarbeiter der Altkanzlerin hinterher leicht spöttisch als seine erste Merkel-Rede bezeichnen.
Zustimmung erntet er auch bei jenen, die nicht zu seinen Fans zählten. Rita Süßmuth lobt seine neue, gedämpfte Tonlage; Thomas de Maizière spricht von einer „mittigen, staatsmännischen“ Rede, mit der Merz alle erreicht und mitgenommen habe. Annegret Kramp-Karrenbauer, die Merz bei seiner ersten Bewerbung um den Parteivorsitz 2018 knapp geschlagen hatte, ist angetan von seiner neuen staatstragenden Rhetorik. Die Tonlage passe zur Situation im Land, sagte sie Table.Briefings. Sie habe mit „gutem Gewissen“ aufstehen und klatschen können. Kramp-Karrenbauer hat sich inzwischen weitgehend aus der Politik zurückgezogen. Im Sommer übernimmt sie den Vorsitz des Stiftungsrats der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.
Das positive Urteil früherer Merz-Gegner begründet sich auch damit, dass der CDU-Chef in seiner Rede nur die AfD frontal angeht. Sie verspotte alles, wofür die Demokratie stehe; wolle diese von innen aushöhlen und ziehe damit alles ins Lächerliche, was auch die Volkspartei CDU ausmache. Deshalb werde die CDU diese AfD demokratisch angreifen. „Wir nehmen den Kampf auf“, sagt Merz – und erntet dafür den lautesten Beifall der ganzen Rede. Zugleich verzichtet er auf jede Polemik gegen demokratische Konkurrenten und verurteilt die jüngsten Angriffe gegen Politiker, „ganz gleich, welcher Partei sie angehören“. Ernsthaftigkeit soll allem unterlegt sein.
Das Wahlergebnis von 89,8 Prozent ist für Merz kein Triumph. Aber es dürfte für den in den vergangenen Jahren nie unumstrittenen CDU-Vorsitzenden fürs Erste Ruhe bedeuten. Das Resultat liegt unter der erhofften Marke von 90 Prozent und ist zugleich leicht besser als jenes, das Angela Merkel 2004 erzielte. Anderthalb Jahre vor ihrer Wahl zur Kanzlerin erhielt sie nach einer ähnlich nachdenklichen Rede 88 Prozent.
Klar ist aber auch: Die Merz-Kritiker sind verstummt, aber nicht weg. Die „Rhein-Schiene“ bleibe die mögliche Achse des Widerstands, sagt ein ranghohes Mitglied der schleswig-holsteinischen Delegation. Damit meint der CDU-Mann nicht nur den Namenspatron Boris Rhein, den hessischen Ministerpräsidenten, sondern auch eine Gruppe junger, aufstrebender Christdemokraten, die sukzessive an Einfluss gewinnen. Dazu gehören Manuel Hagel (Landeschef Baden-Württemberg), Sebastian Lechner (Parteichef aus Niedersachsen), Paul Ziemiak (Generalsekretär NRW) und Jens Redmann, Landesvorsitzender aus Brandenburg. Manch ein Delegierter hält diese Gruppe für eine „Prätorianergarde“ von Hendrik Wüst, sollte der doch noch Kanzlerkandidat werden wollen.
Bei den Wahlen gibt es vor allem eine, die schlucken muss: Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien. Sie kommt nur auf gut 58 Prozent. Was ihr trotzdem Mut machen könnte: Solche Resultate erzielte früher vor allem Ursula von der Leyen. Und aus ihr ist bekanntermaßen viel geworden. Die weiteren Wahlergebnisse :
Generalsekretär: Carsten Linnemann, 91,4 Prozent
Stv. Generalsekretärin: Christina Stump, 77,8 Prozent
Stellvertretende Parteivorsitzende:
Silvia Breher, 77,4 Prozent
Andreas Jung: 79,4 Prozent
Michael Kretschmer: 87,7 Prozent
Karl-Josef Laumann: 91,95 Prozent
Karin Prien: 58,1 Prozent
Schatzmeisterin: Julia Klöckner, 83,3 Prozent
Beisitzer in Präsidium:
Ines Claus: 81 Prozent
Ronja Kemmer: 71,14 Prozent
Sebastian Lechner: 71,35 Prozent
Ina Scharrenberg: 81,9 Prozent
Sven Schulze: 68,16 Prozent
Jens Spahn: 80,09 Prozent
Mario Voigt: 90,84 Prozent