Analyse
Erscheinungsdatum: 03. September 2023

Die deutsche Humanitäre Hilfe: Lieber Payer als Player

PXL_Humanitarian aid for Ukraine Dispatch of humanitarian aid to Ukraine, Caritas of the Zagreb Archdiocese in Zagreb, Croatia on 12. April, 2022.. The Archdiocesan Caritas has so far collected 43 pallets of humanitarian aid for the victims of Ukraine in the action And the little things that matter - help refugees from Ukraine from individuals, companies, schools, kindergartens and parish Caritas. RobertxAnic/PIXSELL

Die Bundesregierung gibt sehr viel Geld, aber den Ton setzen im Bereich der Humanitären andere Nationen. Die Studie eines Berliner Think Tanks benennt es sehr klar: Es fehlt an inhaltlichem Profil, an erfahrungsgesättigtem Wissen, aber auch an einer Strategie und am politischen Willen, im internationalen Kontext eine aktive Rolle einzunehmen.

So richtig mitbekommen haben es nicht viele, aber leise und still ist Deutschland zur weltweit zweitgrößten Gebernation im Bereich der Humanitären Hilfe aufgestiegen. Nur die USA geben mehr, nachdem sich Großbritannien erst aus der EU und dann von seinen humanitären Ambitionen verabschiedet hat. Gleichzeitig sind die Erwartungen der internationalen Community an die Bundesregierung erheblich gestiegen, wie eine vorläufige Studie des CHA (Centre for Humanitarian Action), eines Berliner Think Tanks, ergeben hat.

Die Autoren Sonja Hövelmann und Ralf Südhoff haben Dutzende von internationalen Experten, Diplomaten, UN- und NGO-Vertretern befragt, und ihr Befund ist klar: Deutschlands Aufstieg von einem unbedeutenden humanitären Finanzier zur zweitgrößten Gebernation sei „mit Bewunderung, Erstaunen, dynamisch wachsenden Erwartungen und vielen Fragezeichen verfolgt worden“. Deutschland gelte als einziges Land der Welt, das sowohl zu den führenden Gebern als auch zu den führenden Aufnahmeländern für Flüchtlinge zähle. Deshalb, so die Empfehlung der Autoren, könnte die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit durchaus nutzen, um etwa in Fragen der internationalen Migration auf Debatten und Agenden mehr Einfluss zu nehmen als bisher.

Denn die Erwartungen an Deutschland sind beträchtlich, und das hat viel mit dem internationalen Kontext zu tun. Da waren der Brexit und der Ausstieg der Briten aus der Rolle des generösen Gebers, die Abwertung der multilateralen Institutionen unter der Trump-Administration, während der Bedarf an Hilfsleistungen etwa durch die Pandemie, vor allem aber infolge des Klimawandels ständig zunimmt. Und die Bundesregierungen lieferten: Die Ausgaben im AA kletterten von einst 90 Millionen (2011) auf 2,7 Milliarden Euro (2022).

Zugleich gilt Deutschland als überaus glaubwürdiger Vertreter humanitärer Werte. 80 Prozent der Befragten stimmten ganz oder zumindest teilweise der Aussage zu, dass die Deutschen ein „ehrlicher Makler“ („honest broker“) seien, ein werte- und prinzipienorientierter Geber mit entsprechender Glaubwürdigkeit als Vermittler und Moderator. Dies werde, so schreiben die Autoren, auch „in deutlichem Kontrast zu anderen großen Gebernationen gesehen und geschätzt“. Keine koloniale Vergangenheit, selten eigene Interessen, schon gar keine hegemonialen – und so wird einem UN-Repräsentanten der dekorative Satz zugeschrieben: „We want more Germany.“

Umso erstaunter blickt die Fachwelt auf die deutsche Zurückhaltung, wenn es um Agendasetting, Strategie und eine aktive Rolle im Hilfsgeschäft geht. Diese Zurückhaltung allerdings hat Gründe, historische, strukturelle, politische.

Denn die Humanitäre Hilfe spielte in der deutschen Außenpolitik nie eine bedeutende, geschweige denn eine strategisch angelegte Rolle. Dominant im deutschen Politikverständnis war immer der Charity-Gedanke, also barmherzig zu helfen, im Verbund mit den NGOs Spenden einzuwerben, allenfalls noch begleitet von dem Interesse, Deutschland als ehrenwerten Partner im internationalen Kontext zu positionieren.

