Die Runde tagt nicht öffentlich, sie erzeugt kein großes Aufsehen. Aber sie hat in den letzten 15 Monaten ziemlich viel erreicht. Alle zwei bis drei Wochen trifft sich in Berlin eine feste Truppe an Unterabteilungs- und Referatsleitern aus so gut wie allen Ministerien, um über akute und längerfristige Hilfe für die Ukraine zu beraten. Mal tagen sie im Auswärtigen Amt, mal im BMZ und so gut wie immer startet die Runde mit dem Vortrag eines Vertreters des Bundesnachrichtendienstes. Vom Landwirtschafts- über das Gesundheits- bis zum Justizministerium – alle beteiligen sich an den Bemühungen, dem attackierten Land nach dem russischen Überfall schnelle Hilfe zukommen zu lassen, aber auch langfristig wieder auf die Beine zu helfen.
Eine hohe Beamtin, die so gut wie immer an der Runde teilnimmt, berichtet, wie die Gruppe lernte, mit der Improvisation zu leben. Insbesondere in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn erreichten die Bundesregierung unzählige Hilferufe und Wunschlisten, auf denen das Allernötigste notiert war. Mal aus der Hauptstadt Kiew, mal aus kleinen Provinzen, von 20 bis 30 Listen pro Sitzung war damals die Rede. Und davon, wie man zwischen Windeln, Laptops, Decken und Kleinbussen für Schüler auf dem Land so ziemlich alles als Wunsch und Notruf auf den Tisch bekam. Das Problem dabei: Nicht alles war in den Budgets der Ministerien mal eben abrufbar; so manches musste hemdsärmelig über Anrufe in möglichen Partnerstädten organisiert werden.
Dabei gab es durchaus Dinge, die sich ganz offiziell über Haushaltstitel organisieren ließen. Das galt früh für das Bemühen des Verkehrsministeriums, Sonderzüge zum Transport ukrainischen Getreides bereit zu stell en. Es galt bei der Hilfe des Landwirtschaftsministeriums für Bauernbetriebe. Und es galt für Lieferungen von Gesundheitsmaterialien, medizinischen Geräten und Pharmazeutika, die vom Bundesgesundheitsministerium organisiert wurden.
Ganz anders war und ist es, wenn Kleider, Decken, Zelte oder auch Lebensmittel akut in abgeschnittenen Ortschaften und Regionen fehlen. Dann sind es nicht selten Partnerstädte, die auf kurzen Zuruf zu Hilfe eilen, eben dort, wo Bundesministerien über den normalen Genehmigungsweg viel zu lange bräuchten. „Wir haben in der Krise gelernt, den kleinen Dienstweg zu nutzen“, sagt ein Beteiligter. Gemeint sind die Bemühungen, das schnelle Handeln vor die Einhaltung der normalerweise üblichen Vorschriften zu stellen.
Inzwischen sind die Listen kürzer geworden. Die Not aber sei immer noch groß, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Einer, der ebenfalls stets mit von der Partie ist, wünscht sich aktuell vor allem Generatoren und Transformatoren, weil sie für die Energieversorgung und das Überleben von besonderer Bedeutung sind. „Die Absicherung von Strom- und Energieversorgung ist über die Monate immer wichtiger geworden", berichtet ein Beteiligter.
Insgesamt sind es mittlerweile mehr als 16 Milliarden Euro, die Deutschland für die Menschen in der Ukraine und die Geflüchteten in Deutschland bereitgestellt hat. Die größten Brocken sind dabei Finanzhilfen des Finanzministeriums für die ukrainische Regierung (fünf Milliarden Euro) und Integrationsmittel für all jene, die für kurze Zeit oder länger in Deutschland Schutz suchen (ebenfalls rund fünf Milliarden Euro). Der Rest teilt sich auf in viele kleinere Beträge für tausend kleine und größere Hilfen. Ein Beispiel von vielen: Für über 70 Millionen Euro hat inzwischen allein das Technische Hilfswerk Unterstützung geleistet.
Viele Millionen sind inzwischen aber auch in Projekte geflossen, die mehr sind als Akuthilfe. So hat das Innenministerium früh nicht nur Polizeifahrzeuge zur Verfügung gestellt, sondern auch Polizisten und Berater entsandt. Zum einen, um die dortigen Beamten besser auszubilden, zum Beispiel für Spurensicherung und Forensik. Zum anderen aber auch, um das Land langfristig im Kampf gegen Korruption und Betrug handlungsfähiger zu machen.
Ähnliche Hilfen kommen aus dem Justizministerium, vom Zoll und von anderen Sicherheitsbehörden. Und das zeigt, wie sehr die Bundesregierung in den letzten 15 Monaten nicht nur die Not gelindert hat, sondern das Land auch beim Weg in die EU unterstützt. Rechtsstaatlichkeit, Kampf gegen Korruption, eine verlässliche Verwaltung und Justiz – all das gehört auch zur deutschen Hilfe und ist nichts anderes als das Bemühen, das Land fit für die Europäische Union zu machen. „Kein Zweifel, auch das gehört zu unseren Zielen“, sagt einer, der von Tag eins an bei diesen Bemühungen dabei ist.
Einen Großteil der Hilfen leisten jedoch deutsche Kommunen. Müllfahrzeuge aus Regensburg, Mobilküchen aus Münster, Schulmöbel aus Mannheim oder Wärmestationen aus Karlsruhe. Deutsche Städte und Gemeinden haben in großem Umfang und mit viel Leidenschaft geholfen. In Partnerstädte, aber auch in entlegene Provinzen. Manches wurde in Statistiken erfasst, vieles aber auch nicht. Angenommen und übergeben wurde so gut wie alles, was auch angeboten wurde. Partnerschaften mit Städten in der Ostukraine, die es vereinzelt auch gab, sind derzeit ausgesetzt.
Leipzig lieferte fünf gebrauchte Löschfahrzeuge im Wert von rund 1,5 Millionen Euro, Bielefeld eine Mensa-Ausstattung und Bergisch Gladbach Tablets, Smartboards und Schulmöbel. Allein aus dem südbadischen Freiburg gingen – finanziert vom BMZ – Klinikmaterial und Medikamente im Wert von drei Millionen Euro, zwei Großgeneratoren im Wert von 1,1 Millionen Euro und zusätzliche Beatmungsgeräte im Wert von 2,5 Millionen Euro in die Ukraine, überwiegend in die Partnerschaft Lviv. Auch zwei Sattelzüge der lokalen Molkerei, beladen mit H-Milch, gingen nach Lviv auf die Reise. Obendrein stellten Freiburger Einzelspender 900.000 Millionen Euro an Barmitteln zur Verfügung, was die Stadt noch einmal um den gleichen Betrag aufstockte.