Analyse | Donald Trump
Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2025

Die USA auf dem Weg in die Autokratie

Mitarbeiter der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) sowie der US-Zoll- und Grenzschutzbehörde auf dem West Wacker Drive in Chicago. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ashlee Rezin)

ICE-Mitarbeiter auf den Straßen, politische Einflussnahme in Gerichten und Aufrufe zur Gewalt gegen Gegner – die älteste Demokratie der Welt steht vor dem Kipppunkt. Was passiert, wenn eine Gesellschaft ihren eigenen Regeln nicht mehr traut?

Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man dieser Tage im Auto über den amerikanischen Highway fährt. Immer wieder ploppt eine Warnung im Navigationssystem auf: „Achtung Polizei“, heißt es dann. Das klingt ein bisschen wie in Deutschland die Blitzerapp. Nur tauchen neben den Polizeiautos am Straßenrand auch immer wieder größere Trucks mit maskierten Männern auf. Es sind ICE-Mitarbeiter, die Autos aus dem Verkehr ziehen, um Papiere zu kontrollieren. Wer keine dabei hat, wird festgenommen. 

Die sogenannte „Operation Safeguard“ gehört zu den ersten Maßnahmen, die Donald Trump im Januar nach seinem Wiedereinzug ins Weiße Haus ergriffen hat. Binnen kurzer Zeit nahm ICE Hunderte Menschen in mehreren US-Bundesstaaten fest – zunächst die mit krimineller Vergangenheit. Doch diese Zielsetzung hielt nicht lange. In den folgenden Monaten schnellte die Zahl der Festnahmen nach oben – zunehmend gerieten auch Personen ohne strafrechtliche Verurteilung ins Visier. Innerhalb eines halben Jahres insgesamt über 10.000 Menschen. 

Zumal ICE-Einsätze nicht nur in Grenzstaaten wie Texas, Arizona oder Kalifornien stattfinden. Auch Großstädte im Landesinneren, wie Washington D.C., Boston, New York, Portland oder Chicago sind betroffen. 

Der anerkannte Politikwissenschaftler Steven Levitsky zeichnet ein düsteres Bild von Amerikas Zustand – politisch wie gesellschaftlich. „Wir verlieren unsere Demokratie“, sagte Levitsky Table.Briefings. „Wir haben maskierte Männer in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen, die Menschen auf offener Straße entführen – manchmal sogar US-Bürger“, berichtet der Harvard-Professor. „Es werden Strafverfahren gegen Personen eingeleitet, obwohl Vertreter des Staates selbst zugeben, dass es keine Beweise gibt – aber es geschieht, weil der Präsident es so will.“ Die USA sei in eine Form des Autoritarismus abgerutscht – noch mild und umkehrbar, aber die Bedrohung sei real.

Wer sich gegen die Einsätze wehrt, wird vom Präsidenten direkt angegriffen. Zuletzt haben etwa Chicago und Portland gegen den Einsatz von ICE geklagt. Es handele sich um eine übermäßige und ungerechtfertigte Machtausübung, die die föderalen Prinzipien verletze, verfassungswidrig sei und Bürgerrechte einschränke. Trump bezeichnete die Bürgermeister und Gouverneure der Städte daraufhin als „schwach“ und „gesetzlos“. Auf der Plattform „X“ schrieb er: „Der Bürgermeister von Chicago sollte im Gefängnis sitzen, weil er versäumt hat, ICE-Beamte zu schützen! Gouverneur Pritzker auch!“ 

Der Experte Levistky hält Trumps zweite Amtszeit für deutlich gefährlicher. 2016 habe der Präsident mit konservativen Republikanern regiert, die immer noch führende und etablierte Vertreter der Partei waren. Levitsky spricht von „rechtsgerichteten Technokraten“. Darunter auch solche, die sich Trump widersetzt hätten. „Menschen, die keine Trump-Loyalisten waren, die eine gewisse Unabhängigkeit und Fachkompetenz hatten – und die bereit und fähig waren, Grenzen zu setzen und Trump einzuschränken.“ Es seien immer noch „Erwachsene“ im Raum gewesen. Heute sei das anders: „Es gibt keine Erwachsenen mehr.“ Nur noch Loyalisten und rechte Ideologen. 

Es ist ein ungewohntes Bild, das die USA hier abgeben. Während Trump auf der internationalen Bühne versucht, den großen Friedensstifter zu geben, gar auf den Nobelpreis geschielt hat, herrscht auf US-Straßen Unruhe. Menschen, die seit Jahrzehnten Teil ihrer Gemeinden sind, verschwinden und selbst Amerikaner mit Migrationshintergrund berichten, dass sie ihre Dokumente jetzt immer bei sich tragen. Andere haben klare Absprachen mit Familienangehörigen für den Fall, dass sie nach einer unrechtmäßigen Festnahme Tage in Haftzentren verbringen. 

Im Fall von Chicago hat ein Gericht nun entschieden, dass der Einsatz der Nationalgarde nicht rechtens ist. Es liege keine glaubwürdige Bedrohung für die öffentliche Sicherheit vor, die einen Einsatz von ICE rechtfertigen würde. Ein Sieg für die Stadt, der zeigt, dass die Demokratie hier noch wehrhaft ist. Zumindest für den Moment. 

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Letzte Aktualisierung: 12. Oktober 2025

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