Die Abteilung S (Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe) gehört im Auswärtigen Amt nicht zu denjenigen, über die Diplomaten steil Karriere machen. Auch die Wissenschaft hat sich in Deutschland bisher nur am Rande mit der Humanitären Hilfe befasst. Theorien zum Thema werden traditionell in Frankreich oder im englischen Sprachraum verfasst und erörtert, in Deutschland allenfalls von einem kleinen Fachpublikum rezipiert.

Die Strukturen sind also defizitär, und kein Außenminister machte sich bisher an die Aufgabe, daran etwas zu ändern. An den deutschen Botschaften im Ausland, so schreiben die Autoren, gebe es weltweit keine einzige Vollzeitstelle eines entsandten oder lokalen Mitarbeiters für die Humanitäre Hilfe. Hinzu kommt, und der Zeuge Christoph Heusgen, ehemals deutscher UN-Botschafter und heute Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, ist absolut unverdächtig: „Deutsche Botschaften sind relativ klein, und das ganz besonders in Ländern, wo die größten humanitären Krisen toben.“

Weil deutsche Diplomaten alle drei bis vier Jahre rotieren, bleibt auch das Fachwissen nicht erhalten. Ein kontinuierliches Zusammenarbeiten auch über längere Strecken hinweg sei für Partner unter diesen Umständen schwierig. Die Autoren beobachten einen Zusammenhang zwischen der „Rotation und mangelndem Wissensmanagement und einem institutionellen Gedächtnis als Basis für mittelfristige Kooperationen und Policy-Prozesse“.

Umso erstaunlicher, dass die internationale Wahrnehmung und Einschätzungen zu den Motiven und Prinzipien deutscher humanitärer Hilfe bisher nicht systematisch erfasst wurden. Weder von der Wissenschaft noch im Auswärtigen Amt. Auch in den Medien pflegt das Thema ein beharrliches Schattendasein, nur kurz unterbrochen von Zeiten großer Katastrophen.

Internationalen Fachleuten ist dieses Defizit längst aufgefallen, wie die Studie ausweist: „Deutsche Diplomaten bringen sich in die großen Debatten in der Regel nicht mit besonderem Knowhow ein.“ Eine UN-Repräsentantin: „Das deutsche Personal berichtet immer nach Berlin; aber sie bringen sich nicht aktiv in die Debatten ein. Die werden geführt von den drei Großen USA, EU und UK.“ Und dann wird die Kritik noch deutlicher: „Deutsche Counterparts zeigen jenseits vorbereiteter Statements seltener die notwendige Sprechfähigkeit und Flexibilität, sich in evolvierende Fragestellungen und Debatten weiter einzubringen und diese damit voranzutreiben.“ Oder anders: „German colleagues are very reserved in these more open debates and much more sitting on the fence than others.“ Also: Sie bleiben am Spielfeldrand, anstatt sich einzumischen.

Anderen Gebern wie Schweden, der Schweiz oder Norwegen gelingt das offenbar deutlich besser. Als humanitäre Geber hätten sie „einen deutlich überproportionalen Einfluss als Policy-Akteur im Vergleich zu ihrem finanziellen Beitrag, während Deutschland „eine untergeordnete Relevanz als Player im Vergleich zu seiner Bedeutung als Payer“ zugeschrieben wird.

Auch in informellen Koordinationsgruppen in New York und anderswo, wo sich die Geber am Rande der institutionellen Formate geräuschlos koordinieren, wird Deutschland nur als begrenzt aktiv wahrgenommen. Deutsche Strukturen und Abläufe, so berichten die Autoren, „erscheinen externen Partnern häufig sehr komplex, intransparent und teils ein Hindernis für intensiven Austausch und Kooperation“. Zitat eines Gesprächspartners: „An allen Botschaften habe ich einen einzigen Ansprechpartner für meine Belange, an der Deutschen Botschaft sind es vier“.

Resümee und Rat der beiden Autoren an die außenpolitischen Akteure der Bundesregierung: das gute Image nutzen, strategische Kooperationen eingehen, Priorisierungen vornehmen, personelle Kontinuität fördern. Und dann wird es deutlich: „Investitionen in deutlich mehr Personal sowie dessen Qualifikation und Seniorität erscheinen dringend geboten.“ Vor allem aber: „Ein Kulturwandel wäre entscheidend, in dem sich ein Ende von der traditionellen ‚außenpolitischen Zurückhaltung’ Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg im humanitären Bereich spiegeln könnte.“

Was die Autoren nicht berücksichtigen konnten: Die deutsche Rolle wird sich möglicherweise alsbald ändern. Für 2024 soll der Posten Humanitäre Hilfe und Krisenprävention nach Ansicht des Finanzministers um 978 Millionen Euro schrumpfen.

Die Studie in vollem Wortlaut finden Sie hier.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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